Kapitel 40

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Ich wurde beinahe wahnsinnig in diesem Loch. Ich hatte mein Zeitgefühl vollkommen verloren, wusste nicht, ob es Tag oder Nacht war, konnte noch nicht einmal erahnen, wie lange ich mich schon hier unten befand. Es gab ein paar Ratten und Mäuse, die mir von Zeit zu Zeit Gesellschaft leisteten, doch ansonsten war ich alleine.

Ich lag auf dem Boden, angelehnt an die kalte Mauer und zählte meine Atemzüge. Ich spürte, wie ich immer schwächer wurde, wie meine Kräfte mich langsam verließen. Ich hatte tatsächlich viel Blut verloren und ohne meine magischen Fähigkeiten oder ein paar der Tinkturen, die zu Hause in meinem Wohnzimmerschrank standen, würde ich das hier wohl nicht mehr lange überleben.

Ich hatte mich von meinem Mantel und Hemd befreit, hatte Stofffetzen davon abgerissen und gegen meinen Kopf gepresst um so die Blutung zu stillen. Trotzdem hatte ich bereits zu viel davon verloren. Meine Haare klebten an meinem Kopf wie nasse Algen. Meine Hände zitterten vor Kälte und mein Kopf drohte zu Explodieren.

Ich konnte mich auf Nichts konzentrieren, versuchte mich wachzuhalten, doch immer wieder wurden meine Lider schwerer, meine Augen müder. Ich nickte immer mal wieder kurz ein, schreckte dann aus einem Albtraum auf. Immer wieder sah ich die schrecklichen Bilder vor mir, wie Alec starb. Blutüberströmt lag er auf dem Boden, stöhnend, krächzend vor Schmerzen. Und jedes Mal, kurz bevor er die Augen schloss, wachte ich auf. Wachte auf mit einem so rasenden Herzen, dass ich mich nicht gewundert hätte, wenn es mir jeden Augenblick aus der Brust gesprungen wäre.

Eins, zwei, drei ... wieder zählte ich meine Atemzüge, hauptsächlich aus dem Grund um mich wachzuhalten und nicht einzuschlafen. Vier, fünf, sechs ... eine Spinne krabbelte an meiner Hand vorbei und verschwand in der Dunkelheit hinter mir. Sieben, acht, neun ... ich musste husten. Das Pochen in meinem Kopf wurde immer stärker. Ich musste die Augen schließen, um den Schmerz überhaupt ertragen zu können. Zehn, elf, zwölf ... ich glaubte Schritte von draußen zu hören. Dumpfes Geschrei drang an mein Ohr, dass immer deutlicher wurde. Dreizehn, vierzehn, fünfzehn ... ich war mir sicher, wieder eingeknickt zu sein, mir die ganze Sache nur einzubilden; war mir sicher, mich wieder in einem meiner Träume zu befinden. Sechzehn, siebzehn, achtzehn ... dann wurde die Tür geöffnet.

„Hier ist ein bisschen Gesellschaft für dich.", sagte eine raue, heisere Stimme, die ich noch nie gehört hatte.

„Lasst mich verdammt noch mal wieder hier raus.", schrie eine Stimme, die mir wiederum sehr wohl bekannt vor kam. Angestrengt versuchte ich meine Augen zu öffnen. Erst erkannte ich nur die dunkle Silhouette eines schlaksigen Jungen. Er war groß, dünn, trug eine Brille, die ihm schief auf der Nase saß. Überall prangten blaue Flecken auf seiner hellen Haut. Seine Kleider waren zerrissen und mit Staub bedeckt.

„Samson?", flüsterte ich in die Stille hinein und erschrak beim Klang meiner Stimme.

Der Junge räusperte sich und hustete. „M... Magnus?" Jetzt bestand kein Zweifel mehr. Es war der Rattenjunge.

„Jetzt haben sie dich also auch schon erwischt.", stellte ich etwas benommen fest und rutschte ein Stück zur Seite, versuchte eine etwas bequemere Position zu finden, als bisher. Wenig später saß er schon an meiner Seite, seine Augen von Panik geweitet. Seine Lippe blutete. Ein großer Kratzer zog sich über seine rechte Gesichtshälfte und das Glas seiner Brille war zerbrochen. Die Knöchel an seinen Händen waren blutig und aufgerissen, seine Arme beschmiert mit einer Mischung aus Schmutz und getrocknetem Blut.

„Oh mein Gott, geht es dir gut?", fragte er mit zitternder Stimme.

„Naja, mir ging es schon mal besser, wenn ich ehrlich bin.", stöhnte ich und verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

Er warf einen Blick auf meinen Hinterkopf. „Verdammt, das sieht nicht gut aus."

„Stell dir vor, das hab ich auch schon bemerkt."

„Wir sollten dich hier so schnell wie möglich raus bekommen."

Ich lachte, was eher wie ein Schnauben klang. „Und wie genau willst du das anstellen, Rattenjunge?"

„Ich ... ich weiß es nicht, aber die anderen sind sicher schon dabei, sich einen neuen Plan zu überlegen."

Alec!

„Sie ... sie wissen, dass wir hier sind?"

Steven oder wie auch immer er hieß zuckte mit den Schultern. „Sie wissen, dass du entführt wurdest. Dieser Elijah war bei Alec ..."

„Alec?", hauchte ich und setzte mich ruckartig auf. Ein grauenvoller Schmerz drang durch meinen gesamten Körper. Der Rattenjunge drückte mich wieder zurück gegen die Wand. „Du solltest ruckartige Bewegungen vermeiden."

Doch es war mir egal, was er sagte. „Was ist mit Alec?", flüsterte ich leise, verschluckte mich beinahe an meinen eigenen Worten, so schnell sprach ich. „Ihm geht es gut."

Ich seufzte auf, erleichtert, zumindest fürs Erste.

„Wie bist du überhaupt hier gelandet?"

„Sagen wir so ...", begann er. „Einer unser Pläne ist offensichtlich nach hinten losgegangen."

„Du warst der Köder?", stotterte ich und musste erneut husten.

Ich sah ihn im Halbdunkel nicken. Stöhnend ließ ich mich wieder nach hinten fallen, lehnte meinen Kopf gegen die nackten Steinmauern.

„Na hoffentlich sieht der neue Plan besser aus.", flüsterte ich leise.

When Worlds Collide | Magnus BaneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt