Am nächsten Morgen war die Stimmung in der Hütte gedämpft. Das Feuer im Kamin war nur noch ein Haufen kalter Asche, und die vertraute Wärme, die uns die letzten Tage umgeben hatte, war verschwunden. Nathon und ich hatten beschlossen, dass es an der Zeit war, heimzukehren. Die Tage in der Hütte hatten uns viele unvergessliche Momente beschert, aber wir wussten beide, dass wir uns der Realität nicht länger entziehen konnten.
Ich wachte früh auf, bevor die Sonne ganz über den Horizont gestiegen war. Die Dunkelheit, die noch in der Hütte hing, passte zu meinen Gedanken, die schwer und unruhig waren. Neben mir lag Nathon, tief in den Kissen vergraben, sein Atem leise und regelmäßig. Ich beobachtete ihn einen Moment lang, ließ den Blick über sein Gesicht gleiten, das so vertraut und doch in diesem Moment fremd wirkte.
„Es ist Zeit“, flüsterte ich leise, mehr zu mir selbst als zu ihm.
Vorsichtig stand ich auf und zog mir meinen Pullover über, den ich am Vorabend auf den Stuhl neben dem Bett geworfen hatte. Die Dielen knarrten unter meinen Füßen, als ich zur Küche ging, um Kaffee zu machen. Während das Wasser aufkochte, wanderte mein Blick durch die Hütte, die nun wie eine stumme Zeugin all unserer Gespräche und Gedanken wirkte. Jede Ecke, jeder Gegenstand hatte eine Geschichte zu erzählen, und in diesem Moment spürte ich den Hauch von Traurigkeit, dass wir all das hinter uns lassen mussten.
Ich stellte zwei Tassen auf den Tisch und goss den heißen Kaffee ein, als Nathon schließlich in der Tür erschien. Er trug nur eine Jogginghose und sah verschlafen, aber wachsam aus, als seine Augen mich fanden. Ein stilles Verständnis lag in seinem Blick, als er sich ohne ein Wort zu mir setzte und seine Hände um die Tasse schloss.
„Heute also“, sagte er schließlich, seine Stimme heiser vom Schlaf.
Ich nickte. „Ja. Es ist Zeit.“
Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee, und ich konnte sehen, wie er die Worte wägte, die er als Nächstes sagen wollte. „Ich bin froh, dass wir hier waren“, sagte er schließlich, sein Blick tief in meinen. „Es war eine schöne Flucht. Aber du hast recht – wir können nicht ewig hier bleiben.“
„Ich weiß“, antwortete ich und hielt seine Hand über den Tisch. „Aber es fällt mir trotzdem schwer, diesen Ort zu verlassen. Es fühlt sich an, als würden wir mehr zurücklassen als nur die Hütte.“
Er drückte meine Hand sanft und lächelte schwach. „Wir nehmen die Erinnerungen mit, Lena. Und egal, was kommt, wir werden sie immer bei uns haben.“
Das Frühstück verlief in stiller Eintracht. Wir sprachen wenig, und doch schien jedes Wort, jeder Blick, mit einer tieferen Bedeutung gefüllt zu sein. Es war, als ob wir beide die Ruhe vor dem Sturm spürten – die Unsicherheit darüber, was auf uns zukommen würde, wenn wir die Hütte hinter uns ließen.
Nach dem Essen begannen wir schweigend zu packen. Jede Bewegung war ruhig und kontrolliert, fast mechanisch. Es war seltsam, all unsere Habseligkeiten, die sich in den letzten Tagen in der Hütte verteilt hatten, wieder zusammenzupacken. Die Decken wurden sorgfältig gefaltet, die Bücher und Kleinigkeiten, die wir mitgebracht hatten, zurück in die Taschen gelegt. Und mit jedem Gegenstand, den wir verstauten, fühlte ich mich leichter und schwerer zugleich. Leichter, weil wir uns der Verantwortung wieder stellten, schwerer, weil der Abschied von diesem sicheren Zufluchtsort unausweichlich war.
Als alles gepackt war, standen wir in der Mitte der Hütte und ließen den Blick noch einmal durch den Raum gleiten. Es fühlte sich endgültig an. Die Stille, die uns umgab, wurde nur durch das leise Knistern des letzten Holzscheits unterbrochen, das Nathon am Morgen noch ins Feuer gelegt hatte.
„Bist du bereit?“ fragte er leise, seine Hand ausgestreckt, um die meine zu nehmen.
Ich zögerte einen Moment, bevor ich nickte und seine Hand ergriff. „Ja“, flüsterte ich. „Ich bin bereit.“
Gemeinsam trugen wir die Taschen zum Auto, das vor der Hütte auf uns wartete. Die kühle Morgenluft war frisch und klar, und die Sonne hatte begonnen, die Nebelschwaden zu vertreiben, die über dem See hingen. Ein Teil von mir wollte noch einmal innehalten, den Blick auf die Hütte, den See, den Wald genießen – all die Dinge, die uns in den letzten Tagen so viel bedeutet hatten. Aber ich wusste, dass es besser war, jetzt zu gehen, bevor die Melancholie mich übermannte.
„Ich werde diesen Ort vermissen“, sagte ich, als wir die Taschen im Kofferraum verstaut hatten und Nathon die Autotür für mich öffnete. „Es war unser kleines Paradies.“
„Ich auch“, antwortete er, bevor er die Tür schloss und auf die Fahrerseite ging. „Aber wir werden zurückkommen, Lena. Das verspreche ich dir.“
Ich nickte, doch tief in mir wusste ich, dass nichts jemals wieder genau so sein würde wie in diesen Tagen. Aber das war in Ordnung. Wir mussten uns vorwärtsbewegen, uns der Welt und all ihren Herausforderungen stellen – zusammen.
Der Motor des Wagens sprang an, und das vertraute Brummen erfüllte die Stille, während Nathon den Wagen langsam den schmalen Pfad hinunterlenkte. Die Hütte verschwand allmählich aus unserem Blickfeld, während wir den Weg zurück in die Zivilisation antraten. Es war ein Abschied und ein Neuanfang zugleich, und während wir den Wald hinter uns ließen, fühlte ich, wie sich etwas in mir löste, wie eine Spannung, die ich lange nicht bemerkt hatte.
Die Straße vor uns war lang und kurvenreich, und das Tageslicht brach sich in den Bäumen, die uns auf beiden Seiten säumten. Wir fuhren in Stille, doch es war keine unangenehme. Es war eine Stille des Nachdenkens, des Loslassens und des Erkennens, dass der nächste Schritt in unserem Leben vor uns lag – ungewiss, aber voller Möglichkeiten.
Nach einer Weile legte Nathon seine Hand auf mein Knie und warf mir einen kurzen Blick zu. „Wie geht es dir jetzt?“ fragte er.
Ich atmete tief ein, ließ die Luft langsam entweichen und spürte, wie der Druck in meiner Brust nachließ. „Besser“, antwortete ich ehrlich. „Ich weiß, dass wir das Richtige tun. Es ist schwer, aber es ist richtig.“
Er lächelte, und in diesem Lächeln lag all die Zuversicht und Liebe, die er für mich empfand. „Das werden wir schaffen, Lena. Zusammen.“
Ich nickte, und zum ersten Mal seit Tagen fühlte ich, wie sich ein leichter Hauch von Optimismus in mein Herz schlich. Wir hatten den Mut gefunden, zurückzukehren, und vielleicht war das der erste Schritt, um die Dinge zu bewältigen, die vor uns lagen.
Die Straße wurde breiter, die Bäume traten zurück und ließen den Blick auf die weiten Felder und Hügel frei, die sich vor uns erstreckten. Die Zivilisation rückte näher, und mit ihr auch die Realität, der wir uns stellen mussten. Aber egal, was kommen mochte – wir hatten diese Tage in der Hütte, diese Erinnerungen, die uns daran erinnern würden, wer wir waren und was wir zusammen durchstehen konnten.
Und während wir fuhren, Hand in Hand, wusste ich, dass wir, was auch immer uns erwartete, den Weg gemeinsam gehen würden – Schritt für Schritt, Seite an Seite, bereit für die Herausforderungen, die das Leben für uns bereithielt.
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Heartstrings in the U.S
RomanceDie 17-jährige Lena beginnt ihr Austauschjahr in einem beschaulichen amerikanischen Städtchen, wo sie von der Familie Collins aufgenommen wird. Zwischen den alltäglichen Abenteuern und dem neuen Leben entwickelt sie eine unerwartete Verbindung zu Na...