„Renn...", hauchte er mir leise ins Ohr. Sein warmer Atem kitzelte auf meiner Haut, doch ich hatte weit Wichtigeres zu tun als mir um die seltsame Zuneigung zu meinem Bruder bewusst zu werden. Meine Augen weiteten sich, doch ich zögerte, nicht bereit Lucian zurück zu lassen.
„A-Aber-"
„Ich sagte du sollst renn!", ich zuckte zusammen als sein Befehl in einem Knurren endete, nahm die Füße in die Hand und rannte los ohne zu wissen wo sich mein Ziel befinden sollte. Die Schatten jagten mit hinterher, tauchten den Weg hinter mir in tiefste Schwärze während ich blind weiter rannte in der Hoffnung das Licht vor mir eines Tages zu erreichen.
Mein Atem ging nur noch Stoßweise, ich bemühte mich den Schmerz in meinen Füßen zu ignorieren, während ich mehr oder weniger gezwungener Maßen dem zerbrechen von Laub und Ästen lauschte die unter meinen Sohlen zerschellten.
„Renn endlich, Leiha! Ich bin nicht gestorben damit du jetzt aufgibst!", Tränen schossen mir in die Augen und ich blieb vor Schreck schlagartig stehen, doch nicht etwa weil mein Bruder wieder diesen Befehlston anlegte, sondern weil mir plötzlich alles wieder in den Sinn kam - Der Angriff auf unser Rudel, das zerfetzen von Fleisch und Blut, selbst der Geruch nach Metall der mich zu übermannen drohte. Verschwommen erinnerte ich mich an Lucians Schemen, als er mich gepackt und tief in den Wald gezerrt hatte und dann dieser Wolf mit den roten Augen... Die Schatten holten mich ein. Ich Schrie - dann verschluckten sie mich vollkommen.
Am Morgen
Schweißgebadet schreckte ich aus dem Schlaf - Ich hatte wieder geträumt, wie jeden Tag seit vier Wochen. Doch heute würde ich mich nicht wieder hinlegen, mir die Decke bis an mein Kinn ziehen und leise vor mich hin wimmern bis die grausame Realität sich nicht länger zurück drängen ließ. Denn heute war der Tag gekommen an dem ich dieses Haus verließ, mitsamt seiner schönen und grausamen Erinnerungen. Seit einem Monat lebte ich hier nun allein - man hatte mir die Zeit gegeben um meine Gedanken zu Sortieren und mir der Veränderung in meinem Leben bewusst zu werden. Auf eine brutalere Art hätten sie es selbstverständlich nicht tun können, doch es war meine eigene Entscheidung gewesen in dem Haus meiner Familie zu bleiben bis der Schulsekretär meines neuen Rudels mich abholte.
Langsam schlug ich mir die Decke von meinem Körper, schwang die Beine über die Bettkante und erhob mich. Für einen kurzen Moment blieb mein Blick an dem grünen Koffer hängen den ich gestern Abend ordentlich an meine Zimmertür geschoben hatte. Fotos, Familienvideos, mein Märchenbuch aus Kindesalter und das lieblingsarmband meines großen Bruders hatte ich eingepackt als meine Kleidung verstaut gewesen war.
Nun steuerte ich auf das Badezimmer zu, öffnete die Tür, und stellte mich stumm unter die Dusche. Kaltes Wasser ergoss sich über meine angeheizte Haut, ich schauderte wich aber nicht zurück. Als das Wasser allmählich wärmer wurde, entspannte ich mich ein wenig und spürte wie das Leben zurück in meine Glieder kroch - wie es die Schatten aus meinen Träumen hinfort spülten bis sie im Abfluss verschwanden. Dann wusch ich mich, schäumte meine schwarzen Haare ein und berührte vorsichtig die Narbe an meiner Schulter während ich mich weitere Waschungen zuwandte.
Nachdem ich das Wasser abgestellt, mir meine Haut mit einem der weißen Handtücher trocken gerubbelt und meine Zähne geputzt hatte, begab ich mich in die Küche und drehte das Radio leise an. Mein Magen gab ein leises Knurren von sich, weshalb ich den Kühlschrank aufriss.
»Heute zu Gast ist der Erfolgreiche Gründer Nathen McRoad! Sagen sie Mr.McRoad, sie sind im Besitz eines Privatinternats, einer Universität und Sponsor verschiedener Kinderheime. Es scheint also als seien sie vor allem an der Bildung ihrer Mitmenschen interessiert, womit Begründen sie ihre Neugierde?«
Ich griff nach dem letzten Schokoladenpudding, nahm mir eines der Löffel in der Schublade und lehnte mich neben die Lautsprecher der einzigen Geräuschquelle. Ich empfand es als Ironisch ausgerechnet dem Interview, zwischen dem Alpha meines neuen Rudels und einem einfachen Menschen, zu lauschen. Genüsslich führte ich den Löffeln zu meinem Mund und wartete bis das Aroma der künstlichen Schokolade meinen Gaumen vereinnahmte, bis ich es letztlich hinunter Schluckte.
»Ich freue mich hier sein zu dürfen, Mr.Liam. Sie haben Recht, ich teile die Meinung der heutigen Gesellschaft. Während die Politik sich mit neuen Dingen, wie dem Freihandelsabkommen, dem Waffen Export und der vollkommenden Überwachung beschäftigt, wird das Thema Bildung komplett vernachlässigt. Es ist mir ein Persönliches Anliegen daran etwas zu ändern.«
»Es ist uns kein Fall bekannt in dem sie eine öffentliche Schule Finanzieren. All ihre... Immobilien sind Privat für einige, wenige Menschen gedacht. Wie können sie uns das erklären?«
Ich sagte nichts, immerhin gab es niemanden in diesem Raum der meiner Antwort Gehör schenken konnte. Doch das sarkastische Grinsen in meinem Gesicht ließ sich dennoch nicht verdrängen - der Gedanke welch ein Chaos doch ausbrechen würde, wenn Menschen auf die gleichen Schulen, die gleichen Universitäten, selbst die gleichen Waisenheime wie wir Werwölfe gingen, war zu absurd um wahr sein zu können.
Ich zuckte zusammen als es an der Tür klingelte, beruhigte mich dann aber schnell wieder. Ehe ich noch einmal in mein Zimmer lief um den Koffer zu holen, beendete ich das Gespräch zwischen Mr.McRoad und Mr.Liam indem ich das Radio ausschaltete. Mit meinem Gepäck in der Hand eilte ich zur Haustür, schaute jedoch durch den Spion ehe ich sie öffnete.
Eine freundliche, ältere Dame stand vor mir. Ich schätzte sie auf Mitte Fünfzig. Ihre Haut hatte leichte Falten, dicke Augenringe lagen wie Schatten unter ihren grünen Augen. Und ihr einst schwarzes Haar war durchzogen mit grauen Strähnen. Sie war füllig, mit ihren 1.63 Metern nur ein wenig größer als ich selbst, besaß aber trotz allem ein freundliches Lächeln als sie mich ansah.
„Du bist dann wohl Leiha Surhen. Mein Name ist Chloe Heaven, aber wir haben ja bereits Telefoniert. Das mit ihrer Familie tut... mir wirklich aufrichtig leid. Ich weiß wie es ist jemanden zu verlieren, letztes Jahr ist mein Mann von uns gegangen", ihr blick wurde trüb als sie dies erzählte.
„Das...tut mir leid", murmelte ich unschlüssig was ich darauf erwidern sollte. Doch offensichtlich hatte ich keinen Fehler begangen. Die Frau nickte kurz angebunden und deutete mir schließlich ihr zu dem silbernen Audi zu folgen der an der Straßenseite parkte.
„Du wirst sehen unsere Schule umfasst ein sehr weitläufiges Gebiet. Wir besitzen einen eigenen Wald, mehrere Wohnhäuser und das Schulgebäude selbst sieht fast ein wenig wie ein altmodisches, großes Herrenhaus aus! Wir haben alles nach dem stiel des 18.Jahrhunderts eingerichtet. Weißt du auch wieso?"
Ich verstaute meine Sachen im Kofferraum während Mrs.Heaven ihre Freude dabei zu haben schien mich mit Informationen zu bomben die ich mir sowieso nicht merken würde. Ich blinzelte irritiert, lief zu der Beifahrer Tür und stieg ein ehe ich zu einer Antwort ansetzte:" Ich nehme an das 18.Jahrhundert war die Blütezeit unserer Gattung. Mein Vater hat mir erzählt fast 6% der Bevölkerung bestand aus unsereins. Das ist... wirklich viel"
Zufrieden nickte die Sekretärin, startete den Wagen und fuhr los. Ich lehnte mich in dem Sitz zurück, wandte meinen Kopf dem Fenster zu und ignorierte das stechen in meiner Brust, dass mir verriet das es immer noch Schmerzte über meine Familie zu sprechen. Glücklicherweise schien Mrs.Heaven zu bemerken das mir nicht nach reden zumute war und so schwiegen wir den Rest der Fahrt.
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Omega: Academy of the Pack
Manusia SerigalaDas Omega, ist das schwächte Glied im Rudel. Es wird herablassend behandelt und spielt den Sündenbock für all seine Gefährten - Doch im Gegensatz zu einem Wolf, ist ein Werwolf immer auch zum Teil menschlich. In einer Zeit in der die Gestaltwandler...