Kapitel 10

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Ich wurde durch das leise Schnarchen eines Jemanden oder eines Etwas geweckt. Starke Arme hatten sich um meinen Körper geschlungen, als ich meine Augen öffnete. Ich trug noch immer meine Klamotten, meine Haare waren vollkommen platt gelegen und mein linkes Bein war eingeschlafen. Ich brauchte einen Augenblick bis mir einleuchtete, dass ich nicht in meinem Apartment in meinem eigenen Bett war; dass dieses leise angenehme Schnurren nicht von dem großen Vorsitzenden stammte, sondern von Alec, der neben mir schlief und mich fest umarmte. Ein Gefühl von Wärme stieg in mir auf, als mir klar wurde, dass wir zwar zusammen, aber nicht miteinander geschlafen hatte. So etwas war mir bisher auch noch nicht passiert. Für gewöhnlich kam erst der Sex, dann das zusammen einschlafen. Ganz vorsichtig drehte ich mir zur Seite, versuchte seinen Arm so zur Seite zu schieben, dass er nicht aufwachte. Kurz darauf stellte ich fest, wieso mein Bein eingeschlafen war. Alec lag halb auf mir drauf. Als wäre ich eines seiner Stofftiere hatte er mich an sich gedrückt. Irgendwie niedlich. Trotzdem musste ich ziemlich dringend auf die Toilette und gegen ein Schluck Wasser hätte ich ebenfalls nichts einzuwenden gehabt.

Alec seufzte leise auf und drehte sich dann zur Seite. Ich atmete tief durch, schob die Bettdecke zur Seite und setzte mich auf. Ich wandte meinen Kopf zurück über meine Schulter und ließ meine Blicke über seinen schlafenden Körper schweifen. Ein zufriedener Gesichtsausdruck lag auf seinem Gesicht. Seine Lippen waren zu einem sanften Lächeln verzogen und seine Lider zuckten ganz leicht. Er träumte. Ich konnte nicht anders als zu Lächeln bei seinem Anblick. Wie von selbst bewegte sich meine Hand und streichelte ganz sanft über seinen nackten Arm bis hinunter zu seinem Handgelenk, wo ich einen Augenblick verweilte. Ich fuhr die Konturen einer weiteren Rune nach, die in einem kräftigen Schwarz auf seiner hellen Haut prangte. Als er sich neuerlich bewegte und wandte, zog ich meine Hand zurück; ganz vorsichtig; immerzu darauf bedacht, ihn nicht aufzuwecken. Vorsichtig erhob ich mich von der weichen Matratze und machte mich auf den Weg zur Tür. Zwar hatte ich absolut keine Ahnung, wo sich das Badezimmer befand, doch würde das wahrscheinlich nicht gerade die schwierigste Aufgabe sein, es zu finden. Meiner Kenntnis nach verfügte das New Yorker Institut über mehrere Waschräume. Hinter irgendeiner Tür würde ich schon den richtigen Raum finden.

Für einen Augenblick überlegte ich, ob ich meine Schuhe anziehen und meine Sachen gleich mitnehmen sollte, doch dann stellte ich mir vor, wie Alec es wohl auffassen würde, wenn ich einfach so verschwand. Zurückgelassen, wie nach einem unerfreulichen One-Night-Stand. Dieses Gefühl wollte ich ihm absolut nicht vermitteln. Gerade als ich seine Zimmertür erreicht hatte, vernahm ich das Rascheln der Bettlaken. Darauf folgte ein müdes Räuspern. „Magnus?" Alec klang verschlafen. Lächelnd wandte ich mich zu ihm um und blickte in sein müdes Gesicht. Seine Haare standen ihm zu Berge und klebten ihm im Gesicht. Seine Augen waren ganz glasig und klein. Müde strich er sich mit der flachen Hand über das Gesicht und gähnte. „Du gehst?", fragte er, beinahe enttäuscht. Auch er schob die Bettdecke ein Stück zur Seite und setzte sich auf; lehnte sich mit dem Rücken gegen die hohe Holzlehne seines rustikalen Bettes. Ich konnte mir ein amüsiertes Grinsen nicht verkneifen. Dieser Anblick war ein Bild für die Götter. Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin nur auf der Suche nach dem Badezimmer." Alec nickte und gähnte erneut. „Rechts den Gang runter, zweite Tür links." Ich nickte, verweilte noch einen Augenblick und verließ dann sein Zimmer. Früher oder später würden wir wohl über die ganze Situation sprechen müssen. Zuerst der Kuss, dann das nächtliche Beisammenliegen. Selbst ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.

Entschlossen ging ich den Gang hinunter; zählte die Schritte, bis ich an der richtigen Tür angelangt war, öffnete sie und verschwand darin. Drinnen angekommen, drehte ich den Schlüssel um, um sicherzugehen, dass mich niemand bei meinem morgendlichen Ritual erwischte und warf einen Blick über den über dem Waschbecken hängenden Spiegel. Dieses Bad schien eines der kleineren Waschräume zu sein. Eine Dusche war vorhanden, ebenso wie eine Toilette und ein Waschbecken. Das war es aber auch schon. Ich schrak innerlich zusammen, als ich mein müdes Gesicht im Spiegel erkannte. Pandaaugen waren gar nichts dagegen. Wimperntusche klebte mir unter den Augen; der Lidstrich war vollkommen verschmiert und auch das Glitter, dass ich auf meine Augenlider aufgetragen hatte, hatte sich verselbständigt und sich überall auf meinem Gesicht verteilt. Meine Haare waren vollkommen platt gelegen und sahen noch schlimmer aus, als ich vermutet hatte. Ich öffnete den Wasserhahn, bildete mit meinen Händen eine Schale unter dem eiskalten Wasser und spritze mir es ins Gesicht. Erst einmal, dann ein zweites Mal wusch ich mir das Gesicht und somit das gesamte Make Up von meiner Haut runter. Als ich fertig war, drehte ich den Wasserhahn wieder zu und warf einen erneuten Blick in den Spiegel. Immer noch nicht vorzeigbar, doch wesentlich besser als vorhin. Doch ich wäre kein Hexenmeister, wenn ich das nicht mit ein paar wenigen Handgriffen wieder in den Griff bekommen würde. Ich schnippte zwei Mal mit den Fingern und schon waren meine Haare wieder zu den typischen Stacheln geformt. Ein weiteres Schnippen sorgte dafür, dass ich zumindest nicht ganz ungeschminkt Alec gegenübertreten musste. Ein letzter Blick in den Spiegel bestätigte mir, dass ich wieder vorzeigbar war. Stolz nickte ich meinem Spiegelbild zu, benutzte noch schnell die Toilette und verließ das Badezimmer.

Draußen im Flur lief ich Isabelle in die Arme, die wahrscheinlich denselben Plan gehabt hatte, wie ich. „Du bist noch hier?", mit skeptischen Blicken betrachtete sie mich von oben bis unten. Ich räusperte mich. „Offensichtlich."

„Wo ist Alec?", fragte sie dann und verschränkte beinahe vorwurfsvoll ihre Arme vor der Brust. Neugierig wippte sie mit ihrem rechten Fuß auf und ab. Das Handtuch, dass sie eben noch in ihren Händen gehalten hatte, presste sie nun gegen ihre Brust. Sie trug nur einen Pyjama, schwarze Seide, ziemlich kurz für eine junge Dame in ihrem Alter, allerdings elegant und überaus sexy. „In seinem Zimmer."

„Und wo kommst du gerade her?"

„Findest du nicht, dass es noch ein bisschen früh ist für so viel Neugierde?", erwiderte ich und machte Anstalten, ihr aus dem Weg zu gehen. Innerhalb weniger Sekunden jedoch war ihre Hand nach vorne geschnellt und hatte sich mit festem Griff um mein Handgelenk gelegt. Ziemlich stark die Kleine, das musste man ihr lassen. „Wehe du tust ihm weh.", zischte sie durch zusammengepresste Lippen. Ich atmete tief durch. Darum ging es ihr also? Ich lächelte zaghaft und entzog mich ihrem Griff. „Ich meine es Ernst Magnus. Wenn du ihm weh tust, dann werde ich dir so feste in den Hintern treten, dass du von hier bis nach Brooklyn fliegst." Mittlerweile hatte sich mein zaghaftes Lächeln in ein amüsiertes Lachen verwandelt. Es war schon ziemlich niedlich, wie sehr sie sich um ihren Bruder sorgte, doch war Alec erwachsen und alt genug seine Entscheidungen selbst zu treffen. Abgesehen davon hatte ich nicht vor, ihm  weh zu tun. Allerdings hatte ich nicht vor, ihr das auf die Nase zu binden. „Sollte es tatsächlich so weit kommen würde ich dich bitten, Sneaker zu tragen. Diese hochhackigen Schuhe können ziemlich schmerzhaft sein.", erwiderte ich kurz angebunden und wandte ihr dann den Rücken zu. Ich vernahm noch, wie sie mir irgendetwas hinterher rief, doch ich blendete ihre Worte und die Bedeutung derselben aus und machte mich zurück auf den Weg in Alecs Zimmer, wo dieser bereits angezogen auf mich wartete. Er trug nach wie vor seine graue Jogginghose und ein graues ausgeleiertes Shirt, dass ihm viel zu groß war und schon einige Wäschen hinter sich hatte. „Hi.", begrüßte er mich, als ich sein Zimmer erneut betrat und die Tür hinter mir ins Schloss fallen ließ.

„Hallo.", erwiderte ich lächelnd und ging auf ihn zu. Ich bückte mich, griff nach meinen Schuhen und ließ mich auf seinem Bett nieder, dass er in der Zwischenzeit ebenfalls bereits gemacht hatte. „Tut ... tut mir Leid, wenn ich dir heute Nacht irgendwie auf die Pelle gerückt sein sollte.", entschuldigte er sich und senkte verlegen den Blick. „Du entschuldigst dich viel zu häufig Alexander.", erwiderte ich, während ich in meine Schuhe schlüpfte und die Schnürsenkel zuband. „Es gibt absolut keinen Grund sich zu entschuldigen.", fügte ich mit fester Stimme hinzu und blickte zu ihm auf. Ich klopfte mit beiden Händen auf meine Oberschenkel und drückte mich dann von seinem Bett ab. Vor ihm kam ich zum Stehen. Auf dem Stuhl hinter ihm hing meine Robe. Ich stellte mich ganz nah vor ihn, so nahe, dass ich seinen Atem spüren und seinen Herzschlag hören konnte. „Dann ... willst du jetzt gehen? Ich meine, du kannst auch gerne noch zum Frühstück bleiben, wenn du möchtest." Ich grinste, näherte mich ihm noch ein kleines Stück mehr, drehte mich ein Stück zur Seite und streckte meine Hand nach meiner schwarze Robe aus, die hinter ihm auf dem Stuhl hing. Ich hielt einen Augenblick inne und verweilte mit meinem Lippen gleich neben seinem Ohr. „Das würde ich sehr gerne Alexander.", hauchte ich ihm leise entgegen. „Allerdings nicht hier." Ich entfernte mich wieder ein Stück von ihm und warf mir die Robe über den Kopf. „Lass uns irgendwohin gehen."

„Alleine?", fragte er nervös und aufgeregt zugleich. „Was dagegen?", erwiderte ich fragend und hob eine Augenbraue. Wild schüttelte er den Kopf. „Nein ... nein, ganz und gar nicht. Das klingt toll. Wirklich."

„Sehr schön. Ich warte dann unten auf dich.", stellte ich fest und beugte mich noch ein letztes Mal zu ihm vor. Ganz sanft streiften meine Lippen seine erhitzte Wange. Sein Körper zitterte leicht, als ich mich wieder von ihm entfernte. „Beeil dich.", flüsterte ich ihm noch zu, bevor ich ihm den Rücken zuwandte und sein Zimmer verließ. Lächelnd und selbstsicher lief ich den Gang entlang nach unten in die Eingangshalle, wo ich auf Alec warten würde. Alles in mir brodelte vor Verlangen; vor Lust und Leidenschaft. Ich hatte absolut keine Ahnung, was in mir vor sich ging, doch war ich mir ziemlich sicher, dass ich so etwas bisher noch niemals erlebt hatte. Mit Niemandem. Alec spielte in einer ganz anderen Liga und wusste es noch nicht einmal.

When Worlds Collide | Magnus BaneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt