Kapitel 42

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„Geht's wieder?", Daria strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und nahm mein Gesicht in ihre Hände. Ich nickte schwach und klammerte mich an den Laib Brot in meinen Händen, als wäre es mein Rettungsseil.

Ich hatte alles getrunken, was Daria mitgebracht hatte und zwang mich nun das Brot langsam Stück für Stück zu essen. Dabei würde ich es am liebsten hinunterschlingen.

„Mann Edda! Du machst mir ja Sachen! Und dieses Schwein von meinem Mann, kann sich ganz schön auf was gefasst machen! König hin oder her! Er kann doch nicht einfach meine beste Freundin einsperren!", sie klang wütend, flüsterte aber weiterhin.

Ich sah sie bekümmert an. Ich konnte mich noch an die Daria vor drei Jahren erinnern, voller Vorfreude auf ihre Hochzeit und ihr zukünftiges Leben an der Seite von König Julius.

Ich wusste sofort, dass sie nicht glücklich war. Aber Daria war schon immer die Stärkste von uns dreien gewesen. Sie ließ sich ganz sicher nichts gefallen.

„Es tut mir so leid, Daria!", ich schluchzte leise und drückte ihr meine Trauer über das aus, was mit ihr passiert war und wie ich ihr begegnet sein musste an unserer ersten Begegnung.

Daria wusste was ich meinte und schüttelte den Kopf: „Quatsch! Cassi hat mir alles erzählt, als sie bei mir war und dich nicht mitgebracht hat, da konnte sie gar nicht anders, als mir eine Erklärung zu liefern. Und ich hätte eigentlich eins und eins zusammenzählen müssen, als Grace von dir als „Ilaisha" erzählt hat und ich kurz vor eurer Ankunft aus dem Nichts krank wurde, dass ich tagelang das Bett hüten musste. Julius ist so hinterhältig! Vergiftet sogar das Essen seiner eigenen Frau!"

Ich sah sie entsetzt an und hätte sie am liebsten getröstet, wenn ich nicht selber noch so voller Trauer wäre. Doch Daria's Wut verflog sofort wieder: „Aber jetzt bist du erst einmal dran. Ich kann dir immer noch von meinem Kummer erzählen, wenn ich dir aus deinem Schlamassel geholfen habe! Wir müssen uns aber beeilen. Ich habe nicht ganz so viel Zeit." Sie blickte kurz zu der Türe, die sie angelehnt hatte.

Dann fing ich an zu erzählen. Ich erzählte ihr von dem Moment an, wo ich den Brief bekommen hatte, bis zu meinem Gedächtnisverlust und schließlich zu der missglückten Rettungsaktion von Nathan. Nur den Teil mit Lukes Liebesgeständnis in der Zelle und seinem Kuss, ließ ich weg.

Es war schrecklich das ganze nochmal durchzumachen, Nathans Wunden zu sehen. Sein schmerzverzerrtes Gesicht. Das Blut, das ihm aus dem Mund quoll, bevor er mich umgeworfen hatte.

Daria nahm mich in den Arm und strich mir über den Rücken, während sie flüsterte: „Es tut mir leid. Es tut mir so unendlich leid."

Und da wusste ich mit ganzer Gewissheit, dass ich Nathan niemals mehr wieder sehen würde. Ich wusste es eigentlich davor auch schon, aber da hatte ich keine Bestätigung und mein naives Herz hatte sich an dieses kleinen Strohhalm gehängt.

Ich fühlte mich verantwortlich für den Tod von Nathan. Dieser Pfeil, der ihn durchbohrt hatte, hatte eigentlich mir gegolten und wenn Nathan, nicht genau in diesem Moment sich aufgerichtet hätte, hätte er sein Ziel nicht verfehlt.

Ich lebte nur, weil er tot war. Und dann musste er auch noch so qualvoll sterben. Er hatte in den letzten Stunden vor seinem Tod Folter und Schmerz erlebt. Dabei hatte sein Leben noch nicht mal richtig angefangen. Wie alt war er? Höchstens zwölf!

Es kamen keine Tränen mehr, aber ich fühlte mich wie betäubt, als Daria sich wieder von mir löste und mich an den Schultern packte.

„Hör zu!", sie rüttelte mich und ihr Finger bohrten sich wie Zangen in meinen Oberarm.

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