Kapitel 19

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„Ilaisha ich muss mit dir reden", erschrocken riss ich die Augen auf und löste mich von Sandsturms Hals. Adam stand in der geöffneten Boxentüre.

Ich sah mich zu den Zwillingen um, die schon angefangen hatten den Pferden frisches Wasser nachzufüllen. Sheyla lächelte mir aufmunternd zu und Shannon nickte. Ich löste mich ganz von Sandsturm und folgte Adam aus den Stall.

Auf dem gesamten Heimweg und während ich den Zwillingen geholfen hatte die Pferde abzusatteln, hatte ich kein Wort gesagt. Lukes hatte ich auch nicht mehr gesehen, worüber ich ehrlich gesagt ganz froh war.

Adam führte mich in das Häuptlingshaus und zu meiner Verwunderung hinter den Vorhang die Treppe nach oben, in sein Arbeitszimmer, am Ende des Flures. In der Mitte des Zimmers vor den Fenstern stand ein großer Schreibtisch, der erstaunlich aufgeräumt war. Die Fenster waren direkt auf den Hof gerichtet und man konnte einige Männer laut reden hören. An der linken Wand standen hohe Regale aufgebaut, die nur halb gefüllt mit Büchern, Blätterstapeln und sonstigen Dingen waren.

Auf der rechten Seite führte eine Tür in einen angrenzenden Raum. Wahrscheinlich das private Zimmer von Adam.

Adam nahm einen Holzstuhl, der an der Wand gestanden hatte und platzierte ihn vor dem Schreibtisch. Er bedeutete mir, darauf Platz zu nehmen und ließ sich hinter dem Schreibtisch auf seinen eigenen Stuhl fallen.

Ich verknotete meine Hände auf dem Schoß und setzte mich auf die vorderste Stuhlkante. Was wollte Adam von mir? Er wirkte auf einmal so Ernst. Ging es etwa um den Fuchs?

Ich konnte Adams Blick fast nicht standhalten, der mich eine Weile schweigend betrachtete. Er hatte seine Arme auf dem Schreibtisch abgestützt. Jetzt lehnte er sich zurück, fuhr sich durch den dichten Bart und zwinkerte mir zu.

„Keine Angst Ilaisha. Du bekommst keine Standpauke von mir", er lächelte mir zu, aber ich konnte mich trotz Allem nicht ganz entspannen.

„Warum ich dich in mein Büro geholt habe ist eigentlich, weil ich dir einen Vorschlag machen wollte", er machte eine Pause, als warte er auf eine Reaktion von mir. Ich schaffte es zu nicken und er fuhr zufrieden fort: „Du hast doch sicher schon mitbekommen, dass ein Bote des Nordvolkes gestern gekommen ist. König Julius hat endlich zugestimmt das Abkommen, dass ich mit seinem Vater – möge er in Frieden Ruhen – abgeschlossen habe, nachzugehen und seine Schwester Prinzessin Ellan, mit Lukes zu vermählen."

Ich blinzelte, versuchte mir aber meine Verwirrtheit nicht anmerken zu lassen. Ich dachte irgendwie, dass es um den Fuchs gehen würde und war jetzt auf einmal komplett überrumpelt. Was, bitteschön, hatte ich mit dieser ganzen Sache zu tun? Ich wollte mit diesem ganzen Königshaus-Zeug nichts zu tun haben! Hatte doch so schon genug Probleme.

„Morgen früh, werde ich mit meinem Sohn und ein paar Männern zur Festung im Norden reiten", erklärte Adam weiter und unterbrach sich dann, um auf eine Reaktion von mir zu warten. Ich nickte wieder tapfer, obwohl ich immer noch nicht verstand, was das Ganze mit mir zu tun haben sollte. Wollte er etwa, dass ich mich solange um das Dorf kümmerte?

Ich grinste bei diesem absurden Gedanken in mich hinein. So weit kommt's noch!

Adam nickte ebenfalls, als hätten wir gerade etwas entschieden: „Du kannst dir ja noch Gedanken machen, ob du mitkommen möchtest. Wenn du bis morgen früh, kurz vor Sonnenaufgang nicht gekommen bist, reiten wir ohne dich."

Halt Stopp! Moooooment! Welchen Teil des Gespräches, hatte ich jetzt schon wieder nicht mitbekommen? Irgendwie war mein Hirn heute nicht ganz funktionsfähig.

Adam wollte schon aufstehen: „Halt warte." Es schoss regelrecht aus mir heraus und Adam ließ sich in den Stuhl zurückfallen, als hätte ich ihn mit einer Armbrust oder so getroffen.

Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Ich fing an zu stammeln, aber es kam nichts Verständliches dabei heraus. Ich schloss kurz die Augen, um die richtigen Worte zu finden. Adams Grinsen vertiefte sich.

„Wieso willst du, dass ich mitkomme?", brachte ich schließlich einen ganzen Satz heraus. Gut gemacht, Mädchen! Ich stöhnte innerlich auf. Sei still!

Adams grinsen verschwand und er sah mich verwirrt an: „Habe ich das nicht gesagt?" Doch bestimmt hast du es gesagt, aber ich hab dir nicht zugehört. Glaube ich zumindest.

„Also ich habe dir vorgeschlagen, mit uns mitzukommen. Solange wir uns mit König Julius beschäftigen, kannst du vielleicht dich umhören und so etwas über deine Vergangenheit herausfinden. Vielleicht findest du eine Spur und kannst dieser nachgehen. Und wenn nicht, kommst du einfach wieder mit uns zurück ins Dorf und wir überlegen nach der Hochzeit weiter, was zu tun ist. Einverstanden?"

Mein Herz beschleunigte sich. Ich würde etwas über meine Vergangenheit herausfinden! Ich würde vielleicht eine Spur finden, oder sogar jemanden Treffen, der mich kannte. Ich... meine Gedanken überschlugen sich und ich wäre Adam am liebsten an den Hals gesprungen. Davon konnte mich jedoch der Tisch zwischen uns gerade noch aufhalten und ich schlug mir nur mein Knie an der Tischkante an, beim stürmischen Aufspringen.

Adam lachte sein tiefes, herzhaftes Lachen und meinte dann: „Na du hast dich ja schnell entscheiden können."

„Ja!", quiekte ich. Adam kam um den Tisch herum und umarmte mich. „Ich will doch, dass mein Mädchen glücklich ist!", brummte er schräg hinter meinem Ohr. Ich nickte eifrig.

Adam löste sich wieder aus meinem Klammergriff und legte einen Arm über meine Schulter: „Morgen früh, bei Sonnenaufgang möchte ich los reiten. Bis dahin solltest du auf einem Pferd sitzen. Ich werde Sheyla und Shannon sagen, sie sollen Sandsturm für dich herrichten. Der Weg ist weit, wir werden ein paar Tage unterwegs sein. Du musst nicht für Essen und Trinken sorgen. Ich kümmere mich um Alles."

„Danke, dass ich mitkommen darf", ich strahlte Adam an. Dieser lachte herzlich: „Das ist doch das Mindeste, was ich für dich tun kann."

***

Erst auf dem Heimweg, wurde mir das Ausmaß meiner Entscheidung bewusst.

Wenn ich gehe, dann lasse ich alle zurück, die ich kennengelernt hatte. Amanda, Shannon, Sheyla, Tarvos und Lois. Alle würden hier bleiben. Wollte ich das wirklich? Sie waren mir mittlerweile alle ans Herz gewachsen. Was wäre, wenn ich auf ene schreckliche Vergangenheit stoßen würde? Familie ermordet, oder selbst total gewaltsam? Leute die meinen Tod wollten?

Ich meine aus irgendeinem Grund muss ich doch n diesen Wald gekommen sein. Und vielleicht wurde ich sogar angegriffen und habe nur aus versehen überlebt? Was ist, wenn ich jetzt in meiner Vergangenheit herumstochere und somit eine Lawine auslöse, die nicht nur mich, sondern auch Andere unter sich begräbt?

Aber wenn ich auf keine Hinweise stoßen würde, dann käme ich doch wieder zurück. Hierher in den Wald und würde alle wiedersehen. Dann hätte ich die Gewissheit, dass ich es wenigstens versucht habe. Das würde mir doch helfen, mich damit abzufinden. Oder etwa nicht?

Ich hatte das Gefühl, dass ich mich mal wieder im Kreis drehte und wie ein kleiner Welpe, sienem eigenen Schwanz hinterher jagte. Wieso musste immer alles so kompliziert sein? Konnte nicht EINMAL im Leben etwas leicht sein? Oder wenigstens normal?

Ich kickte frustriert einen Stein weg, der raschelnd im Gebüsch verschwand. Loopi, die bis zu dem Zeitpunkt über mir flatterte, kam her und setzte sich auf meine Schulter. Als wolle sie mich trösten, schmiegte sie ihr weiches Köpfchen gegen meinen Hals und meine Wange. Ich seufzte und kraulte sie unter dem Kinn, bis sie zu summen begann. „Wenigstens du verstehst mich. Und dich muss ich zum Glück nicht zurück lassen."


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