Kapitel 41:
„Ich mag nicht Freundlichkeit bei tückischem Gemüte." - William Shakespeare
Entgegen meiner eigenen Erwartungen lungerte ich nicht wie sonst üblich zwischen halb zehn und viertel nach elf in der letzten Reihe und versetzte meinen Deutschkurs in völlige geistige Ekstase mithilfe meiner bahnbrechenden Erkenntnis über Jean-Baptiste Grenouille aka dem Chuck Norris unter den multiresistenten Keimen und ließ meine Deutschlehrerin einmal mehr an ihrer Berufswahl zweifeln. Nein. Dieses durch und durch fabelhafte Ereignis musste leider noch etwas auf sich warten lassen.
Per Einmann-Eskorte war ich nämlich zum Thronsaal zur Privataudienz zitiert worden. Unschuldig wie ein Lämmchen befand ich mich im Deutschunterricht, bereit die literarischen Gefilde zu revolutionieren und somit die ganze Welt zu verändern, um meinen verdienten Platz zwischen den großen Reformatoren und Revolutionären unserer Geschichte einzunehmen. Ab diesem Tag würde der Name Amalia Lehmann in einem Satz mit Lenin und Marx genannt werden! Während also mein eigener kleiner, poetischer Putsch still und leise in der hintersten Ecke des Raumes 217 der Hermann – Hesse – Gesamtschule das Licht der Welt erblickte, kam es unerwartet zu Komplikationen eben jener Geburt.
Das Auftauchen von Frau Gräfe hatte auf meine Revolution die gleiche Wirkung wie die Kindersicherung beim Plan die Welt zu erobern. Binnen weniger Sekunden verpuffte sie ganz einfach.
Kein Low-Budget-Horrorfilm hätte sich eine bessere Szenerie leisten können als die miserabel beleuchteten Gänge unserer Schule, die mit kaputten Schließfächern an beiden Seiten gesäumt und dreckigen Wänden und Böden, die durch den Schmutz an manchen Stellen ineinander übergehen zu schienen, so dass man automatisch darauf wartete, einem Drogendealer zu begegnen oder spätestens in den versifften Toilettenräumen ein benutztes Fixerbesteck zu finden. 'Wir Kinder von der Hermann – Hesse – Gesamtschule'(*) die nächste, von mir anvisierte, literarische Revolution.
An Flucht war nicht zu denken gewesen, denn Frau Gräfe, meine Einmann-Eskorte, die auch eine Horde Dementoren hätte sein können, umschwirrte mich den gesamten Weg über wie ein Rudel aufgestachelter deutscher Schäferhunde.
So saß ich nun im Vorzimmer und redete mir, unter strenger Beobachtung meiner Klassenlehrerin, den lauwarmen Kaffee schön. Erfolglos, das Zeug in der Tasse wirkte eher wie rostiges Leitungswasser und schmeckte auch so. Der Service hier ließ zweifellos nach. Ein heimlicher Seitenblick verriet mir, dass der große Kaffeevollautomat die längste Zeit im Sekretariat heimisch gewesen war. In einer Woche gab es hier unter Garantie Mord und Totschlag, der Verwaltungstrakt wird zum Krisengebiet mutieren. Jede Wette.
Ich hatte nicht einmal Interesse daran zu erfahren, weshalb mir schon wieder die außerordentliche Ehre zuteilwerden sollte, ihm persönlich Aufwartung zu machen. Was wollte der Direktor mir schon tun? Den guten Kaffee hatte er allem Anschein nach ja bereits ins Exil verbannt, viel mehr war in diesem Höllenloch nicht drin. Sogar die Gelegenheit der Gräfe wegen ihrer heutigen äußerlichen Erscheinung (Kompliment an die Blusenknöpfe, die fester angenäht sein mussten, als es mein Lebenswille jemals gewesen war und jemals sein wird) verstrich von mir ungenutzt.
Das Einzige, was ich intensiv anstrebte, war so schnell wie irgend möglich zu verschwinden.
~ Sich in einen Kokon aus Sarkasmus, Selbstmitleid und falschem Desinteresse an allem und jedem zu verkriechen, führt auf Dauer ins Nichts Amalia von Himmelreich. Ich bin mir sicher, du weißt das ~
„Es freut mich, dich zu sehen."
„Beruht nicht auf Gegenseitigkeit.", warf ich in Angriffslaune zurück, der Anstandswauwau hinter mir schnappte bei meinen Worten empört nach Luft. Glücklicherweise schossen aber nicht die besagten Blusenknöpfe durch die Gegend, obwohl ich dem Mann mir gegenüber mindestens drei Stück ins Gesicht gegönnt hätte. „Sie können uns dann allein lassen werte Frau Kollegin. Setz' dich bitte Amalia."
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If you're going through hell, keep going (LeFloid FF)
Fanfiction(LeFloid x OC) Ein geschickt gesponnenes Netz aus Lügen, eine gehörige Portion Sarkasmus, sowie eine Prise Selbstironie und eine effektive Verdrängungstaktik mehr braucht Mel nicht, das selbsternannte menschliche Komplettfiasko, um sich still und l...