Kapitel 41

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Es war der reinste Horror!

Ich konnte mir im Moment nichts Schlimmeres vorstellen, als in dieser dunklen Zelle zu sitzen und meinen eigenen Gedanken ausgeliefert zu sein, die über mich herfielen, wie eine hungernde Wolfsmeute. Ich hatte das Zeitgefühl komplett verloren und konnte nicht sagen, ob ich hier erst ein paar Stunden oder schon mehrere Wochen saß.

Die Ratten hatten in meiner Zelle den reinsten Freudenschmauß, da ich keine der Mahlzeiten anrührte, die ab und an geliefert wurden.

Wenn ich nicht schlief, lief ich in der Zelle auf und ab. Manchmal hörte ich wie sich draußen auf dem Gang etwas regte. Stimmen, Schritte, Schreie, Weinen. Ich legte mich dann immer auf meine Pritsche, zog die Arme über den Kopf, schloss die Augen und wartete, bis es vorbei war.

Außerdem sollten die Wachen denken, dass nicht die Ratten, sondern ich das Essen gegessen hätte und mich in diesem schrecklichen Dämmerzustand befand.

Ich beobachtete die Ratten immer beim Essen. Am Anfang huschten sie immer über und um den Teller, nagten und fiepten. Nach und nach wurden es immer weniger Ratten und sie zogen sich schlaftrunken zurück. Manche schafften es nicht einmal mehr wegzukommen und blieben reglos neben dem Teller liegen.

Sobald sie fertig waren, nahm ich den Teller und warf die Reste in die Ecke mit dem Stroh, wo schon meine letzten Ausscheidungen aus meinem Körper gelandet waren. Dann folgten die schlafenden Ratten und ich stellte den Teller auf den Boden zurück und wartete auf die nächste Mahlzeit.

Ich richtete mich mit zittrigen Beinen auf um eine weitere Tour durch mein Reich zu starten, doch ich plumpste auf die Pritsche zurück.

Meine Kehle fühlte sich trocken an und meine Lippen waren aufgesprungen und rau. Die Tage ohne Essen und vor allem ohne Trinken machten sich bemerkbar.

Ich spähte zu dem Becher hinunter, dessen Inhalt wie die der Becher zuvor schon im Stroh versickert war.

Das war immer das Erste was ich machte, wenn der Becher kam. Damit ich ja nicht in Versuchung kommen konnte. Ich schloss die Augen, als sich die Türe mir gegenüber näherte.

Mein Kopf tat weh und mein Hals fühlte sich so rau und trocken an, dass es wehtat, wenn ich versuchte die nicht vorhandene Spucke zu schlucken.

Wenn die nächste Mahlzeit kam MUSSTE ich etwas trinken! Aber die letzte Mahlzeit war das Abendessen, ich hatte mitgezählt und die gesamten nächsten zwölf Stunden... na gut jetzt könnten es auch nur noch elf sein, würde ich nichts mehr bekommen.

Ich stöhnte. Meine dritte Nacht in dieser Zelle, die ich bei Bewusstsein erlebte. Und ich fühlte mich wie eine schrumpelige, getrocknete Pflaume kurz vor dem Verwesen. Ich wusste nicht ob ich mich die Nacht wirklich bei Bewusstsein halten konnte.

Ich krümmte mich auf der Pritsche zusammen und versuchte, an etwas zu denken, dass nicht mit Wasser zu tun hatte. Aber egal, wo ich mit meinen Gedanken anfing, es endet irgendwie immer mit Wasser, oder mit was, was damit zu tun hatte.

Wie lange wohl noch? Ich konnte es schlecht einschätzen, ob nun schon eine Stunde oder erst ein paar Minuten vergangen waren. Ich hörte etwas kratzen und ich dachte erst, dass die Ratten noch ein paar Essensreste entdeckt hatten, doch dann merkte ich, dass das Kratzen vom Gang kam. Außerdem war es viel zu laut, als dass es eine Ratte sein könnte.

Ich schloss meine Augen vorsichtshalber, spitzte aber meine Ohren. Schließlich hatte ich so ein Geräusch noch nicht gehört seit ich hier unten war.

Das kratzende Geräusch hörte wieder auf und es war wieder still auf dem Gang. Ich lauschte und lauschte konnte aber rein gar nichts mehr hören. Und das Geräusch konnte ich auch nicht zu irgendetwas zuordnen.

Ich öffnete wieder die Augen und starrte meine Türe an, während ich versuchte etwas Speichel heraufzubeschwören. Mir war es eigentlich egal, was da draußen passierte. Ich mischte mich nicht mehr in irgendwelche Sachen ein. Davon hatte ich eindeutig genug!

Fast merkte ich es nicht, als sich etwas vor die Gitterstäbe der Türe schob. Ich sah nur einen dunklen Schatten vor der Türe, der sich schwer erkennbar abhob.

Ich blinzelte und fragte mich, ob ich mir das alles nur einbildete. Ich wurde bestimmt verrückt und begann zu halluzinieren!

Als ich die Augen zusammenzog war der Schatten weg.

Na bitte! Alles nur Einbildung! Ich war einfach nur zu geschwächt um Wirklichkeit von Surrealem zu unterscheiden.

Meine Augenlider wurden schwer, aber ich zwang mich sie offen zu lassen! Ich wollte nicht, nicht mehr aufwachen. Dieser Gedanke war der Einzige, der mir half die Augen offen zu halten.

Auf einmal hörte ich das Kratzen wieder und ich schreckte aus meinem Dämmerzustand auf.

Es war meine Türe! Ich war mir ganz sicher, dass das kratzende Geräusch dieses Mal direkt vor meiner Türe war. Ich hörte irgendetwas über das schwere Metall der Türe kratzen. Was war das denn nur?

Ich wagte nicht etwas zu sagen, sondern lag nur bewegungslos da und lauschte auf das Schaben an meiner Türe.

Mein Kopf tat weh und die Türe kam wieder auf mich zu. Ich versuchte mich zu konzentrieren. Das Kratzen hatte aufgehört und ich sah gerade noch, wie sich der Schatten wieder vor dem Gitter zeigte, bevor ich meine Augen nicht mehr offen halten konnte.

Irgendetwas stimmte da nicht, dachte ich. Irgendwoher kannte ich das doch!

Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

Es war unser Zeichen!

„Daria?", es kam nur ein krächzendes Keuchen aus meinem Mund. Es war unser Zeichen! Kurz, kurz, kurz, lang! Drei kleine Striche und dann einen großen Kreis drum herum. Cassandra, Daria und ich hatten es uns als kleine Kinder ausgedacht. Es war nicht wirklich einfallsreich, aber man konnte es sowohl zeichnen, als auch in jegliche Form in akustischen Geräuschen ausdrücken. Wir hatten es eigentlich aus Spaß beibehalten und sie unseren Briefen als Zeichen verpasst. Nie hätte ich gedacht, dass es jemals in einer wichtigen Situation wie dieser benötigt würde. Ehrlich gesagt hätte ich auch niemals gedacht, jemals in eine solche Situation zu kommen!

Es war still auf dem Flur und ich hatte Angst, dass ich mich vielleicht getäuscht haben könnte, oder dass sie schon weitergegangen sei. Doch meine Augen schafften es nicht mehr sich zu öffnen und ich konnte auch nichts mehr sagen. Nur auf mein Gehör war noch verlass!

Und tatsächlich hörte ich ein Schlüssel im Schloss. Die Türe wurde aufgedrückt und kurz darauf spürte ich Arme, die mich in den Arm nahmen und mir halfen, mich aufzurichten.

Kurz darauf spürte ich eine angenehm kühle Flüssigkeit meine Kehle hinab fließen. Es tat weh beim Schlucken, aber ich konnte nicht aufhören, bis nichts mehr kam.


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