Kapitel 9:
„Es ist nicht genug, daß man rede. Man muß auch richtig reden."- William Shakespeare
Mein Kopf ruhte auf seiner Brust, letztendlich hatte ich mir einen Ruck gegeben und sein Angebot angenommen. Ich hatte meine Augen geschlossen, lauschte den Piepmätzen und Flo's gleichmäßigen Atemzügen. „Du wolltest mir etwas über dein neues Tattoo erzählen.", fiel mir ein und ich drehte mich so, dass ich ihn ansehen konnte. „Wolltest du nicht schlafen?", als Antwort zuckte ich nur mit meinen Schultern. „Ich hab es mir in den USA bei LA Ink stechen lassen.", fing er an, er beobachtete meine Finger, wie sie über sein Tattoo strichen, es war so etwas wie ein Reflex gewesen, dass ich, während er erzählte, mit meinen Finger die Fische berührte, die er sich hatte tätowieren lassen. „Wenn ich dir erkläre, wieso ausgerechnet dieses Motiv, lachst du mich bestimmt aus.", sprach er weiter und wandte seinen Blick ab. Verwundert sah ich ihn an. Ihn auslachen? Ich glaube eher, er würde mich auslachen, wenn ich ihm meine Tattoos zeigte, zumindest bei dem Einen, da war ich mir sicher. Um ihn besser ansehen zu können, rollte ich mich auf meinen Bauch , sodass ich neben ihm lag. „Jetzt erzähl schon!", forderte ich ihn auf, in meiner Stimme schwang ein Hauch von Ungeduld mit. „Es ist ein Teil von einem Longboarddeck.", als er anfing zu sprechen, sah er mich nicht an. „Auf dem Board hab ich wieder angefangen zu fahren und Frodo kennengelernt.", redete er weiter. „Und wieso genau sollte ich dich jetzt auslachen?", fragte ich etwas verwundert. Er zuckte nur mit den Schultern. „Ganz ehrlich, ich find die Geschichte hinter diesem Tattoo echt schön, ich dachte, es hätte etwas mit diesem abgedroschenen Ying und Yang Kram zu tun. Aber das mit dem Longboard hat Tiefsinn.", ich sagte geradeheraus, was ich dachte. Mit leuchtenden Augen drehte er sich zu mir und setzte sich anschließend auf. „Das Tattoo soll bis hier oben weitergehen.", teilte er mir mit einem begeisterten Glänzen in den Augen mit und deutete dabei auf seine Schulter. Ich nickte nur, da ich nicht wusste, was ich darauf sagen sollte. „Hast du auch welche?", wollte er nun wissen. „Ja.", antwortete ich knapp, nun war er es, der nickte. Wieder schwiegen wir uns an.
Es war immer dasselbe, die Themen, die wir anschnitten, waren in etwa drei höchstens fünf Wortwechseln beredet worden, dann kehrte Schweigen ein und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
Um etwas gegen diese bedrückende Stille zu unternehmen, zog ich meine Schultasche zu mir, die ich immer noch mit mir herumschleppte, da ich seit Schulschluss noch nicht wieder zuhause gewesen war und kramte eine Tüte Nüsse hervor, dabei fiel mir der abgegriffene Zettel aus der Tasche. Er hatte eindeutig schon seine besten Tage hinter sich, warum ich ihn immer mit mir herumtrug, wusste ich selbst nicht so richtig. Manchmal war er das Einzige, was mich davon abhielt, nicht alles hinzuschmeißen. Seltsam, ich weiß.
Flo hatte ihn aufgehoben und streckte ihn mir nun entgegen, gedankenverloren starrte ich auf das zerknitterte Blatt Papier. Ich schob seine Hand etwas zu ihm, eine Geste, die ihm zeigen sollte, dass er ihn lesen sollte. Keinen Ahnung, warum ich das getan hatte, außer meiner Oma und der Schulleitung hatte noch nie jemand diesen Zettel lesen dürfen. Zwar wussten alle, dass ich eine Höchstbegabung hatte, allerdings hatte das noch niemand schwarz auf weiß stehen sehen.Überrascht sah er zu mir, ich zuckte jedoch nur mit den Schultern und steckte mir einen Nuss in den Mund.
Stumm beobachtete ich seine dunklen Augen, die beim Lesen unglaublich schnell von links nach rechts flogen. Als er mir den Zettel wieder zusammengefaltet zurückgab, lag sein Blick ungläubig auf mir. Ohne darauf zu achten, dass der ohnehin schon ramponierte Zettel nicht noch mehr Eselsohren und Risse bekam, stopfte ich ihn zurück in meine Tasche. „Warum gehst du noch zur Schule?", wie auch in den Videos zog sich eine Augenbraue in die Höhe und verformte sich zu einem Dreieck, wenn er etwas nicht ganz nachvollziehen konnte. „Wurde nicht anerkannt.", meine Stimme klang trocken. „Du erzählst das so, als würdest du mir darauf antworten, was du heute Morgen zum Frühstück gegessen hast." „Sandwich mit Putenstreifen.", meinte ich. „Was?!" „Hab ich zum Frühstück gegessen." „Warum wurde es nicht anerkannt?", lenkte er unser Gespräch wieder auf das ursprüngliche Thema. „Kinder aus Kreuzberg können keine Höchstbegabung haben.", ich zerbiss eine Nuss zwischen meinen Zähnen und es knackte laut. Mir war selbst klar, dass das kein Grund war, um meine Höchstbegabung nicht anzuerkennen, aber genau das wurde mir damals indirekt gesagt, als ich mit zwölf im Büro des Direktors stand. „Jetzt weißt du, was gemeint ist, wenn Steven, Rick und die Anderen mich mit Dr. Cooper aufziehen.", ich hatte das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. Ein schwaches Lächeln glitt über seine Lippen, er konnte die Sache mit der Nichtanerkennung genauso wenig verstehen wie ich, aber ich hatte mich damit abgefunden, es hatte auch seine positiven Seiten. Wäre meine Höchstbegabung anerkannt worden, hätte ich Zack, Em und Nikkie nie kennengelernt.
„Sagt man nicht, dass Menschen mit Höchstbegabung sich sehr zurückziehen?", hakte er nach, diese Frage hatte mir noch niemand gestellt, aber ich hatte mir darüber auch schon Gedanken gemacht. Es hieß auch, dass sich Kinder mit Höchstbegabung erwachsener verhielten, mit fast 18 war davon bei mir allerdings keine Spur. Ich steckte Anderen immer noch liebend gern die Zunge raus. „Bin halt was besonderes.", erwiderte ich und hielt ihm grinsend die Tüte mit den Nüssen entgegen und meinte noch: „Nüsse sind gut für's Gehirn.", „Was soll das denn jetzt heißen?", empörte er sich, griff aber trotzdem in die Tüte. „Ich weiß nicht, was man da so als Psychologiestudent hineininterpretiert.", entgegnete ich mit einem Grinsen. „Nicht so frech junge Dame!", mahnte er mit erhobenem Zeigefinger. „Entschuldige, ich hatte vergessen, dass man eine etwas andere Art von Humor hat, wenn man kurz vor den Dreißigern ist.", spöttelte ich und biss mit auf meinen Unterlippe. „Wie bitte?!", empört sah er mich an. „Du hast mich schon verstanden.", reizte ich die Situation weiter aus.
Ich hatte gerade noch genug Zeit, die Walnüsse aus meiner Hand zu legen, da hatte Floid sich schon über mich gebeugt und kitzelte mich. „Floooo....ich....bitte....Flooo!", japste ich und er lachte hämisch. „Tu...tut mir...le..le..leid.", brachte ich einigermaßen zusammenhängend hervor und er ließ von mir ab. Nach Luft ringend, wie nach einem 1000 Meter Lauf, lag ich im Gras und hörte Flo's Lachen.
„Erzähl was von dir!", meinte ich dann und sah zu ihm, er hatte sich neben mich in den Rasen gelegt und auf seinen rechten Arm gestützt. „Also ick studiere an der Humboldt Psychologie und..", „Rehabilitationspädagogik, ich weiß.", unterbrach ich ihn, „Erzähl mir was, was ich noch nicht weiß!", „Ach du weißt also so Vieles über mich?", mit hochgezogenen Augenbrauen sah er auf mich runter. „Ich kenn deinen Abischnitt, also lass dir was einfallen!" „Was für einen Abischnitt hatte ich denn?" „1,4!", kam es wie aus der Pistole geschossen von mir, erschrocken hielt ich inne, als mir die Situation bewusst wurde. Ich flirtete hier gerade auf Teufel komm raus mit Florian Mundt!
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If you're going through hell, keep going (LeFloid FF)
Fanfiction(LeFloid x OC) Ein geschickt gesponnenes Netz aus Lügen, eine gehörige Portion Sarkasmus, sowie eine Prise Selbstironie und eine effektive Verdrängungstaktik mehr braucht Mel nicht, das selbsternannte menschliche Komplettfiasko, um sich still und l...