Liebe ist nicht Liebe

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Kapitel 45:


"Liebe ist nicht Liebe, wenn sie sich mit Nebenrücksicht vermengen kann." - William Shakespeare

Die Atmosphäre am Tisch fühlte sich unterkühlt an. Unterkühlt und falsch. Einfach so unglaublich falsch. So falsch wie es eine Erbse in einer Dose Möhren sein konnte, die mich im Alter von zarten drei Jahren zu einem ausgereiften Tobsuchtsanfall getrieben hatte.

Ich fühlte mich falsch an, deplatziert, ein verkrüppeltes Entchen in einem Schwarm aus Schwänen. Oder eher ein verkrüppeltes, ziemlich dummes Entchen, was unglücklicherweise dem Gelege eines Schwanenpärchens zu nahe gekommen war und nun zusehen musste, lebend und möglichst ungerupft aus dieser Misere herauszukommen.

Kurzum, ich war die Erbse in der Dose Möhren, die dieses Mal Flos Mutter zur Weißglut brachte.

Seine Eltern hingen ganz offensichtlich, eher kaum übersehbar, noch an Ina. Wer konnte es ihnen auch verübeln? Ich keinesfalls.

Sie schien so perfekt mit ihrem hübschen Puppengesicht, den tanzenden Sommersprossen auf ihrer Nase und einem Glänzen in den Augen, das auf eine anziehend faszinierende Art und Weise so wirkte, als ginge die Sonne erneut in ihnen auf, um einiges prächtiger, als sie es jemals am Himmel tun würde.

Okay, das war jetzt vielleicht etwas arg dick aufgetragen. Bevor hier irgendjemand auf die Idee kommt, meinen lyrischen Erguss als schamlose, sarkastisch gemeinte Übertreibung identifizieren zu wollen, ich habe nur sehr blumig umschrieben, dass sie mich in mehr als einer Hinsicht furchtbar alt aussehen ließ. Buchstäblich sogar. Ernsthaft, ich hatte wahrscheinlich schon jetzt vielmehr (Zornes)Falten als Ina in ihrem Leben je haben wird.

Ich widerstand dem Drang, reflexartig bei dem Gedanken missbilligend über meine Stirn zu rubbeln. Es war schließlich nicht nötig, mich auch noch selbst vorzuführen.

Und sie hatte dieses tolle Lächeln, mit zwei Grüppchen, die schräg über den Mundwinkeln jeweils eins rechts und eins links saßen, die es so viel persönlicher machten. Ina schien so voller Leben zu sein, dass sie geradezu von innen leuchtete und Flo, der strahlend über ihre Schultern blickte und beide Arme vor Inas Bauch verschränkt hatte, gleich noch mit ins Rampenlicht dieser Welt zog.

Dagegen war ich die reinste Tatort-Leiche in einer schlecht belichteten, sehr räudigen Gasse in Kreuzberg. Was übrigens auch das absolut Einzige auf dieser Welt sein dürfte, worin Mama Mundt und ich uns einig waren.

Meine Augen klebten unentwegt an dem Foto von Ina und Florian, das die Kommode gegenüber des Esstisches und meines Platzes dominierte und somit meiner unsichtbaren Tischdame gleichkam. Langsam fragte ich mich, ob ich Mama Mundt unbedacht voll in die Karten gespielt hatte, indem ich diesen Platz gewählt hatte oder ich inzwischen vollends an Paranoia litt und es sich hierbei um einen harmlosen Zufall handelte.

Nein, bei genauer Betrachtung aller Umstände war das kein Zufall mehr, man konnte es sich nicht mal guten Gewissens als Pech schönreden. Schon beim Öffnen der Haustür war ihr linker Mundwinkel in die Höhe geschossen (also genau das gleiche, was mir immer passierte, wenn ich Frau Gräfe sah und seit der Mathe-intensiv-Stunde zu einer Art halbseitigen Gesichtslähmung mutiert war), ein eindeutiges Anzeichen für unverhohlene Verachtung.

Weshalb das Ganze bereits so eskaliert war, bevor ich überhaupt einen Fuß über die Türschwelle gesetzt hatte, frag's Pferd, ich hatte keinen blassen Schimmer.

Vielleicht waren es die blauen Strähnen in meinen rabenschwarzen Haaren, der Lidstrich, dass verdammte Kreuzbergtattoo auf meinem Mittelfinger, was ihr natürlich nicht verborgen blieb, im Gegensatz zu meinem Bekanntenkreis, dem es entweder gar nicht oder zumindest nicht bei der ersten Begegnung quasi in die Augen gesprungen war, das schwarze, geblümte Kleid mit so viel Ausschnitt, dass sogar eine Pfarrerstochter in den frühen Fünfzigern damit hätte aus dem Haus gehen dürfen oder die Tatsache, dass ich nicht Ina war.

If you're going through hell, keep going (LeFloid FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt