Fast drei Stunden lang hatten wir denn Ball hin und her gekickt und ich hatte fast durchgehend gelacht. Ich hatte so viel Spaß gehabt wie schon lange nicht mehr, oft hatte ich mich kaum mehr einkriegen können, wenn Tim, durch seine Augenbinde so blind wie ich, vollkommen orientierungslos und verwirrt versucht hatte, den Ball zu bekommen. Nicht selten war er dabei jedoch komplett falsch gelaufen. Doch mit der Zeit fand auch Tim sich immer besser zurecht, wir konnten immer öfter hin und her kicken, ohne dass ein Ball daneben ging. Ich genoss die Situation. Hier war ich der Überlegenere, ich war die Situation, nichts sehen zu können, gewohnt, wohingegen es für Tim eine vollkommen neue Erfahrung war. Hier war ich der, der ihm helfen konnte, ich war einmal nicht der schwache, bemitleidenswerte kleine Junge. Ich war in meinem Element und das Strahlen wich mir den ganzen Tag nicht aus dem Gesicht. In der letzten halben Stunde hatte Tim noch einmal mit einer Idee getoppt. Er hatte sich tatsächlich das erste Mal in der Zeit seine Augenbinde wieder abmachen lassen und hatte schließlich etwas aus seiner Tasche gezogen. Er hatte mich in eine Richtung gezogen und war ein paar Mal hin und her gegangen, irgendwann hatte ich die Geräusche von unseren Bluetooth-Lautsprecherboxen gehört. Keine Sekunde später war etwa drei Meter vor uns leise Musik angegangen. Tim hatte die Lautsprecher an den beiden Boxen eines Tors platziert, wie er mir erklärt hatte und nachdem ich ihm wieder die Augenbinde hatte anlegen sollen, versuchten wir abwechselnd, auf das Tor zu schießen, das nun auch akustisch durch die Musik für uns markiert war. Irgendwann hatte ich mich total erschöpft kurzerhand auf den Boden sinken lassen und mit allen Vieren von mir gestreckt auf den Rücken fallen lassen. In diesem Moment war mir erst bewusst geworden, wie angenehm die Sonne auf meine wahrscheinlich immer noch blasse Haut schien. Meine Haut war schon immer viel zu hell gewesen, hatte mich käsig aussehen lassen und ich bezweifelte, dass sich daran in den Wochen meiner Blindheit, in denen ich kaum außer Haus gewesen war, etwas geändert hatte.
Als Tim mich gebeten hatte, ihm die Augenbinde erneut abzunehmen hatte ich ihn verwundert gefragt, warum ich das eigentlich andauernd machen sollte und er es nicht selbst tat. Er hatte mir erklärt, dass er wollte, dass heute nur ich die Macht darüber hatte, ob er jetzt etwas sah oder nicht, als wäre es das Selbstverständlichste dieser Welt. Er hatte sich neben mir auf dem Boden niedergelassen und ich hatte meinen Kopf auf seine Brust gelegt. Es fühlte sich so gut an, ihm so nahe zu sein, so geborgen. Die letzten Minuten waren wir einfach nur schweigend dagelegen und unseren Gedanken nachgehangen, ich hatte die Sonne genossen und den Geräuschen um uns zugehört. Ich war gerade einfach unglaublich glücklich. Hier, mit Tim an meiner Seite. Meinetwegen hätte der Moment für immer stehenbleiben können.
»An was denkst du gerade?«, fragte Tim in diesem Moment wie als hätte er meine Gedanken gelesen. Bei dieser Vorstellung musste ich noch mehr lächeln als eh schon.
»Ich denke gerade darüber nach, wie verdammt nice das Leben doch ist.«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
»Ach Stegi«
Tim klang unglaublich glücklich und lebte seine Hand auf meinen Oberkörper, über den er jetzt mit gleichmäßigen Bewegungen strich.
»Ich liebe dich«, kam es irgendwann zusammenhanglos von ihm. Ich drehte meinen kopf nach rechts, so dass mein Gesicht nun ihm zugewandt war und lächelte.
»Ich dich auch«, erwiderte ich glücklich und spürte im selben Moment Tims zweite Hand, die meine Frisur zerzauste und scheinbar gedankenverloren mit meinen Haaren spielte.
»Wenn dort nicht so Typen wären, die uns eh schon die ganze Zeit dumm anschauen, würde ich dich jetzt Küssen«, erklärte Tim irgendwann gerade heraus. Ich grinste und drehte mich um, so dass ich jetzt auf dem Bauch, halb neben und halb auf meinem Freund lag.
»Dann lass uns ihnen doch einen Grund geben, zu schauen«, grinste ich spitzbübisch und suchte keinen Moment später Tims Lippen mit meinen. Als ich sie fand, konnte ich spüren, dass er lächelte. Allein diese Tatsache machte mich glücklich. Wie sehr ich diesen Jungen doch liebte. Ich konnte mir nicht mehr im geringsten vorstellen, wie mir das noch vor so kurzer Zeit nicht hatte klar sein können. Wir waren noch keine Woche zusammen und trotzdem fühlte es sich an wie eine halbe Ewigkeit. Keiner hätte Wohl gedacht, dass Tim einmal der schüchternere von uns sein könnte, der der mehr Angst davor hatte, etwas von uns in der Öffentlichkeit zu zeigen. Und trotzdem schien es ihn viel mehr Überwindung zu kosten als mich.
»Lass uns Heim gehen, okay? Ich krieg langsam Hunger.«, fragte Tim irgendwann leise direkt neben meinem Ohr und ich nickte. Sanft schob Tim mich von sich runter und stand auf, bevor er meine Hand nahm und mir ebenfalls aufhalf. Ich konnte hören, wie er unsere Sachen zusammensuchte und folgte ihm dann quer über den Platz. Wieder griff ich nach seiner Hand, zugegebenermaßen nicht nur, um mich von ihm durch die schwarzen Straßen führen zu lassen. Sofort drückte er meine Finger beruhigend. Ich hatte das Gefühl, schon längst wieder am Tor, das den Fußballplatz von der Straße abgrenzte, angekommen sein zu müssen, als Tim plötzlich immer langsamer wurde. Fragend wandte ich mich an ihn.
»Na, ihr Schwuchteln«, hörte ich auf einmal eine raue, unfreundliche Stimme vor uns. Ich schätzte sie auf etwa zwei Meter Entfernung. Das war also der Grund, warum Tim langsamer geworden war und nun ganz stehen blieb.
»Hau ab«, zischte mein Freund da bedrohlich und ich drückte beruhigend seine Hand.
»Das ist krank«, wurde uns von dem fremden Unbekannten entgegengeschleudert.
»Tim, wer ist da?«, fragte ich leise
»Nur so eine Missgeburt. Einer von den Typen, die uns vorhin beobachtet haben. Keine Sorge«, zischte er ungewohnt aggressiv. Lauter wandte er sich an den Typen vor uns, der Stimme nach nicht viel älter als wir selbst.
»Verpiss dich«, knurrte Tim bedrohlich und ließ meine Hand los, um drohend einen Schritt auf die Person zuzugehen. Ich griff nach ihm, fasste jedoch ins Leere. Ich konnte den Fremden angriffslustig knurren Hören und im nächsten Moment Geräusche, die ich nicht zuordnen konnte. Grangel. Stöhnen, Schnaufen. Dann schwere Atemzüge, als würde jemand nach Luft schnappen.
»Tim?«, fragte ich fast schon panisch.
»Keine Sorge, Kleiner«, knurrte er leise. Ich hatte ihn noch nie so aggressiv erlebt.
»Tim, hör auf. Du machst mir Angst«, wimmerte ich leise und trat vorsichtig auf meinen so veränderten Freund zu. Es schien fast, als würde er den fremden Typen würgen. Sanft legte ich eine Hand auf die Schulter meines Freundes, als ich seine Wärme direkt vor mir spüren konnte.
»Hör auf, Tim, bitte. Er hat nichts gemacht.«
»Er hat nichts gemacht? Stegi, er hat uns beleidigt. Hat dich beleidigt«, fragte er ungläubig.
»Nein, Tim. Er hat uns bloß Schwuchteln genannt. Für mich ist es keine Beleidigung, schwul zu sein. Lass ihn, bitte. Der ist schon gestraft genug durch seine eigene Dummheit, wenn er Sexualität als abnormal findet. Lass uns einfach gehen. Bitte, Tim«, redete ich leise auf meinen Freund ein, versuchte, ihn zu beruhigen. Anscheinend erfolgreich, denn ich konnte hören, wie die Person vor uns ein paar Schritte zurücktaumelte und dann keuchend verschwand. Ich drehte Tim wortlos zu mir um und nahm ihn in den Arm.
»Es tut mir leid, Stegi«, murmelte er gepresst, doch ich schüttelte nur den Kopf und drückte ihn noch näher an mich. Ich wollte ihn nie wieder loslassen.
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Hayho, Leute!
Jaaaa, das war Kapitel 40. Krass, oder?
Wie fandet ihr das Kapitel heute? Tim heute mal etwas... Anders.
Und nein, noch gehen mir nicht die Ideen aus.
Danke für euer ganzes liebes Feedback. Ich habe leider viel zu wenig zeit momentan, um alles zu beantworten. Und die Zeit, die ich habe, teile ich mir zu schlecht ein. Naja.
Hoffe, es hat euch gefallen. Feedback immer gerne gesehen.
Liebe Grüße, minnicat3
PS.: Ich suche immernoch Kommentare, die ihr unter Stegis Video hinterlassen hättet. Will evtl welche einbauen in meine Geschichte, bitte mit *...* kennzeichnen. DANKE!
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Blindes Vertrauen ~ #Stexpert
FanfictionWas ist, wenn dein Leben plötzlich über dir zusammenbricht und nichts mehr wie früher ist? Was ist, wenn du das Wichtigste in deinem Leben verlierst, das worauf all dein Handeln ausgerichtet ist, das was du immer als selbstverständlich erachtet has...