Kapitel 22:
Was Schicksal auferlegt, muß der Mensch ertragen, es hilft nicht, gegen Wind und Flut zu schlagen." - William Shakespeare
Nichts ist beständig. Die letzten Tage hatten mir die Wahrheit dieser Worte einmal mehr vor Auge geführt. Aber wer hätte gedacht, dass manche Dinge so schnell eine Wendung nehmen konnten. Gut, wahrscheinlich jeder andere außer mir. Ich war anscheinend wirklich nicht auf die Spontanität, die das Leben und Gefühle mit sich brachten, eingestellt.
Es ist noch gar nicht so lang her, da hätte ich Florian am liebsten per DHL Expressversand zurück nach Amerika geschickt und vielleicht gegen Aufpreis noch die Möglichkeit einer Same-Day-Lieferung in Anspruch genommen, obwohl die sicher nicht international galt. Selbst die eine Nachricht, die er mir geschickt hatte, wurde von mir verflucht und ignoriert. Mein Plan mich so weit wie nur möglich von ihm fernzuhalten, hatte ich mir durch eigenes Verschulden ruiniert.
Eigentlich konnte ich über mich selbst nur noch den Kopf schütteln, wie ich hier so im Sozialkundekurs meiner Geschichtslehrerin saß und wie eine verknallte Dreizehnjährige sehnsüchtig auf mein Handy starrte und auf eine Nachricht von ihm hoffte. Obwohl, ich wusste gar nicht, wie eine verknallte Dreizehnjährige aussah, ich war mit dreizehn nicht verliebt gewesen oder erinnerte mich nicht mehr daran, also hinkte dieser Vergleich mal wieder ziemlich.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie mein Sitznachbar versuchte möglichst unauffällig einen Blick auf meinen Block zu erhaschen, was die ganze Aktion nicht weniger auffällig machte. Allein unser schlecht einsehbarer Platz hatte bis jetzt verhindert, dass die leicht zur Hysterie und Cholerik neigende Lehrerin seinen Test noch nicht eingesammelt hatte. Franz Fromator war der Name der nonverbalen Nebenexistenz, die sich mein Sitznachbar schimpfte. Ich mochte ihn nicht, er mochte mich nicht, die Fronten waren also unmissverständlich geklärt, trotzdem hätte ich ihn vielleicht sogar abschreiben lassen, ich war schließlich kein Unmensch, leider lag das Blatt mit meinen Antworten schon auf dem Lehrertisch, Schade aber auch! Okay ich war ein klitzekleines bisschen schadenfroh.
Zugegeben wir waren gar nicht so unterschiedlich, okay das war ziemlich mies ausgedrückt. Der Transformator, den Spitznamen verdankte er dem Physikunterricht der neunten Klasse, und ich unterschieden uns wie Nacht und Tag oder Feuer und Wasser. Angefangen von unseren gravierenden Leistungsunterschieden, ich mit meinem Einser Schnitt und er stand locker vier, über die Tatsache, dass er ein absoluter Lehrerliebling war na ja und ich eben nicht so, bis hin zu dem Fakt, dass er unangenehm nach Schweiß roch und beim Reden spuckte, ich hoffte, dass ich nicht beim Reden spuckte, das wäre ja mal mega peinlich. Allerdings war nie aufgefallen, dass ich eine feuchte Aussprache hatte, Herrgott ich spuckte jawohl nicht, wenn ich sprach! Auf was ich eigentlich hinaus wollte, war die Leistungsbewertung von Menschen nach ihrer Herkunft, da teilten wir ausnahmsweise wirklich das gleiche Schicksal. Mir hatte man den Kreuzberger Stempel aufgedrückt, denn mein Heimatviertel war anscheinend ein Beweis dafür, dass ich später als Nichtsnutz dem Staat auf der Tasche liegen würde und sein Heimatviertel machte Franz zum Top-Anwalt oder Super-Bankier und beide erfüllten wir nicht die Erwartungen der Anderen. Das nannte man dann wohl Schicksal. Die Frage, was ein Junge aus Grunewald in einer dreckigen Gesamtschule von Berlin-Mitte zu suchen hatte, hatte sich fast von selbst geklärt. Seine Eltern kannten den Direktor und einen Großteil des Lehrerkollegiums und unterstützen dieses Höllenloch mit Finanzspritzen, so kam man als Niete natürlich auch zu einem guten Abitur und Jurastudium.
Ein Blick zur Seite zeigte mir, dass er offensichtlich bei der vierten Aufgabe hing und da ich nun mal wirklich kein schlechter Mensch war, kritzelte ich die Lösung schnell mit Bleistift auf die Tischplatte. Leidensgenossen sollten ja auch irgendwie zusammenhalten, oder?
Das Display meines Handys leuchtete auf und zeigte mir eine neue WhatsApp-Nachricht von Flo, automatisch breitete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus. Wenn das die Belohnung für die gute Tat eben war, sollte ich dem lieben Franz vielleicht öfter unter die Arme greifen.
Wir schrieben seit genau drei Tagen ziemlich häufig miteinander. Er schrieb mir Frodos miserable Flachwitze oder wie langweilig ihm war und ich beschwerte mich über die Sinnlosigkeit von Schule und regte mich über Leute wie Franz auf und ganz nebenbei blendete ich die Sorgen, die ich hatte, aus.
„Was machste grad Schönes?" - Flo
„Mich in Sozi langweilen. Du?" - Melli
„Versuchen Motivation für den Unikram aufzubringen :) Wieso Sozi? o.0" - Flo
Die Frage von ihm war durchaus berechtigt, eigentlich hatte ich Sozi abgewählt, aber meine Geschichtslehrerin nutze die Stunde, in der ich eigentlich schon Schluss hätte jede Woche, um mich nachsitzen zu lassen, sie fand meistens einen Grund, der die Sache rechtfertigte und wenn nicht, ging ich trotzdem hin, damit ich die Arbeiten mitschreiben konnte. Amüsant war, dass ich tatsächlich Klassenbeste war. Die Leute mussten mich wirklich für bekloppt halten, wer macht schon freiwillig ein Fach mehr?
„Nachsitzen." - Melli
„Oh, was hast du angestellt? :D" -Flo
„Meine Geschichtslehrerin mit brennenden Schulbüchern beworfen und versucht den Transformator an seiner eigenen Spucke ersticken zu lassen." -Melli
„Vielleicht sollte ich es mir nochmal anders überlegen, dich zu fragen, ob du Lust hast, heute was mit mir zu unternehmen. Boarden oder so, haste Bock?" -Flo
Ganz große klasse, ausgerechnet heute, wo ich zusammen mit Nikkie, Zack und Em das Video für Flo drehen wollte, kam er mit so was um die Ecke? Perfektes Timing Herr Mundt. Da musste ich mich wohl elegant aus der Affäre ziehen. Er wusste, dass wir das Drehen für diese Woche komplett gestrichen hatten, um noch ein bisschen mehr Zeit mit Emilie zu verbringen, bevor sie in die USA flog, also fiel die Ausrede schon mal weg.
„Nee Du :( Heute is' echt schlecht. Hab' nachher noch Theater und weiß noch nicht wie lange das dauert. Sorry" -Melli
Immerhin war es ja nicht ganz gelogen, bis vor knapp einem Jahr war ich wirklich ein Teil der Theater AG unserer Schule gewesen, bis mir die Zeit durch YouTube gefehlt hatte.
Keine zwei Minuten später ging er offline ohne zu antworten und ich fühlte mich hundeelend.
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If you're going through hell, keep going (LeFloid FF)
Hayran Kurgu(LeFloid x OC) Ein geschickt gesponnenes Netz aus Lügen, eine gehörige Portion Sarkasmus, sowie eine Prise Selbstironie und eine effektive Verdrängungstaktik mehr braucht Mel nicht, das selbsternannte menschliche Komplettfiasko, um sich still und l...