Langsam stand ich auf und stieg auf den Beton. Unter mir ging es bestimmt fünfzig Meter in die Tiefe. Der Lärm des New Yorker Verkehrs hallte sogar bis nach hier oben. Meine Kehle fühlte sich zugeschnürt an und ich hatte das Gefühl nicht mehr atmen zu können. Ich breitete meine Arme aus und legte sie an die Wand hinter mir, was mir ein wenig das Gefühl von Sicherheit gab. Dann zog ich den anderen Fuß hinterher, sodass ich komplett auf dem lächerlich schmalen Vorsprung stand. Das Fenster musste ich offen lassen. Ich tat einen Schritt nach links und sah zum Himmel. "Du schaffst das. Du schaffst das. Du schaffst das." versuchte ich mir Mut zu machen. Mein Mund war staubtrocken und mein Puls raste. Roxy schlich anmutig an der Wand entlang. Die Höhe schien ihr überhaupt nichts auszumachen. Meine Atmung ging unregelmäßig und kalter Schweiß bildete sich auf meiner Stirn. Ich musste mich beruhigen um nicht in komplette Panik zu verfallen. Ich schloss die Augen und zwang mich dazu ruhig zu atmen. Noch einen Schritt. Und noch einen. Ich war fast bei Roxy, die auf mich wartete. "Nur noch einen Schritt" murmelte ich. "Was ist los? Du bist total blass." hörte ich Roxy irgendwo wispern. Ich wagte es nicht die Augen zu öffnen sondern schüttelte den Kopf. Nach einigen Sekunden hatte ich erneut genug Mut gefasst um die Augen zu öffnen und in Roxys verwundertes Gesicht zu sehen. Wortlos balancierte ich weiter und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie viel Überwindung mich jeder Schritt kostete. Am ersten Fenster hatten wir kein Glück, weil es verschlossen war. Das zweite war gekippt und ich vertraute auf Roxy, wenn sie sagte, dass sie es von außen öffnen konnte. Es war die absolute Hölle. Ich starb tausend Tode auf diesem dünnen Vorsprung. Mittlerweile waren meine Knie so weich, dass ich Angst hatte, dass sie bei noch einem weiteren Schritt einfach nachgeben würden. Mein Herz hämmerte gegen meine Brust, als wolle es aus meinen Brustkopf ausbrechen und vor mir in den Tod springen wollen. Roxy war damit beschäftigt, das Fenster aufzubrechen. Sie hatte sich hingekniet, was mich alleine schon einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Ihr schien es überhaupt nichts auszumachen auf einem schmalen Vorsprung zu knien und ein Fenster aufbrechen zu wollen. Zu meiner Überraschung öffnete sie das Fenster nach weniger als einer Minute, was mir allerdings wie eine volle Stunde vorkam. Leichtfüßig schwang sie sich in die Wohnung. Ich machte einen Schritt in Richtung Fenster, machte allerdings den Fehler nach unten zu sehen. Weit, weit unter mir sah ich winzige Autos an einer Ampel stehen. Verdammt. Mir wurde unwillkürlich schlecht und ich drohte, dass Gleichgewicht zu verlieren. Ich begann zu schwanken und versuchte mich verzweifelt an die Wand zu pressen. "Megan?" hörte ich Roxy aus dem Inneren des Hauses nach mir fragen. Alles begann sich zu drehen und ich kniff meine Augen zusammen, in der Hoffnung der Schwindel würde verschwinden. Meine Knie bebten vor Panik und ich wartete nur noch auf den Fall. "Megan. Hör mir zu. Du musst noch einen Schritt machen. Schaffst du das?" Ich nickte verunsichert, als ich erneut blinzelte drehte sich nicht mehr alles so stark wie noch zuvor. "Ok sehr gut. Jetzt mach die Augen auf." Ich öffnete die Augen und sah zu Roxy, die mittlerweile wieder am Fenster stand und mir ihre Hand hinhielt. "Nur einen Schritt. Dann hab ich dich." meinte sie und sah mich an. Ich atmete tief durch und trat einen Schritt nach links. "Sehr gut. Jetzt nimm meine Hand." Langsam löste ich meine Hand von der Wand und ergriff Roxys Hand. Sie hielt mich fest, sodass ich mich auf die Fensterbank setzten konnte und in die Wohnung klettern konnte. Völlig erledigt setzte ich mich auf den Boden, Roxy schloss das Fenster und setzte sich neben mich. Wir saßen dort für bestimmt eine Ewigkeit, während ich versuchte meine Atmung zu beruhigen. "Ich wusste gar nicht, dass du Höhenangst hast." meinte Roxy irgendwann. "Das weiß niemand." meinte ich dann und versuchte mich wieder unter Kontrolle zu bringen. "Dafür habe ich panische Angst vor Spinnen." murmelte sie irgendwann. Ich sah verwundert auf. "Spinnen?" fragte ich überrascht. Roxy sah auf den Boden. "Ja. Aber, dass weiß auch niemand." gab sie zu. Verständlich. Es sollte sich nicht unbedingt herumsprechen, dass eine ausgebildete Agentin Angst vor Spinnen hatte. Das könnte ihrem Ruf wirklich schaden. So etwas war vor allem für Tratschtanten wie Taylor ein gefundenes Fressen. Da war meine Höhenangst, zwar schon peinlich aber nicht so schlimm wie Roxys Spinnenphobie. "Hast du schon mal versucht, deine Angst zu überwinden?" fragte ich sie. "Natürlich. Ich habe schon so ziemlich alles ausprobiert. Von Tabletten bis Naturheilkunde hat nichts geholfen. Es ist einfach schrecklich. Jedes Mal wenn ich eine Spinne sehe kann ich mich nicht mehr bewegen. Mein Körper gehorcht mir nicht mehr und ich fühle mich wie eine vor Angst erstarrte Statue. Oder ich fange an zu kreischen und zwar richtig hysterisch. Es ist schon fast wie ein Schreikrampf und ich kann so lange nicht aufhören, bis die Spinne weg ist." erklärte sie mir. "Jeder hat vor irgendwas Angst. Das ist menschlich" murmelte ich. Mittlerweile zitterten meine Beine nicht mehr so schlimm und auch meine Atmung hatte sich beruhigt. Roxy lachte auf. "Ja, aber hier darfst du kein Mensch kein. Jeder Makel und jede Schwäche lässt dich bei der SSO schlechter dastehen. Am liebsten wäre denen, wir wären programmierte Roboter, ohne Gewissen und Vernunft." murmelte sie und starrte auf den Boden der Wohnung. "Ich weiß." War alles was ich dazu sagen konnte. Sie hatte Recht. Die SSO mochte ihre Agenten am liebsten eiskalt und skrupellos. Schwächen waren dazu da eliminiert zu werden und für Fehler gab es keinen Platz in der Philosophie der SSO. "Wir müssen los." meinte ich schließlich und stand auf. Roxy nickte und erhob sich ebenfalls. Leise schlichen wir durch die Wohnung, die offenbar verlassen war und schafften es ins Treppenhaus, wo wir nach unten gingen. Vor dem Wohnhaus rief ich Matt an. "Hey. Wir sind's. Wir treffen uns in zehn Minuten im Büro."
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Another Identity
Боевик[Teil 2] Während dem letzten Jahr wusste ich noch was gut und was böse, was recht und was schlecht war. Heute ist das nicht mehr so. Manchmal muss einem vor Augen geführt werden, dass das Gute genauso Böse wie das eigentliche Böse sein kann. Wenn...