Kapitel 7:
Was soll ich mit der Liebe, wenn sie den Himmel mir zur Hölle macht.- William Shakespeare
Das Interessante am Zugfahren war für mich schon immer die Tatsache gewesen, dass man die Verhaltensweisen von Fremden völlig ungeniert beobachten konnte. Natürlich war mir bewusst, dass sich so etwas nicht gehörte, aber es war verdammt spannend, das Mienenspiel von Personen zu beobachten, die mir gänzlich unbekannt waren. Ein Hoch auf den kleinen Hobbypsychologen in mir. Darüber nachgedacht ein Psychologiestudium zu beginnen, hatte ich allerdings nie so wirklich. Ich spekulierte gern, warum Menschen sich in gewissen Situationen so verhielten, wie sie sich eben verhielten, aber was interessierten mich ihre Probleme? Für meine Probleme interessierte sich ja auch niemand.
Um ehrlich zu sein, wusste ich gar nicht wirklich, was ich nach der Schule machen wollte. Ich wusste nur, was ich nicht machen wollte und das brachte mich nicht gerade weiter. Von mir aus sollte sowieso erst einmal alles so bleiben, wie es im Moment war, zumindest was YouTube und Mediakraft betraf. Ich war eben ein Gewohnheitstier.
Wenn es allerdings um mein Familienleben ging, konnte ich die nächste Veränderung gar nicht mehr wirklich abwarten. Bis 18, hatte ich meiner Oma damals gesagt, bis 18 lasse ich sie nicht allein. Was dieses Versprechen, welches ich mir selbst abgenommen hatte, für Ausmaße hatte, war mir vor über sechs Jahren natürlich nicht bewusst gewesen. Mit elf hatte ich ein ziemlich positiven Blick in die Zukunft gehabt, was wahrscheinlich daran lag, dass ich mit elf noch keinen Ahnung vom Leben gehabt hatte.
Ich war froh, dass es in fast 3 Monaten soweit war und ich mein Versprechen wieder los war, nach meinem 18ten wollte ich mit Zack und Nikkie zusammenziehen. Eigentlich sollte Em auch mit von der Partie sein, aber vor etwa einem halben Jahr hatte sie das Angebot bekommen, ihr letztes Schuljahr an einer Privatschule in Houston zu absolvieren. Mittlerweile freute sie sich sogar schon irgendwie, bis dahin war es auch ein ziemlich steiniger Weg gewesen. Zu Anfang wollte sie das Angebot ablehnen, weil sie uns nicht allein lassen wollte. Wobei sich das „uns" sicher mehr auf mich bezogen hatte, als auf Nikkie oder Zack, was ich ihr schlecht verübeln konnte.
Seufzend strich ich mir eine blaue Strähne aus meinem Gesicht und blickte aus dem Fenster des Zuges auf die Landschaft, die an mir vorbeiraste.
„Nächster Halt Kleinmachnow! Ausstieg in Fahrrichtung links!", ertönte es und ich erhob mich von meinem Platz, um den Zug zu verlassen.
Der Zug stoppte und ich fasste automatisch an eine der Stangen, jedoch nicht ohne mir meinen Jackenärmel über meine Hand zu ziehen. Wer weiß, wer da schon alles dran getatscht hatte!
Etwas verpeilt stand ich nun auf dem Bahnsteig mitten im nirgendwo, wobei mein „nirgendwo" nur eine Haltestelle am Ortsrand einer Kleinstadt in der Nähe von Potsdam war.
Gemütlich lief ich dann einfach los und checkte währenddessen meine Twitter- und Facebookbenachrichtigungen. Nach etwa fünf Minuten merkte ich, dass ich in die falsche Richtung gelaufen war. Das durfte man wirklich keinem erzählen, eigentlich müsste ich nach etwa 8 Jahren endlich einmal wissen, welchen Weg ich nehmen musste, um zum Pflegeheim meiner Großmutter zu kommen. Pustekuchen. Genervt stieß ich meine eingezogene Luft wieder aus und lief in die entgegengesetzte Richtung.
Mein Blick saugte die so friedlich wirkende Natur förmlich ein, die tanzenden Schmetterlinge, das Zwitschern der von mir eigentlich verhassten Piepmätze, das Rauschen des Windes, der bei diesen entsetzlich heißen Temperaturen für etwas Abkühlung sorgte. Für mich stand fest, wenn ich später einmal Kinder haben sollte (Achtung Konjunktiv!), würde ich alles dafür tun, dass sie im „Grünen" aufwuchsen.
Schon vom Weiten erkannte ich meine Großmama auf einer Bank im riesigen Garten des Pflegeheims sitzen. Neben ihr saß ihr Verehrer Herr Schmidt, der immer für einen Partie Schach zu haben war, schon seit Jahren machte er meiner Oma den Hof und ich hatte das Gefühl, dass sie ihm gar nicht so abgeneigt war, wie sie immer sagte.
„Fräulein Amalia! Es freut mich, sie zu sehen!", er ergriff meine Hand und deutete einen Handkuss an. Das war typisch für Herrn Schmidt, als ich damals mit zehn das erste Mal meine Oma besucht hatte und er mich mit einem Handkuss begrüßt hatte, war ich rot angelaufen und wusste nicht, was ich sagen sollte. „Ich freue mich auch,Sie zu sehen Walter, wie geht es Ihnen?" „Ich kann mich bei solch bezaubernder Gesellschaft nicht beklagen, aber ich verabschiede mich, sie haben sich sicher einiges zu erzählen.", mit einer leichten Verbeugung verabschiedete er sich von uns und ging seines Weges.
„Bezaubernde Gesellschaft also?", wiederholte ich seine Worte mit fragendem Unterton und sah meine Oma schmunzelnd an, nachdem ich neben ihr Platz genommen hatte. „Ach du kennst den alten Kauz doch!", entwich sie mir, was mich zum Lachen brachte. „Lass uns über was anderes reden, wie waren die letzten Tage ?", fürsorglich strich sie mir über mein Haar. Ich zuckte nur mit den Schultern. „Hat er...", setzte sie besorgt und wütend zu gleich an, jedoch unterbrach ich sie rasch: „Nein ich hab ihn fast gar nicht gesehen." „Und was liegt dir dann auf dem Herzen Liebling?" „Ach ich weiß auch nicht." „Hört sich nach einem jungen Mann an.",es war eine Feststellung keine Frage. Verwundert sah ich meine Omi an und sagte dann: „Mehr oder weniger... irgendwie schon.", ich wusste es selbst nicht einmal. Auffordernd sah mich die alte Dame an. „Florian Mundt.", erschrocken über meine eigenen Worte, zuckte ich zusammen. Beschäftigte sich mein Unterbewusstsein wirklich so sehr mit ihm? „Und?", hakte sie weiter nach. „Ich hab ihm am Montag zum ersten Mal wirklich gesehen und es war irgendwie seltsam." „Zum ersten mal wirklich?", „YouTube.", meine Oma nickte verstehend und fragte dann: „Inwiefern seltsam?" „Ich weiß es doch auch nicht!", verzweifelt vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen. Nie hätte ich gedacht, dass Floid mich unterbewusst so fertigmachte. „Ach Liebling!", sie drückte mich und irgendwie half mir das, das Chaos in meinem Kopf zu bekämpfen. „Hört sich so an, als hätte Florian dein Herz gestohlen.", sagte sie dann. Bitte was?! Hatte ich mich eben verhört. „Das ist jetzt nicht dein Ernst oder?", verwirrt sah ich zu ihr auf, aber statt mir zu antworten, lächelte sie nur. Na danke auch! „Ich bin sicher nicht in ihn verliebt! Als er mich angesehen hat, hatte ich das Gefühl, er weiß einfach alles über mich!", sagte ich dann, aber meine Oma lächelte einfach weiter. „Du interpretierst da zu viel rein, du solltest weniger Kitschromane lesen.", stellte ich klar, konnte mir aber auch irgendwie ein Lächeln nicht verkneifen. Was war bloß los mit mir?
„Außerdem, was soll ich mit der Liebe, wenn sie den Himmel mir zur Hölle macht.", „Ja ja ich weiß.", seufzte sie.
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If you're going through hell, keep going (LeFloid FF)
Fanfiction(LeFloid x OC) Ein geschickt gesponnenes Netz aus Lügen, eine gehörige Portion Sarkasmus, sowie eine Prise Selbstironie und eine effektive Verdrängungstaktik mehr braucht Mel nicht, das selbsternannte menschliche Komplettfiasko, um sich still und l...