Kapitel 31

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„Alles?" Er schaute mich an mit seinen tiefblauen Augen, mit den Augen, in die ich mich verliebt hatte und lupfte fragend eine Augenbraue. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und konnte mir ein herzhaftes Lachen nicht verkneifen. „So war das jetzt auch nicht gemeint.", erwiderte ich, noch immer lachend. Alec erwiderte mein Lachen, bedachte mich mit einem frechen Grinsen und legte seinen Kopf leicht schief. Sein Lächeln war bezaubernd. Er tat es viel zu selten.

„Nein Alec, ich meine das Ernst." Während die Worte meine Lippen verließen stocherte ich noch immer auf der Suche nach etwas Essbarem in dem kleinen Karton herum und wickelte einige Nudeln auf die beiden Stäbchen zwischen meinen Fingern. Alec hielt einen Augenblick lang inne, wirkte, als würde er noch etwas sagen wollen, doch als traute er sich nicht richtig. Dann ließ er jedoch ab von diesem Gedanken, wandte sich ebenfalls seiner Mahlzeit zu und versuchte sein Glück beim Aufwickeln des Essens auf die beiden Essstäbchen, mit denen er nicht ganz so galant umging, wie ich es tat. Nun ja, immerhin hatte ich auch schon ein wenig mehr Übung. Chinesisches Essen stand bei mir quasi auf der Tagesordnung. Während ich das Essen genoss, die köstlichen Gewürze auf meiner Zunge zergehen ließ und einen Bissen nach dem anderen nahm, schaufelte Alec die Nudeln regelrecht in sich hinein; vergaß beinahe das Kauen darüber. Für den Bruchteil einer Sekunde musste ich an einen Bagger denken, während ich ihn beim Essen beobachtete. Aber wirklich nur ganz kurz. „Willst du den Karton auch gleich mitessen?", fragte ich und zog beide Augenbrauen in die Höhe. „Nein.", murmelte Alec mit vollem Mund, beinahe etwas verlegen über seine Fressattacke. „Ach was du nicht sagst.", scherzte ich und konnte mir ein weiteres Grinsen nicht verkneifen. Alec wirkte alles andere als ausgehungert, wenn man sich seine stahlharten Muskeln anblickte und seine wohl geformte Brust, allerdings machte er im Augenblick den Anschein, als hätte er schon seit Tagen, wenn nicht sogar Wochen, keine richtige Mahlzeit mehr zu sich genommen. So ein Kampf schien hungrig zu machen. „Ich steh auf chinesisches Essen.", verkündete er murmelnd, bevor er sich die frittierte in Soße getunkte Frühlingsrolle förmlich in den Rachen schob und zubiss. „Auch dass seh ich.", erwiderte ich und lachte amüsiert. Immerhin waren wir uns in einer Sache schon mal einig.

Wir verbrachten den halben Abend damit, das gesamte Essen zu vernichten, dass ich besorgt hatte. Hatte es anfangs noch so ausgesehen, als würden wir die Unmengen dieser Köstlichkeiten niemals ganz verdrücken können, war am Ende doch Nichts mehr übrig geblieben. Auch die Flasche Rotwein hatten wir – zu meinem Erstaunen – gänzlich geleert.

Das wohlig warme Gefühl, dass der Rotwein in meinem Körper hinterließ wurde getrieben durch sämtliche meiner Glieder und verursachte ein berauschendes Gefühl in meinem Kopf. Ich liebte Alecs Lächeln, liebte es, wie sich seine Muskeln ganz zart bei jeder Bewegung abzeichneten und liebte es noch viel mehr, wie er sich verhielt, wenn er in meiner Nähe war; dass er ganz er selbst zu sein schien; keinen Grund hatte, sich zu verstellen.

Als wir sämtliches Essen verspeist hatten, schnippte ich neuerlich mit den Fingern und ließ sämtliches Geschirr und allen Müll verschwinden. Ich würde mich nicht unbedingt als bequem bezeichnen, doch wieso selbst sauber machen und spülen, wenn es doch auch viel einfacher ging? „Lass uns schlafen gehen.", raunte ich ihm entgegen, als ich mich leicht zu ihm runter gebeugt hatte, um ihn an seinen Händen zu mir hoch zu ziehen. Ich genoss das Gefühl meiner Haut auf seiner; kam nicht umhin einen Blick auf seine sich bewegenden und angespannten Bauchmuskeln zu werfen, als er sich erhob und unterlag großen Anstrengungen, nicht gleich über ihn herzufallen. Vorsichtig ließ ich meine Hand seine Schulter entlang nach unten über seinen Rücken gleiten, wo ich inne hielt und ihn in Richtung Schlafzimmer drängte. Müde ließ er sich auf mein frisch bezogenes Bett fallen und streckte die Arme zu beiden Seiten aus.

Nachdem ich es geschafft hatte, meine Blicke von seinem stählernen, durchtrainierten Körper loszureißen, schloss ich die Tür hinter mir und betrachtete ihn neuerlich eingehend, zu schön war sein Anblick. Zu schön, um meine Zeit nicht damit zu verbringen, ihn anzusehen. Immer und immer wieder. „Der Rotwein steht dir gut.", stellte ich amüsiert fest und ließ den bunten Kimono von meinen Schultern gleiten, dessen Stoff mir mittlerweile ziemlich überflüssig vorkam. Alles was ich nun noch am Leibe trug war eine rote, schlichte Shorts von der ich hoffte, dass sie Alec gefallen würde.

Ich bemerkte seine Blicke auf meinem Körper; auf meiner Haut, wie seine Augen von meinem Gesicht nach unten zu meinem Bauch wanderten, dorthin, wo eigentlich mein Bauchnabel hätte sein sollen, wo allerdings Nichts war außer goldfarbener Haut. Ich erkannte ein leichtes, kaum merkliches Lächeln auf seinen Lippen; ein zaghaftes Zucken seiner Mundwinkel und in diesem Augenblick wusste ich, dass es ihm nichts ausmachte, dass dort kein Bauchnabel war; dass ich kein Mensch war. Dass ich nicht so war, wie er. Er sah mich nicht als Monster, nicht als Dämon und auch nicht als Schattenwesen. Er sah mich als der, der ich war. Magnus. Und Niemand sonst. Und alleine dafür hätte ich ihn küssen können.

Alec kroch unter die Decke. Ich verweilte noch einen Augenblick, blieb ein paar weitere Sekunden vor meinem Bett stehen und krabbelte dann ebenfalls unter die Decke. Raschelnd schob ich die Decke zur Seite und rückte so nah an ihn heran, dass unsere halbnackten Körper sich beinahe berührten. Alec drehte sich zu mir um; sein Gesicht direkt vor meinem, seine Augen halb geöffnet und geradewegs auf mich gerichtet. Ein glücklicher Ausdruck lag in seinem Gesicht. Ein Ausdruck, den es nur selten bei ihm zu sehen gab, wenn seine Eltern in der Nähe waren.

„Hast du das vorhin Ernst gemeint?", vernahm ich schließlich Alecs fast flüsternde Stimme. „Das du alles für mich tun würdest?" Ich nickte langsam, ohne nachzudenken und platzierte einen meiner Finger ganz sanft auf der erhitzten Haut seiner Wange. Ganz vorsichtig ließ ich meinen Finger über seine Haut gleiten, dann über seine Lippen, wo ich einen Augenblick lang inne hielt. „Natürlich, sonst hätte ich es nicht gesagt.", erwiderte ich ebenso leise, wie er mir zuvor die Frage gestellt hatte. Wieder rückte er etwas näher an mich heran. Ganz sanft berührten sich unsere Beine, unsere Brust. Haut an Haut lagen wir uns gegenüber. Ich sog seinen köstlichen Duft tief in meine Nase und schloss für einen Augenblick die Augen; nur für den Bruchteil einer Sekunde. So kurz, dass ich noch nicht einmal wusste, ob Alec es überhaupt bemerkt hatte. Schon lange hatte ich mich nicht mehr so wohl in der Nähe eines anderen Menschen gefühlt. Wenn ich ehrlich war, hatte ich mich eigentlich noch nie so wohl in der Nähe eines Anderen gefühlt. Nicht einmal bei Camille war es so gewesen.

„Obwohl ich noch immer niemandem von uns erzählt habe?", wollte er wissen. Seine Stimme klang augenblicklich traurig. Unsicherheit schwang in dem Klang seiner Worte mit. Natürlich gefiel es mir nicht, dass wir unsere Beziehung geheim halten mussten, doch war er es Wert. Definitiv war er es Wert. Alec war anders als alle Liebhaber, mit denen ich bisher ein Bett geteilt hatte. Er war es Wert zu warten, ganz gleich wie lange es noch dauern würde, bis er endlich den Mut erlangen würde, seinen Eltern und auch allen anderen von uns zu erzählen. „Es ist nicht leicht in deiner Welt so offen mit seiner Sexualität umzugehen, wie ich das tue. Das weiß ich Alexander und ich respektiere das.", sagte ich dann. „Ich wünschte ich wäre mutig genug darauf zu pfeifen was man von mir und meiner Familie dann denken würde.", gestand er leise und lehnte sein Gesicht an meinen Hals, drückte seine Nase gegen das kleine Stück Haut unter meinem Ohr. Gänsehaut überkam mich; mein Herz schlug augenblicklich einen Takt schneller und ich erwischte mich dabei, wie ich für einen Augenblick die Luft angehalten hatte.

Zaghaft schlang ich meinen Arm um ihn, streichelte seinen Nacken und fuhr durch seine noch immer feuchten Haare. „Alec ich glaube nicht dass dieses Thema etwas ist, dass wir nach so einem Tag besprechen sollten. Du bist müde, ich bin müde. Es war ein langer Tag." Alec nickte und küsste mich aufs Schlüsselbein. Ein Kuss so zart wie ein Flügelschlag. So zart wie die Blüte einer Rose. „Weißt du...", begann er leise, „ich wünschte mir ich wäre letztens im Badezimmer nicht aus den Latschen gekippt." Ich lachte leise auf und schloss die Augen. Ein müdes Gähnen überkam mich, dass ich versuchte, zu unterdrücken. „Wir haben Zeit Alec.... wir haben noch so viel Zeit."

When Worlds Collide | Magnus BaneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt