Kapitel 44:
„Der Narr denkt, dass er ein Weiser ist und der Weise weiß, dass er ein Narr ist." - William Shakespeare
Splitterfasernackt lag ich eng an Flo geschmiegt in den Federn und war überzeugt, diese Nacht kein Auge mehr zu tun zu können. Das heiße, wohlige Kribbeln, was noch vor kurzem meinen gesamten Körper summen ließ, war längst wieder gänzlich verpufft, zurück blieben ein beschwipstes Gefühl und ein in jedem Maße erschlagender Gedankenstrom. Eine gute Stunde dürfte es inzwischen her sein, dass ich, mit großer Verwunderung, festgestellt hatte, dass Florian tatsächlich tief und fest schlief. Seine Lippen waren einen winzigen Spalt breit geöffnet, die Stirn glatt und seine Augen huschten hin und wieder unter den Lidern. Ich glaube, ich hatte ihn zuvor noch nie richtig schlafen sehen. Es war fast schon seltsam, ihn so ruhig zu sehen, so ganz ohne schalkhaftes Lächeln im Gesicht, nach oben gezogene Augenbrauen oder wildes Herumgezappel. Er sah jünger aus, ausgeruhter, ich fragte mich, wie er wohl in meinem Alter gewesen war. Vermutlich weniger abgefuckt.
Seitdem hatte ich mich keinen Zentimeter vom Fleck bewegt, wenn er wenigstens einmal schlief, wollte ich es nach Möglichkeit vermeiden, ihn zu wecken. Also nahm ich es schweigend in Kauf, dass mein Arm, auf den gefühlt mein halbes Körpergewicht drückte, einschlief, ignorierte das ansteigende Arthroserisiko im Handgelenk als Begleiterscheinung einer Armquetschung und versuchte der Tatsache, nicht genügend Sauerstoff in meine Lunge zu bekommen, da mein Kinn äußerst ungünstig auf seiner Brust platziert war und ich mich quasi gerade selbst irgendwie erstickte, keine besondere Beachtung zu schenken.
Ich lag einfach nur da, genoss etwas die leichte Wärme, die von ihm ausging und seinen Geruch, der unverkennbar in den Laken hing und begnügte mich damit, die Regentropfen zu beobachten, die gegen das Schlafzimmerfenster peitschten und sich ihren Weg die Scheibe hinunter bahnten. Flo die ganze Zeit über beim Schlafen zuzusehen hatte mich letztlich doch ziemlich angecreept und wer weiß, wäre er aufgewacht, wäre das unendlich peinlich geworden und von Peinlichkeiten gegenüber Flo existierten mittlerweile mehr als genug, meiner Meinung nach.
Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich. Ob sich meine Mutter wohl Sorgen machte, dass ich mitten in der Woche abends nicht zuhause auftauchte? Allerdings wäre es auch nicht das erste Mal. Allerdings das erste Mal, dass mich jemand daran erinnert hatte, dass sie sich Sorgen machen könnte. Flo hatte mich vorhin noch gebeten, ihr kurz Bescheid zu sagen, ich hatte erst genörgelt, dann schließlich doch mein Handy gezückt und eine Nachricht getippt und anschließend „Erledigt!", gegrinst.
Dabei hatte ich bloß Zack auf eine Nachricht geantwortet, ich hatte ja nicht mal die Handynummer meiner Mutter.
Angespannt zog ich meine Unterlippe zwischen die Zähne und kaute auf ihr herum. Theoretisch hatte ich ihn ja nicht angelogen. Es handelte sich lediglich um eine kreative Information in Bezug auf reale Sachverhalte mit der Intension mittelfristig Stress zu unterbinden, oder? Immerhin hatte ich ja nicht gesagt: „Ich hab' meiner Mutter Bescheid gegeben." Raffiniert nicht? Eigentlich mehr perfide als raffiniert. Egal, wie hübsch ich es ausformulierte, Lüge war Lüge. Lüge blieb Lüge.
Was ist, wenn Lügen mein einziges Talent war?
Ich hatte Angst, dass Lügen mein einziges Talent war. Dass es alles war, was ich konnte, was ich war. Ich hatte Angst, die Wahrheit zu sagen und noch mehr, dass ich den Unterschied nicht mehr erkannte.
Ich hatte keine Angst, sie hatte längst mich, zerfressen, durchdrungen in jeder Pore, erschlagen.
Die Angst war meine Lüge und die Wahrheit meine Angst.
Ich wachte auf und hatte das Gefühl, nicht länger als fünf Minuten geschlafen zu haben, Flo lag nicht mehr neben mir, der Himmel schien mausgrau und die Fensterscheibe immer noch voller Regentropfen, im Bett war es kalt geworden. Die Augen genervt zusammengekniffen tastete ich, im Bett sitzend und meine Existenz und vor allem die frühe Uhrzeit verfluchend, müde mit dem Fuß nach meiner Unterwäsche auf dem Boden. Schlecht gelaunt tapste ich Richtung Tür und pflückte Florians Shirt von der Türklinke, das hatte da vergangene Nacht noch nicht gehangen. Meine Mundwinkel zuckten unwillkürlich hoch und ich streifte es mir lächelnd über den Kopf.
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If you're going through hell, keep going (LeFloid FF)
Fanfiction(LeFloid x OC) Ein geschickt gesponnenes Netz aus Lügen, eine gehörige Portion Sarkasmus, sowie eine Prise Selbstironie und eine effektive Verdrängungstaktik mehr braucht Mel nicht, das selbsternannte menschliche Komplettfiasko, um sich still und l...