„Kummer, der nicht spricht, der schreit nach innen, bis das Herz zerbricht." - William Shakespeare
Während ich stillschweigend die Beschaffenheit meiner Schuhspitzen studierte und meine Beine dabei ruhelos vor- und zurückschaukeln ließ, entging mir, aus dem Augenwinkel heraus, keine einzige Bewegung meiner Begleitung, die gerade andächtig die frisch geschnittenen, weißen Lilien in einer dunkelgrünen Plastikvase auf dem Grab meines Vaters arrangierte.
Valentin Lehmann
12.02.1965 & †22.10.2005
Sagt man nicht, es gebe eine bessere Welt, wo die Traurigen sich freuen und die Liebenden sich wiedererkennen. „(*)
Anschließend zückte er ein Feuerzeug aus der Tasche seines Sakkos und entzündete das Teelicht, welches Sekunden später die kleine Glaslaterne der, ins Leere starrenden, Engelsfigur erhellte.
Meine Kehle war staubtrocken und mein Magen flau.
Seine Knie knackten vernehmlich, als er sich erhob, um sich schließlich zu mir auf die verwitterte Bank ein paar Meter entfernt zu gesellen. Wir schwiegen eine unangenehm lange Zeit, betrachteten beide in ungewohnter Zweisamkeit das Tänzeln des winzigen Teelichtflämmchens.
Er war in Finnland gewesen, die gesamten letzten Jahre über. War dort von Schule zu Schule gereist, mit dem festen Ziel sich vom dortigen Bildungssystem zu Lösungen für das hiesige inspirieren zu lassen. Es existierte sogar ein regelmäßiger Austausch mit meinem Vater über sein Vorhaben, per Brief verstand sich. Da es selbst in Finnlands landeseigener Pampa kein Netz mehr gab und mein Vater einen Faible für Reiseberichte á la Goethe und Schiller besessen hatte. Als mein Vater dann irgendwann auf mehrmalige Briefe keine Antwort mehr hatte verlauten lassen, war er der festen Überzeugung, wir seien umgezogen und unsere neue Adresse irgendwo verloren gegangen, wie ich erfuhr, nachdem er doch ins Reden gekommen war.
Ich hatte mir daraufhin verkniffen, ihn darüber aufzuklären, dass meine Mutter nach zwei Wochen völliger Lethargie, mit einem plötzlichen Tobsuchtsanfall durchs Haus gestürmt war, den Briefkasten mit einer unglaublichen Brachialität, die ich so in dieser Form nie wieder bei ihr erlebt hatte, aufgerissen hatte, er inzwischen am Überquellen gewesen war, und alles erbarmungslos verheizte, was sich in ihm befunden hatte. Noch am selbigen Tag waren Papas Kaffeebecher (auch die mit den Rentieren) in Scherben aus dem Haus geflogen, seine Kleidung in großen, blauen Säcken am Straßenrand gelandet, alle Bilder spurlos verschwunden. Beinahe wären auch all seine mühsam erarbeiteten Unterlagen in Flammen aufgegangen.
Die Brandnarbe von damals, die meinen linken Mittelfinger zierte, seit ich mit bloßen Händen den Ofen geöffnet und die Papiere herausgeholt hatte, um dann unter Tränen und verzweifelt schreiend, mit einem feuchten Handtuch die Flammen auszuschlagen, wurde seit meinem vierzehnten Geburtstag von einem verschnörkelten 'Kreuzberg' verdeckt.
Tims erster Versuch als Tätowierer, die erstaunlicherweise tatsächlich so gut gelungen war , dass er das Wochenende darauf voller Tatendrang ein Pikachu mit Hinkefuß auf der Schulter verewigt, zumindest galt das noch für die nächsten drei Wochen.
Nur das Bücherregal im Wohnzimmer war von der Zerstörungswut meiner Mutter verschont geblieben.
„Wie ist es passiert?", ich wusste auch ohne sein vages Kopfnicken in die Richtung des Grabes, auf was er hinaus wollte. „Autounfall. Ein Betrunkener hat ihm die Vorfahrt genommen." Mehr wusste ich nicht, mehr wollte ich auch nicht wissen. Der Mann neben mir schwieg, den Blick wieder auf das kleine Teelicht gerichtet. Meine Augen brannten mittlerweile vermutlich stärker als die Laterne des Engels.
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If you're going through hell, keep going (LeFloid FF)
Fanfiction(LeFloid x OC) Ein geschickt gesponnenes Netz aus Lügen, eine gehörige Portion Sarkasmus, sowie eine Prise Selbstironie und eine effektive Verdrängungstaktik mehr braucht Mel nicht, das selbsternannte menschliche Komplettfiasko, um sich still und l...