Zitternd stand ich in meinem neuen Zimmer, inmitten von Pappkartons, in denen meine neuen Möbel eingepackt waren. Die Zeit, seitdem wir zurück nach Hause gekommen waren, hatten wir damit verbracht, die Einkäufe aus dem Auto zu laden und in die Wohnung zu bringen, sowie das ehemalige Arbeitszimmer auszuräumen, das jetzt meines werden sollte. Schreibtisch und Regale standen jetzt in Tims Schlafzimmer, morgen würden wir mein Bett, Schreibtisch, Schrank und die Regalbretter aufbauen. Die kleine Couch sollte hier stehen bleiben, da Tim keine andere Verwendung dafür hatte und hier wohl auch mit meinen neuen Möbeln noch genug Platz bleiben würde. Ich konnte es kaum erwarten, endlich alles aufgestellt zu haben, da ich mir schon unzählige Male heute die Zehen an diversen am Boden liegenden Möbelteilen gestoßen hatte, die vollkommen selbstständig und unbemerkt sich fortzubewegen schienen. Zumindest waren sie immer überall. Langsam hatte ich das Gefühl, mit meinen Füßen heute schon auf sehr schmerzhafte Art und Weise mehr Möbel gefunden zu haben, als wir überhaupt gekauft hatten. Ein weiterer Indiz dafür, dass sich meine neuen Mitbewohner selbstständig gemacht hatten. In Folge dessen hatte ich mir einen sehr eigenen Laufstil angewöhnt, sobald ich das Zimmer betrat, bei jedem Schritt setzte ich den Fuß vorsichtig von oben auf den Boden, sobald meine Zehen etwas berührten fuhr ich vorsichtig darüber, bis ich mir sicher sein konnte, dass es nur der Boden war und erst dann rollte ich vorsichtig meinen Fuß ab. Dieser Laufstil erinnerte an eine Mischung aus übertriebenem Indianer-Anschleichen und den Flossenbewegungen eines Fisches, was ziemlich witzig aussehen musste, zumindest konnte Tim sich jedes Mal nicht mehr halten vor lachen, wenn er mich so sah. Aber was sollte es, so ging es nunmal am besten und solange nur Tim es sah war es mir vollkommen egal... Tim hatte mich weitaus schon bei peinlicheren Momenten sehen können, angefangen von meinen ersten Laufversuchen nach meinem Sehverlust, bei denen ich mich echt angestellt hatte wie ein kleines Kind, über meine hilflosen Versuche mit dem Langstock, mit dem ich mich immer noch nicht viel besser anstellte, bis hin zu der altbewährten Ich-taste-mich-an-allem-voran-was-nicht-bei-drei-auf-dem-Baum-ist-Technik. Nicht zu vergessen all die Stunden, in denen ich mich nur durch seine Hand hatte leiten lassen beim Gehen und ihm vollkommen vertraut hatte. Nein, vor Tim war mir so etwas schon lange nicht mehr peinlich... Der werte Herr konnte es natürlich trotzdem nicht lassen, ein riesen Theater darum zu machen und mir weiszumachen, dass er das unbedingt filmen müsse. Ich hatte ihm daraufhin gedroht, dass ich in diesem Fall auf der Stelle ausziehen würde... Wobei das wohl für mich die größere Strafe war... Natürlich hatte Tim es sich nicht nehmen lassen, sofort nachzufragen, warum ich mich denn ausziehen wolle. Dieser Junge hatte manchmal echt den Humor eines pubertierenden Dreizehnjährigen... Und da hieß es immer, ICH sei der kindische von uns... Und trotzdem mochte ich diesen Typen mit all seinen Angewohnheiten und Macken. Nein, ich mochte ihn nicht nur. Ich liebte ihn. Und das war der springende Punkt, der Grund, warum ich nun vor Aufregung bebend in meinem neuen Zimmer war und es kaum wagte, zu Tim ins Wohnzimmer zu gehen, wo er gerade Abendessen machen wollte. Ich hatte mir geschworen, heute Abend mit Tim zu reden, ihm heute Abend zu sagen, was ich für ihn empfand. Dass ich ihn liebte. Heute Abend. Also jetzt. Ein letztes Mal fuhr ich mir auf gut Glück durch die Haare, hoffte, dass alles saß. Ich war mehr als nervös, malte mir sofort das Schlimmste aus. Was, wenn er nicht so empfand? Das ganze wäre nicht nur unglaublich peinlich, sonder würde wohl auch für immer etwas zwischen uns treiben. Oder zumindest für sehr, sehr lange... Vielleicht hätte ich die letzte Nacht mit Tim in einem Bett mehr genießen sollen, schließlich könnte es sein, dass es die letzte war. Wenn Tim nicht so empfand wie ich, würde er mit Sicherheit nicht mehr mit mir in einem Bett... Okay, Stopp, Stegi! Ich merkte, wie ich kurz davor war, einen Rückzieher zu machen. Nein, ich würde das heute Abend durchziehen. Und alles würde gut werden. Entschlossen ging ich auf den Flur und nach rechts ins Wohnzimmer, hörte Tim rechts von mir in der Küche hantieren.
»Kann man dir etwas helfen?«, bot ich mit leicht zittriger Stimme an und begann schließlich auf Tims Geheiß hin, Teller und Besteck auf den Sofatisch zu stellen. Klar, wir hatten auch einen Esstisch... Aber nach so einem Tag war es so einfach viel gemütlicher. Als wir dann schließlich auf der Couch saßen und beide unsere Brote verdrückten, herrschte Schweigen, ich war so nervös, dass ich auf keinen von Tims Versuchen, ein Gespräch zu beginnen, vernünftig eingehen konnte, also wurde es ziemlich schnell still um uns. Ich fühlte mich, als stände ich unter Strom, ich wartete doch bloß auf den richtigen Augenblick, aber der würde niemals kommen, wenn wir nicht reden würden. Es war eine Zwickmühle.
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Blindes Vertrauen ~ #Stexpert
FanfictionWas ist, wenn dein Leben plötzlich über dir zusammenbricht und nichts mehr wie früher ist? Was ist, wenn du das Wichtigste in deinem Leben verlierst, das worauf all dein Handeln ausgerichtet ist, das was du immer als selbstverständlich erachtet has...