Taehyungs POV
Ein schriller Ton reißt mich aus meinem Traum und katapultiert mich augenblicklich in die harte Realität. Es war kein angenehmer Traum und doch legt sich nun ein erdrückendes dumpfes Gefühl auf meine Brust, als ich endgültig in der Realität angekommen bin. Ich fürchte die Nächte, ich kann kaum einschlafen und wenn ich es tue, plagen mich Albträume. Warum kann ich nicht einfach einschlafen und nicht mehr aufwachen? Ich seufze, fahre mir mit meinen Händen über das Gesicht und schwinge mich schwerfällig aus dem Bett.
Ich gehe direkt in meine Küche und mache mir einen Tee. Es ist bereits Herbst und da ich eh ständig am Frieren bin, nutze ich die Thermoskanne für den Arbeitsweg als Handwärmer.
Ich habe es nicht weit zur Arbeit, nur circa 15 Minuten Fußweg. Das ist das einzige Positive, was mich noch irgendwie durchhalten lässt. Der kurze Arbeitsweg und natürlich die Kinder, auf die ich mich jeden Tag freue. Ich liebe Kinder, aus diesem Grund habe ich mich dazu entschieden, Erzieher zu werden. Den Kindern bei ihrer Entwicklung unterstützend zur Seite zu stehen und einfach ein Teil ihres Lebens zu sein und positiven Einfluss darauf zu nehmen, ist eine wundervolle Aufgabe. Und dennoch habe ich keine Kraft mehr. So sehr ich Kinder auch liebe, so sehr liebe und brauche ich Ruhe, keine Reizüberflutende Umgebung, keine Menschen die permanent um einen umherschwirren, keine aufgesetzte Maske, damit man den Ansprüchen der Gesellschaft entspricht.
Hinzu kommt der permanente Druck, alles perfekt machen zu müssen, immer alles zu geben, ja fast schon für die Arbeit zu leben. Außerdem das Schönheitsideal, auch äußerlich sollst du makellos sein. Es geht immer nur darum allem gerecht zu werden, gerätst du ins Wanken und passt nicht mehr in die Gesellschaft, hast du verloren und verlierst an Ansehen. Dieser Gedanke macht mir unglaublich Angst.Ich drehe die Thermoskanne zu und stelle sie neben meinen Rucksack und gehe anschließend ins Bad, um mich fertig zu machen. Ich betrachte mich im Spiegel. Schon seit einiger Zeit zeichnen sich leichte Augenringe unter meiner blassen Haut ab. Normalerweise gehöre ich zu den Koreanern, die schneller braun werden. Wie meine Mutter immer zu sagen pflegte, wurde ich von der Sonne geküsst. Doch seit ich zunehmend an Gewicht verlor und mich strikt daran hielt, was und wie viel ich essen durfte, verlor ich meine Bräune mehr und mehr. Es stört mich aber nicht. Ich entferne mich von dem alten Taehyung, zumindest äußerlich und das fühlt sich gut an. Ich nehme mir meine Bürste und kämme meine blond gefärbten Haare, die wild in alle Richtungen abstehen. Nachdem ich mich von meinem Ex Freund getrennt habe, habe ich auch meine Haare gefärbt. Ich musste mich verändern. Auch wenn dieser Lebensstil und die Art, wie ich mit mir und meinem Körper umgehe, alles andere als gesund ist, komme ich davon nicht mehr los. Es ist wie ein Zwang, mich näher und näher an den Abgrund zu begeben und mich sehenden Auges dort hinein zu stürzen.
Ich seufze und versuche das schwere, erdrückende Gefühl in meiner Brust zu ignorieren und gehe zu meinem Kleiderschrank, um mich anzuziehen. Den Reaktionen meiner Familie und Freunden nach, war ich anscheinend schon immer dünn und hatte eine gute Figur. Doch zunehmend bekam ich selbst von solchen Leuten die extrem dünn als perfekt betrachteten Bemerkungen wie, “du siehst Krank aus” oder “hast du schon gegessen, du könntest etwas mehr vertragen”.Ich beginne damit mich anzuziehen. Ja, auch ich bemerke, dass meine Kleidung, die teilweise wie angegossen gepasst hat, nun anfängt zu schlabbern. Ich achte seitdem darauf Kleidung zu wählen, die größer ausfällt, um meinen schmalen Körper zu kaschieren und so unangenehmen Kommentaren zu entgehen.
Trotz all der Umstände, in die ich mich selbst hinein manövriert habe und ganz egal wie schwer mir mein Alltag auch fällt, wenigstens scheine ich Glück mit meinem Äußeren gehabt zu haben. Ich kann mich nicht darüber beschweren wie Menschen auf mich reagieren. Ganz im Gegenteil, im Alltag bekomme ich oft Komplimente und auch den ein oder anderen Vorteil konnte ich mir schon durch mein äußeres Erscheinungsbild abstauben.
Ich selbst konnte das ganze nie so wirklich nachvollziehen. Wenn ich in den Spiegel blicke, sehe ich einfach viel zu viele Makel.Fertig angezogen, werfe ich noch einen Blick auf mein Handy. Eine Nachricht von Jimin, meinem besten Freund. Ein kleines Lächeln schleicht sich auf meine Lippen und ich öffne die Nachricht “Hey Tae, ich freue mich auf nachher, halt durch und denk an uns, so lässt sich der Tag leicher aushalten <3”. Innerlich kichere ich vor mich hin und freue mich wirklich auf nachher, auch wenn die Freude gleichzeitig mit Sorge und Unsicherheit besetzt ist. Ich treffe mich nach der Arbeit mit Jimin, meinem besten Freund und Jieun, meine beste Freundin. Ich weis garnicht wo ich ohne die beiden Stehen würde. Ich bin sehr dankbar diese beiden Menschen schon seit der Schulzeit meine Freunde nennen zu dürfen. Und egal wie schwer ich es ihnen in der Vergangenheit auch gemacht habe, haben sie immer zu mir gehalten.
Ich stecke mein Handy in meine Jackentasche, schultere meinen Rucksack und nehme meine Thermosflasche, bevor ich die Tür hinter mir zuziehe und mich auf dem Weg zur Arbeit mache.

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Gebrochen | Taekook
FanficTaehyung stand mit beiden Beinen im Leben, eine Wohnung, einen Job. Doch wie soll man alles schaffen und aufrechterhalten, wenn man nicht in die Gesellschaft hineinpasst? Wenn man den Anforderungen nicht gerecht werden kann? Das einzige, worin er no...