26. Kapitel: Spannungen

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Das Quietschen einer Tür und jemand der die Treppe hinunter polterte ließ uns auseinander fahren.
Oh Gott! Was tat ich denn hier?! Ich hatte doch überhaupt keine Gefühle für Licas. Er war doch einfach nur ein Freund.
„Morgen!", grummelte Jake als er in die Wohnküche geschlurft kam.
„Guten Morgen.", grüßte ich zurück.
Sein Blick suchte den Raum nach mir ab. Als er mich fand blieb er kurz hängen und sein Gesicht erhellte sich, dann bemerkte er auch Licas neben mir und musterte ihn mit einem misstrauischen Blick.
„Hab ich doch gesagt!", flüsterte Licas neben mir leise.
Ich haute ihm freundschaftlich meinen Ellenbogen in die Rippen und ging zu Jacob an den Küchentisch.
Jake machte sich gerade zähneknirschend Frühstück.
Nachdenklich setzte ich mich auf einen Stuhl und musterte den Indianer Jungen.
Mit den Zähnen geknirscht hatte er das letzte Mal als wir 7 waren. Wir hatten uns gestritten, was wirklich nicht oft vorkam und auch nicht lange anhielt. Ich war sauer gewesen und ihn eine ganze Woche ignoriert, schließlich hatte er damals meinen Muffin aufgegessen, und das konnte ich nicht akzeptieren! Als Strafe für ihn machte ich viel mit Embry und Quil. Jake war unglaublich eifersüchtig, aber auch zu stur um sich zu entschuldigen. Das war das letzte Mal, dass ich erlebt hatte, dass er mit den Zähnen geknirscht hatte.
Moment.
War Jake also eifersüchtig?
Auf Licas?
Aber wieso?
Den mörderischen Blicken, die er ihm zuwarf, zu urteilen stimmte meine Vermutung.
„Guten Morgen!", rief Rita als sie mit John durch die Terrassentüre in die Wohnküche trat.
Sie kam auf mich zu und umarmte mich, ich merkte, dass sie auch Jacob umarmen wollte, doch dann hielt sie inne und lächelte ihm einfach freundlich zu.
„Schön, dass ihr da seid!", begrüßte ich sie und stand auf, „Ich wollte etwas laufen gehen, allerdings wollte ich nicht riskieren, dass die beiden hier", ich zeigte auf Licas und Jacob, die sich nicht gerade freundlich musterten, „ sich gegenseitig zerfleischen!"
John lächelte belustigt:" Geh ruhig, wir behalten sie im Auge."
„Cacy ich weiß nicht ob du dich schon wieder anstrengen solltest, du bist sicher noch nicht wieder gesund!", fing Jacob an zu quengeln.
„Danke für deine Bedenken, Mama. Aber ich bin mir sicher, dass ich das schaffe.", zog ich ihn auf, „Ich gehe jetzt..."
„Ich begleite dich!", rief er und sprang auf.
„...alleine!", widersprach ich und ging aus der Tür.
Ich musste jetzt meinen Kopf frei bekommen.
„Na, was hast du denn angestellt?", hörte ich Licas witzeln, worauf Jacob laut knurrte.
Ich joggte los und verwandelte mich, dann verschwand ich im Wald.
Ich achtete immer auf den Geruch meiner rumänischen Freunde um ihr Gebiet nicht zu verlassen. Man musste ja nicht unnötig Streit provozieren.
Laufen war einfach die beste Möglichkeit den Kopf frei zu bekommen und nachzudenken.
Wie es wohl Yuki ging?
Hoffentlich machte sie keine Probleme!
Außerdem, hatte Licas Recht?
Stand Jake wirklich auf mich?
Und was war mit mir?
Stand ich auch auf ihn?
Und was wollte Licas von mir, beinahe hätte er mich geküsst, oder?
Man, wie ich solche Fragen hasste!!!
Manchmal hätte ich gerne Eddies Gabe.
Oder jeder Kerl sollte ein leuchtendes Reklameschild auf der Stirn haben, welches anzeigt auf wen man steht.
Obwohl, das könnte auch zu einigen kritischen Situationen führen.
Aber in meiner jetzigen Situation wäre es durchaus von Nutzen!

So in Gedanken versunken bemerkte ich gar nicht das kleine Geschöpf, das mir durch den Wald folgte. Ebenso wie ich rannte es und saß mit einem großen Satz auf meinem Rücken.
Ich fauchte erschrocken auf und versuchte es abzuschütteln indem ich mich zur Seite auf den Boden warf.
„Aua! Cacy lass das! Das tut weh!", beschwerte sie sich.
„Cecilia?!", fragte ich verwirrt und drehte meinen Kopf, sodass ich auf meinen Rücken sehen konnte, „Was machst du hier?"
„Die anderen haben gesagt, du bist draußen, da habe ich dich gesucht!", redete sie mit kindlicher Begeisterung.
Sie war vielleicht äußerlich 14, doch benehmen tat sie sich wie eine 12-Jährige.
Irgendwie tat es mir Leid, dass sie schon so früh verwandelt wurde. Sie hätte noch erwachsen werden sollen.
Sie machte es sich auf meinem Rücken bequem und ich lief weiter durch den Wald.
Sie erzählte mir die Geschichte wie sie und ihre Schwester zu Vampiren wurden.
Es war in Nantes, Frankreich 1938.
Cécile Julène und Léonie Cathlène wurden beide mit einem schweren Herzfehler geboren, es stand von Anfang an fest, dass sie nicht älter als 17 Jahre werden würden. Sie wurden von ihren Eltern, die die wenige Zeit mit ihren Töchtern nutzen wollten, wie Prinzessinnen behandelt.
Sie hatten sogar eine große Schwester gehabt.
1952 wollte ihre Familie ihnen zu ihrem 14. Geburtstag ihren größten Wunsch erfüllen.
Eine 5-tägige Bootstour auf ihrem Segelschiff zu den Glénan Inseln.
Seit Jahren hatten sie ihre Eltern angefleht und endlich hatten sie nachgegeben. Die ersten Tage waren wunderschön. Sie hatten tolles Wetter und jede Menge Spaß. Es war das erste Mal, dass sie aus ihrer Heimatstadt herauskamen. Ihr erster Urlaub in der Karibik Frankreichs.
Das anfängliche Glück wurde bald von schlechtem Wetter getrübt. Eines Nachts zog ein schrecklicher Sturm auf. Als die Zwillinge aufwachten waren ihre Eltern und ihre Schwester schon auf Deck um alles zu retten was noch zu retten war.
Die Mädchen wollten helfen, doch wurden sie von ihrer Mutter zurück in die Kajüte geschickt.
Das Gewitter war direkt über ihnen, die Wellen schaukelten das Schiff hin und her und die Mädchen kauerten sich angsterfüllt aneinander.
Cecilia erzählte, dass sie selbst furchtbare Angst um ihre Familie hatte und Leonie immer wieder die Worte „Wir müssen stark sein!" wie ein Mantra vor sich hinsagte.
Vermutlich war das der Moment in dem sich ihre Gaben herausbildeten.
Irgendwann morgens flaute der Sturm ab und die Mädchen beschlossen wieder an Deck zu gehen.
Das Schiff hatte gravierende Schäden davon getragen, der Hauptmast war gebrochen und hatte ein Loch in das Deck gerissen. Nirgendwo waren ihre Eltern zu sehen. Auch ihre Schwester Éléa war verschwunden.
Das Boot trieb auf dem offenen Meer, ohne eine Möglichkeit es zu lenken.
Die Realität brach wie das Gewitter des Vorabends über die Zwillinge herein.
Sie waren alleine.
Sie wussten nicht wo ihre Familie war oder ob sie überhaupt noch am Leben waren.
Sie wussten nicht wo sie waren, oder wo sie hin sollten geschweige denn, wie sie dorthin kommen sollten.
Zwei Woche verharrten sie auf dem Schiff, bis sie an eine Küste gespült wurden.
Da sie kaum zu Essen oder zu Trinken hatte, waren sie halb tot, als sie von Passanten gefunden wurden.
Die Passanten erwiesen sich als Vampire, die die Zwillinge sofort verwandelten um sie vor dem Tod zu bewahren.
Die Nomaden von denen die Schwestern gefunden wurden zogen gerade durch Irland, um Komplikationen zu vermeiden wurden die Namen der Mädchen eingeenglischt. Aus Cécile Julène wurde Cecilia und aus Lèonie Cathlène wurde Leonie.
Jahrelang zogen sie mit den Nomaden umher, da keiner nach ihnen suchte nahmen sie an, dass ihre Familie tot war.

Ich schluckte schwer, als sie ihre Erzählung beendet hatte.
Das war wirklich eine der traurigsten Lebensgeschichten, die ich jemals gehört hatte.
„Wir sind schuld.", murmelte sie gedankenverloren.
„Wie bitte?", fragte ich nach.
„Wir sind schuld am Tod unserer Eltern und unserer Schwester. Hätten wir nicht auf diese Schiffsreise bestanden, hätten sie ihr Leben zu Ende leben können und wir wären an ihrer Stelle mit 17 gestorben, so wie es hätte sein sollen.", schluchzte sie.
„Das seid ihr nicht, hör auf dir so etwas einzureden. Du kannst genauso wenig dafür wie Leonie, deine Eltern oder deine Schwester. Es hat nicht sein sollen. Das Schicksal hatte anscheinend andere Pläne für euch. Erinnere dich an die schönen Momente die du mit deiner Zwillingsschwester dafür haben konntest. An all die schönen Geschichten die du mir erzählt hast. Hör auf zu weinen. Du bist doch mein kleiner Sonnenschein!", versuchte ich sie zu trösten und streichelte ihr mit meiner Schwanzspitze über die Wange.
„Danke Cacy!", murmelte sie in mein Fell, als sie sich auf den Bauch legte und mich umarmte.

„Und mach dir keine Sorgen wegen Licas. Der macht das immer. Denk dir nichts dabei.", riet sie mir und sprang von meinem Rücken.
„Was?", fragte ich verwirrt und ein bisschen ertappt.
„Weißt du noch? Achilleseffekt? Du hast dir darüber Gedanken gemacht, du warst abgelenkt und damit angreifbar. Das war deine Schwäche. Mach dir keine Gedanken über Licas' Verhalten und zweifel nicht an deiner Liebe zu Jacob.", erklärte sie.
„Meiner WAS?!", rief ich geschockt, doch da war sie schon kichernd zwischen den Bäumen verschwunden.
War das alles gerade wirklich passiert?

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