Ein tiefer Fall

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Kapitel 27:

"Ein tiefer Fall führt oft zu hohem Glück" - William Shakespeare

Ich war nicht in der Lage zu sprechen oder mich auch nur einen Zentimeter zu bewegen, nicht einmal atmen konnte ich.

Paralysiert stand ich einfach nur da, meinen Blick starr auf den Aufdruck seines Shirts gerichtet, weil ich es nicht wagte, Florian in die Augen zu sehen.

Mein Hals fühlte sich plötzlich furchtbar kratzig an und ich hörte nur noch das Blut in meinen Ohren rauschen.

Wie durch eine dicke Schicht Watte erreichte mich Steves gemurmelte Verabschiedung.

Jeder meiner Gedanken zog sich wie Kaugummi, quälend langsam erfasste ich die Situation, in der ich mich befand. Von einer Sekunde auf die nächste wurde ich von jemandem in Eiswasser getaucht. Der Strom aus Reizen, die meine Neuronen auf einmal wieder in mein Gehirn weiterleiteten, schien immer stärker statt schwächer zu werden.

Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich so nah vor Flo stand, dass meine Nasenspitze leicht sein Shirt berührte, ich wurde mir der Wärme seiner Hände bewusst, die durch zwei Schichten Kleidung sickerte, so dass ich sie auf meiner nackten Haut spüren konnte. Offenbar musste er sie wohl reflexartig auf meine Hüfte gelegt haben, als ich in ihn hineingerannt war. Wir standen uns so nah, dass ich ihn hätte küssen können, wenn ich den Mut dazu aufbringen würde, meinen Blick zu heben. Durch meinen fast schon hyperventilierenden Atemrhythmus stieg mir unwillkürlich der Geruch von Mate und frischer Pfefferminze in die Nase. Florian roch ganz anders als Ben, was nicht heißen sollte, dass er weniger gut roch, auf keinen Fall. Nein, ich fand, dass er sogar viel besser roch. Als ich bemerkte, dass ich mich mit meinen Händen verkrampft an seinen Oberarmen festhielt, fingen meine Fingerspitzen sofort an zu kribbeln. Hoffentlich hatten sich meine Fingernägel nicht in seine Haut gebohrt. Vorsichtig lockerte ich meinen Griff und schielte rechts nach oben, um nach kleinen, halbmondförmigen Abdrücken zu suchen. Zum Glück gab es, entgegen meiner Befürchtungen, keine. Mein Daumen berührte leicht seinen tätowierten Schriftzug. Ich konnte mich noch haargenau an den Nachmittag erinnern, den wir zusammen verbracht hatten und er mir etwas über sein neustes Tattoo erzählt hatte. Zuerst hatte ich ihn aus Versehen furchtbar dumm von der Seite angemacht und dann versucht ihn abzuwimmeln. Aber Flo hatte mich nur angegrinst, einen Arm um mich gelegt und mir seinen Lieblingsplatz im Stadtpark gezeigt.

Ohne jede Vorwarnung explodierte plötzlich der Schmerz in mir, zerriss mein Herz in gefühlte tausend Fetzen, ließ mich fast aufschreien und in die Knie gehen. Ich hatte das, was auch immer zwischen uns gewesen war, zerstört. Ich ganz allein.

„Mel.", beim Klang seiner Stimme brannten Tränen in meinen Augen, ich hatte meine Lippen so fest aufeinander gepresst, dass es wehtat. Gleich würde er mir sagen, dass er mich nie wieder sehen wollte. Mühsam unterdrückte ich das aufkommende Schluchzen.

Bevor sie in den Check-In Bereich verschwunden war, hatte Em mir noch einmal unter Tränen eingeschärft, ich solle die erste Gelegenheit, die sich bot, mit Florian zu reden, nutzen, um den Mist zu klären. Danach, davon war sie fest überzeugt, würde die Welt schon wieder ganz anders aussehen. Wahrscheinlich würde sie das auch, ziemlich sicher sogar, aber ich war ja nicht einmal fähig ein Wort vor ihm herauszubringen. Wie sollte ich ihm dann also erklären, wie meine Notlüge zustande gekommen war? Vielleicht war dieses Desaster ja wirklich die Strafe dafür, dass ich jedem eiskalt ins Gesicht log, sobald es um meine Familie ging und meine Mutter derart grausam behandelte und die Vorsätze, etwas daran zu ändern, jedes Mal im Sand verlaufen ließ.

Abstruser weise war das Einzige, an das ich imstande war zu denken, welchen Vorteil es gehabt hätte, jetzt betrunken zu sein, da Alkohol ja bekanntlich die Zunge lockerte und ich auf der zwischenmenschlichen Ebene in Sachen entschuldigen noch mehr versagte, als im Kunstunterricht.

„Mel?", fragte er leise, weil ich immer noch eisern schwieg. Zum Teufel mit dem, was mir Em und die beiden Jungs geraten hatten, ich sollte zusehen, dass ich hier wegkam. Mir doch egal, was er von mir dachte, wenn ich jetzt einfach abhaute, er verachtete mich ja wahrscheinlich sowieso schon. Verschlimmern konnte ich jetzt auch nichts mehr, eher verbesserte ich damit etwas.

„Es tut mir Leid Mel.", ein Satz, fünf Worte, fünfzehn Buchstaben, mein Herz stolperte und hatte seine liebe Mühe damit, das Blut zuverlässig durch meinen Körper zu pumpen, bis es plötzlich mit doppelter Schallgeschwindigkeit in meiner Brust raste. Ein kleiner Satz, der bei mir alle Dämme brechen ließ, auch wenn ich nicht verstand, warum ausgerechnet er sie gesagt hatte, nicht ich. Hemmungslos fing ich an zu schluchzen und fragte mich woher mein Körper die Flüssigkeit für die Tränen nahm, die in Sturzbächen über mein Gesicht liefen. Er zog mich wieder an sich, ohne darüber nachzudenken, schlang ich meine Arme um ihn und lehnte meine Stirn an seine Brust. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie leid es mir tut, ich hätte dich nicht anschreien dürfen, ich..." „Nein, mir tut es Leid, wenn ich dich nicht angelogen hätte, wäre es gar nicht erst dazu gekommen.", murmelte ich leise an seine Brust, während meine Tränen weiter sein T-Shirt durchnässten. Ein warmes, wohliges Gefühl breitete sich in mir aus und ich ließ mich noch etwas mehr in Flo's Umarmung fallen.


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Alle Anwesenden soweit beruhigt und zufrieden? 


If you're going through hell, keep going (LeFloid FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt