Kapitel 43

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Ich träumte von Tod und Zerstörung, einem New York, das in Trümmern lag. Menschen lagen blutüberströmt auf den Straßen, brutal ermordet. Stille lag in der Luft, absolutes Schweigen. Die Fahrzeuge waren stillgelegt, weder Bus, Bahn noch Autos fuhren. Die Stadt war wie ausgestorben. Ich träumte von Höllenqualen, von einer Welt, die der Hölle so viel mehr glich als dem, was einmal unser zu Hause gewesen war. In New York hatte alles begonnen und sich dann weiter ausgebreitet auf den Rest der Welt.

Alec stand vor mir, gekleidet ganz in schwarz, Blut tropfte aus seinen Augen, seiner Nase, seinen Ohren, seinen Mund. Sein Mund war zu einem markerschütternden Schrei geöffnet, doch kein Ton kam heraus. Sein Gesicht zu einer grauenvollen Grimasse verzerrt hatte er seine Arme nach mir ausgestreckt. Ich reckte ihm meine entgegen, versuchte auf ihn zuzulaufen, doch mit jedem Schritt den ich machte, entfernte er sich einen weiteren von mir. Immer wieder rief ich seinen Namen, verfluchte den Himmel und die Hölle, ignorierte das beißende Feuer, dass sich meine Beine nach oben schlängelte und jeden einzelnen Zentimeter meiner Haut verbrannte. Ich rannte und rannte, doch bewegte mich nicht von der Stelle.

Dann wachte ich auf.

Ich brauchte einen Augenblick, bis ich mich an das Licht gewöhnt hatte. Ich blinzelte den Schlaf in meinen Augen weg und war nicht minder verwirrt, als ich den alten Kellerraum wieder erkannte, in dem Elijah mich und den Rattenjungen gefangen gehalten hatte. Alec neben mir stand hastig auf; schien ebenso verwirrt, wie ich es war. Ich blickte mich aufmerksam um, entdeckte das auf dem Boden aufgezeichnete Pentagramm, dass das Tor zu Idem geöffnet hatte, ebenso wie Simons getrocknetes Blut. Die Tür zur Treppe, die zurück zum U-Bahn Schacht führte, stand weit offen. Ein kühler Windhauch fegte durch den Raum und ließ mich erschaudern. „Magnus?", hörte ich Alecs verwunderte Stimme.

„Was...wo sind wir?", fragte ich leise, nachdem ich es endlich geschafft hatte, meine Augen offen zu halten. Ich war noch immer geschwächt, doch fühlte ich mich mittlerweile glücklicherweise etwas besser. „Zurück... denke ich.", erwiderte Alec, nicht sicher, ob er seinen eigenen Worten trauen konnte. Ich legte die Stirn in Falten und tastete mich an Armen, Brust und Kopf ab auf der Suche nach weiteren Verletzungen und Wunden, die diese Halluzination möglicherweise hervorgerufen haben könnten. Doch da war Nichts. Die Wunde an meinem Kopf heilte langsam. Das getrocknete Blut klebte noch immer an meinem Kopf, doch bis auf die blauen Flecke, die vielen blutigen Kratzer und die aufgeplatzten Wunden auf meiner Haut, verursacht durch Elijahs Feuermagie, konnte ich keine neuen Verletzungen feststellen. „Wie meinst du das? Wie ist das möglich?" Ich musste ihm Recht geben, diese Halluzination, sofern es denn eine war, wirkte unglaublich echt. Viel zu echt. Konnte es wirklich sein, dass wir zurück waren? Doch wie ...? Wie viel Zeit war vergangen? Wie lange waren wir weg gewesen? Alec presste die Lippen aufeinander. Er wirkte nachdenklich; als würde er sich an etwas erinnern. Dann jedoch wandte er sich wieder mir zu, griff mir unter die Arme und half mir vorsichtig auf die Beine. So langsam fühlte ich mich wieder einigermaßen wie ich selbst. Wenn wir tatsächlich wieder in der echten Welt waren würden auch schon bald meine Selbstheilungskräfte beginnen, die Wunden auf meinem Körper zu heilen. „Ich weiß nicht genau.", erwiderte er und stützte mich, als ich bei dem Versuch mich vorwärts zu bewegen, leicht zur Seite schwankte.

„Bist du okay?", fragte er besorgt, während er mir die steinernen Treppenstufen nach oben  half. Ich nickte. „Deine Stele ... benutze sie. Ich will wissen, ob wir wirklich zurück sind." Ich konnte mir einfach nicht erklären, was geschehen war. Niemand entkam Idem einfach so. Niemand. Und schon gar nicht als Sohn des Herrschers über Idem. Mein Vater hatte ein ganz spezielles Interesse daran, mich zu quälen, hatte ich ihm doch einst den Rücken zugekehrt. Mühevoll stützte ich mich an der Wand aus kaltem Stein ab, durchzogen mit Efeu und anderen verwelkten Pflanzen, während Alec seine Stele aus seinem Stiefel zog und begann, eine Rune auf seine Handfläche aufzutragen. Augenblicklich leuchtete die Rune auf und ich konnte sehen, wie das getrocknete Blut und die vielen Wunden auf seinen Fingerknöcheln schließlich verblassten. Es funktionierte. „Ja ich denke wir sind wirklich zurück.", stellte Alec daraufhin leise fest und atmete tief durch. „Lass uns von hier verschwinden."

Das ließ ich mir nicht zwei Mal sagen. Ich nickte und ließ mir von Alec helfen. Gemeinsam zwängten wir uns durch das enge Loch im U-Bahn Tunnel und folgten dann dem völlig zerstörten Schacht bis nach draußen. Dort angekommen gingen wir die Treppe nach oben und landeten in einem mit einem weißen Schleier bedeckten New York. New York lag unter einer dicken Schneedecke. Alles war still, kein Mucks war zu hören. Keine Menschenseele, die über die Straßen lief. Augenblicklich erinnerte ich mich an den Albtraum, der mich heimgesucht hatte. Ich sog die kalte Luft tief in meine Lungen. Es roch nach Winter. Alec runzelte die Stirn und blickte mich fragend an. „Wie lange waren wir weg?", fragte er leise. „Ich dachte in Idem vergeht die Zeit schneller als hier." Doch ich schüttelte den Kopf. „Nein.", erwiderte ich leise. „Es ist genau anders herum. In Idem steht die Zeit still, Alec."

Ich blickte mich um und erschrak als ich die Anzeigetafel gegenüber an einer Apotheke entdeckte. Ich hatte selbst keine Ahnung gehabt, wie lange wir dort unten gewesen waren, hatte daher nicht abschätzen können, wie viel Zeit womöglich hier oben bereits vergangen war. Ich hatte geglaubt, Alec wusste, dass die Zeit in Idem still stand. Doch als auch er seinen Blick Richtung Anzeigentafel wandte, wurde mir das Ausmaß seiner Unwissenheit erst richtig bewusst. „Was ...", keuchte er und ließ automatisch meine Hand los, die er bis zur letzten Sekunde festgehalten hatte um mich zu stützen. „Ich denke wir waren fast zwei Jahre weg.", flüsterte ich leise und konnte selbst kaum Glauben, wie viel Zeit vergangen war. Zwei Jahre!

Wie in Trance taumelte Alec zur Anzeigentafel hinüber. Ich folgte ihm mit langsamen Schritten, vorsichtig, darauf bedacht, nicht auf dem glatten Eis unter der dicken Schneedecke auszurutschen. Ich hielt meine linke Seite, spürte, dass offensichtlich einige Rippen gebrochen oder zumindest angeknackst waren und versuchte mich alleine so gut wie möglich auf den Beinen zu halten. Ich spürte wie die Kraft langsam zu mir zurück fand. Mit jedem Schritt fühlte ich mich ein bisschen besser, wärmer, stärker.

Alecs Hände zitterten als er sein Handy aus der Tasche zog. Es funktionierte nicht. Er stieß einen wütenden Fluch aus. „Wir müssen zum Institut, schnell." Vorsichtig legte er einen Arm um meine Schultern um mich neuerlich zu stützen. Weit und breit war kein Taxi zu finden. Wie in meinem Traum war die Stadt die niemals schlief, wie ausgestorben. Das Rauschen der U-Bahn blieb aus, das Hupen der Autos ebenfalls. Kein Kindergeschrei war zu hören, auch nicht das Gemeckere der Fußgänger. Nichts. Rein gar Nichts. Also liefen wir.

Ich war für Alec nur eine Last, das wusste ich. Wir brauchten fast eine Stunde bis wir schließlich im Institut ankamen. Auf dem gesamten Weg dorthin waren wir keiner Menschenseele begegnet. Am Institut angekommen gingen wir langsam die Treppe nach oben und machten Halt für der zweiflügeligen Tür. Alec zeichnete eine Öffnungsrune auf die Tür und schob sie wenige Sekunden später auf. Als wir die große Eingangshalle betraten, offenbarte sich uns ein einziges Schlachtfeld.

Die gesamte Eingangshalle lag in Trümmern. Möbel lagen zerstört auf dem Boden, der Aufzug, der in die oberen Stockwerke führte, war verwüstet und außer Betrieb. Die Bilder an den Wänden lagen in Scherben auf dem zerstörten Fliesen. Alec ließ mich los und rannte so schnell die Treppen nach oben, dass sich seine Beine beinahe überschlugen. Ich hielt mich an der Wand fest, tastete mich langsam an dieser vorwärts und hörte immer wieder Alecs panische Stimme, der nach seinen Geschwistern rief, während ich mich hier unten ein wenig umschaute.

Der große Kronleuchter, eines von Maryses Lieblingsstücken, lag zertrümmert auf den Marmorfliesen. Hier hatte definitiv ein Kampf stattgefunden. Ein Kampf, den kaum einer überlebt haben konnte. Sämtliche Türen waren aus den Angeln gehoben, die Fenster waren zerbrochen, Teile der Decke heruntergestürzt. Stofffetzen lagen überall herum, Statuen, die in abertausende Scherben zersplittert waren. Ich schüttelte den Kopf. Das konnte nicht sein. Immer wieder hörte ich Alecs panischen Schreie; Schreie, die das Blut in meinen Adern zu Eis gefrieren ließen.

Als die Schreie verstummten, ging ich nach oben, zerrte mich an dem halb zertrümmerten Geländer die Stufen hoch und fand Alec im Flur vor, sein Rücken zu mir gewandt. Seine Schultern hob und senkten sich unter den schmerzvollen Schluchzern. Sein gesamter Körper zitterte. Vorsichtig humpelte ich auf ihn zu. Er keuchte vor Wut. Dann schlug er so heftig mit der Faust gegen die Wand, dass ich selbst aus einem Meter Entfernung hören konnte, wie seine Knochen brachen. Ich näherte mich ihm noch ein letztes Stück und legte meine Hand ganz sachte auf seine Schulter. Was zur Hölle war hier nur passiert?

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⏰ Letzte Aktualisierung: 3 days ago ⏰

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