Kapitel 15

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Ich ließ meinen Blick neugierig durch das Zimmer schweifen und redete mir ein, dass es nicht meine Schuld sei, dass ich nun hier in diesem Zimmer stand. Doch ich wusste es natürlich besser!

Ich schob meine Haare im Nacken zusammen und hob sie mit einer Hand an. Es war mal wieder unerträglich heiß und in Lukes Zimmer schien geradewegs die Mittagssonne herein.

Das Zimmer war etwas größer als das von Lois, jedoch genauso karg mit Möbelstücken bestückt. Hinter der Türe stand der gleiche große Wandschrank wie bei Lois und auch das große Bett, das an der anderen Wand stand, schien gleich zu sein. Neben der Waschschüssel auf der Kommode stand ein benutztes Handtuch und auf dem Boden lagen einige zusammengeknüllte Kleidungsstücke, verteilt zwischen anderen Dingen, die Lukes nur achtlos fallen gelassen haben musste. Es sah jedoch nicht mal halb so schlimm aus wie bei Amanda. Neben der Kommode lehnten Lukes Schwert und sein Bogen mit dem Köcher an der Wand. Statt einer Truhe stand in Lukes Zimmer ein Schreibtisch mit einem Stuhl. Sowohl auf dem Schreibtisch als auch auf dem Stuhl lagen Stifte, Tinte, Blätter und sogar ein paar Bücher verteilt.

Ich ging auf den Schreibtisch zu und betrachtete den roten Einband eines Buches. Es hatte jedoch keinen Titel und ich schlug es vorsichtig auf, darauf bedacht sonst nichts anzufassen. Ich verzog den Mund. Ein Sachbuch über das Ausnehmen von Waldtieren. Ich schlug das Buch wieder zu. War ja klar.

Ich blickte über das Durcheinander auf dem Schreibtisch und entdeckte ein paar grobe Zeichnungen von einer jungen Frau. Es sah gut aus, wenn auch nicht ganz so geübt, wie die Zeichnungen die ich zuvor gesehen hatte. Wen Lukes da wohl zeichnen wollte? Wenn er es überhaupt gewesen war.

Ich wandte mich von dem Schreibtisch ab. Schließlich wollte ich hier nicht rumschnüffeln. Höchstens mich ein bisschen umsehen. Ich zog einen Mundwinkel nach oben, als ich mir vorstellte, wie Lukes reagieren würde, wenn ich ihm das sagen würde.

Ich lief zu dem ungemachten Bett und wäre fast über etwas am Boden gestolpert. Es war ein altes Holzschwert, das unter dem Bett hervor schaute. Zum Glück war es kein echtes.

Ich bückte mich um das Schwert unter dem Bett hervor zu ziehen, als mein Blick von etwas anderem unter dem Bett angezogen wurde. Ein Buch.

Ich schob meinen Kopf etwas nach unten, konnte sonst jedoch nichts entdecken, dass sich unter dem Bett versteckt hatte. Was machte das Buch ganz alleine hier unten? Ich zog es neugierig hervor und betrachtete es. Es war nicht ganz so dick, wie das andere Buch auf dem Schreibtisch und hatte einen braunen Ledereinband, der ziemlich abgegriffen aussah. Als würde das Buch oft durchgeblättert werden. Ich beschloss ganz vorne anzufangen und schlug das Buch auf.

Als ich die ersten Seiten durchgeblättert hatte, wurde mir klar, dass es so etwas sein musste wie die Schatztruhe unter Lois Bett. Denn auf jeder Seite waren mit feinen Bleistift- oder Kohlestrichen ein Bild gezeichnet worden. Meistens Personen, doch ab und zu auch Landschaften. Ehrfürchtig blätterte ich eine Seite nach der anderen um, darauf bedacht, das Buch so vorsichtig wie möglich zu benutzen.

Als ich ungefähr bei der Hälfte des Buches angekommen war, hörten die Zeichnungen plötzlich auf und es waren nur noch leere Seiten zu sehen. Eine nach der anderen. Wenn Lukes Mutter noch leben würde, wären dann diese Seiten schon alle voll gezeichnet?

Gerade wollte ich das Buch weglegen, als aus dem hinteren Teil ein zusammengefaltetes Blatt Papier rutschte. Ich konnte es gerade noch so festhalten, das es nicht komplett herausfiel und ich es zurück an seinen rechtmäßigen Platz schieben konnte. Dann öffnete ich das Buch an der Stelle und legte es offen vor mich auf den Boden. Das Blatt Papier sah etwas rauer aus. Wie ein Briefpapier. Und es war zusammengefaltet. Ich nahm es heraus und fing an es auseinander zu falten. Es war tatsächlich ein Brief. Ich setzte mich etwas anders hin um den Brief zu lesen, der ziemlich undeutlich geschrieben war. An einigen Stellen war die Tinte sogar verschmierte.

Als ich Anfing zu lesen, zog ich erst einmal verwundert die Augenbrauen hoch. Irgendwie hatte ich damit gerechnet, der Brief wäre von seiner Mutter an Lukes gerichtet. Doch stattdessen wurde der Brief mit „Liebe Edana" eröffnet. Ich strengte mein Gehirn an ob mir irgendjemand aus dem Dorf einfiel, der Edana hieß. Schließlich kam mir der rettende Einfall. Edana war vielleicht Lukes Mutter! Bisher hatte mir noch niemand gesagt, wie die Mutter von Lukes und Lois geheißen hatte. Dann machte es auch Sinn, dass der Brief in dem Bilderalbum lag. Vielleicht war er ja von Lukes. Ich fuhr schnell mit dem Blick ans Ende des kurzen Textes. Doch darunter stand eindeutig nicht Lukes Namen, sondern eine schwungvolle Unterschrift, die ich beim besten Willen nicht entziffern konnte.

Von wem war nur dieser Brief. Der erste Buchstabe musste ein G oder C sein. In Gedanken ging ich die Namen der Dorfbewohner durch und suchte nach einem G oder C. Doch mir viel keiner ein. Mist!

Halt warte! Charlié! Er lebte zwar nicht mehr... aber Edana ja auch nicht. Konnte doch sein oder? Aber wieso haben sich die beiden geschrieben?

„Ich liebe dich über alles mein Engel", las ich den letzten Satz des Briefes und schnappte nach Luft. Eine Liebesaffäre?! Vielleicht war deshalb Adam so sauer wenn man Charlié erwähnte. Konnte doch sein...

Ich hätte mich beinahe an meinem Atem verschluckt, als mir der nächste Gedanke durch den Kopf fuhr. Hat Adam diesen Charlié etwa... umgebracht?

Ich ließ den Brief fallen, als hätte ich mich daran verbrannt. Mein Herz pochte heftig gegen die Brust. Was tat ich hier eigentlich? Seit wann schnüffelte ich in der Vergangenheit anderer Leute herum? Das ging mich alles nichts an! Und das war auch gut so! Ich wollte nichts damit zu tun haben!

Hastig faltete ich den Brief zusammen und legte ihn wieder zwischen die Seiten, klappte das Buch zu und legte es an seinen ursprünglichen Platz. Irgendwie war mir gar nicht mehr wohl dabei hier in diesem Zimmer zu sein. Jeden Moment könnte Lukes auftauchen.

Ich schlich leise zur Tür und lauscht in den Flur. Ich konnte nichts hören, außer die Stimmen einen Stock tiefer. Schnell öffnete ich die Türe einen Spalt breit und huschte so schnell ich konnte in Lois Zimmer.

Loopi, die ich dort zurückgelassen hatte reckte sich, als ich die Türe schloss, riss ihr Maul auf und zeigte dabei die kleinen spitzen Vorderzähne, die eindeutig länger waren, als nur die Spitzen die ihr sonst immer aus dem Maul hingen. Messerscharf und spitz wie Dornen. Ich wandte den Blick schnell ab und lehnte mich mit dem Rücken zur Wand. Während ich dort saß und sich mein Puls langsam wieder zu beruhigen versuchte, zwang ich meine Gedanken dazu an etwas Anderes zu denken, als an das was, ich nicht sicher wissen konnte.

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