41. Stolz

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Ich gähnte ausgiebig und tastete nach dem Matratze hinter mir, bevor ich mich darauf fallen ließ.

»Ich bin so fertig«, erklärte ich, was Tim wieder einmal zum Lachen brachte.

»Kein Wunder. Wir waren heute ja auch den ganzen Tag draußen. Ganz im Ernste, Stegi: Respekt.«

Ich wurde hellhörig und richtete mich wieder etwas auf.

»Wofür?«, erkundigte ich mich neugierig.

»Für einfach alles. Dass du heute mitgemacht hast. Dass du dich darauf eingelassen hast. Ich glaube, ich konnte heute mit der Augenbinde das erste Mal ansatzweise auch nur den Hauch einer Ahnung davon bekommen, wie du dich fühlst. Ich bin so unglaublich stolz auf dich.«

Ich konnte spüren, wie sich die Matratze neben mir senkte und Tim mich näher an sich zog. Lächelnd ließ ich es zu.

»Ich weiß nicht... Am Anfang dachte ich, mein Leben wäre vorbei. Aber inzwischen habe ich nicht mehr das Gefühl. Inzwischen glaube ich, trotzdem ein halbwegs normales Leben führen zu können. Ein glückliches.«

»Natürlich kannst du das!«, beeilte sich Tim, mir zu versichern.

»Stegi, du bist blind und nicht tot. Dein Leben ist noch lange nicht am Ende deswegen.«

»Ich weiß. Dank dir«, lächelte ich leicht verlegen und spürte, wie ich wieder einmal rot wurde. Ob Tim wohl auch so oft errötete wie ich? Wahrscheinlich nicht, aber sicher sein konnte ich mir schließlich nicht, solange ich ihn nicht sehen konnte.

»Du hättest das auch alleine geschafft. Es passt einfach nicht zu dir, so lustlos und depressiv zu sein. Du warst schon immer einfach glücklich und gut gelaunt und hast das auch immer gezeigt. Und dafür bewundere ich dich.«

Bei seinen Worten wurde mir warm ums Herz. Tim, mein Tim bewunderte mich. Fast zu schön um wahr zu sein. In letzter Zeit kam mir mein Leben wie ein Traum vor. Zugegebenermaßen, erst ein Alptraum, aus dem man einfach nur schreiend aufwachen wollte, einfach nur weinen wollte, aber nicht konnte. Aber dieser Alptraum schien doch noch ein Happy end haben. Dank Tim, meinem Tim. Meinem Freund.

»Tim, ich liebe dich« Diese Worte brannten mir so sehr auf den Lippen, dass ich gar nicht anders konnte als sich auszusprechen. Ich spürte, wie Tim mit sanft mit einer Hand unters T-Shirt fuhr und über meinen Rücken streichelte.

»Ich dich auch, Stegi, ich dich auch. Versprich mir, dass du auf dich aufpasst.«

Seine tiefe Stimme jagte mir Gänsehaut über den Rücken. Ich brummte zustimmend.

»Versprich es, Stegi. Bitte, pass auf dich auf. Ich will nicht, dass dir etwas passiert.«

Ich konnte nicht anders, als zu lächeln. Tim war einfach so perfekt.

»Versprochen«, flüsterte ich fast schon feierlich und spürte im nächsten Moment Tims Lippen auf meinen. Weniger feierlich. Wenige Sekunden später intensivierte sich unser Kuss immer mehr und ich konnte ein Leises Stöhnen von Tim hören. Frech grinste ich in den Kuss hinein, wohl wissend, dass ich der Grund für sein Stöhnen war.

»Verdammt, Stegi, du bringst mich fast um den Verstand«, murmelte Tim, nachdem wir unseren Kuss irgendwann wieder gelöst hatten. Ich schmiegte mich bloß näher an ihn und lächelte überglücklich.

»Wie ist es?«, fragte Tim mich irgendwann vollkommen ohne Zusammenhang.

»Was?«, hakte ich perplex nach.

»Nichts zu sehen. Blind zu sein.«

Ich seufzte. Ja, wie war es?

»Ich... Am Anfang war es schlimm. Die Dunkelheit um mich hat mich depressiv gemacht. Aggressiv. Ich wollte oft einfach nur um mich schlagen, die Welt in Flammen setzen. Aber ich konnte nicht, ich wusste, dass ich es euch damit nur noch schlimmer gemacht hätte. Aber du und meine Familie wart für mich da und habt mich aufgefangen. Ich hatte so oft das Gefühl, nichts mehr alleine machen zu können, hilflos zu sein, nutzlos. Aber dank dir weiß ich, dass es nicht so ist.«

Kurz hielt ich inne, sog Tims Duft ein und genoss das Gefühl seiner Hand, die mir sanft über den Kopf und durch die Haare fuhr.

»Ich habe nachts davon geträumt, wieder sehen zu können. Und jeden Morgen habe ich erneut auf ein Wunder gehofft, habe gehofft, meine Augen zu öffnen und wieder etwas sehen zu können. Aber jeden Morgen wurden meine Hoffnungen zerstört. Ich habe echt geglaubt, daran kaputt zu gehen. Aber ich bin es nicht. Inzwischen ist es bei weitem nicht mehr so schlimm. Im Gegenteil. Ich glaube... ich glaube, ich kann wirklich damit zurecht kommen. Ich werde nie wieder etwas sehen können, aber es ist okay. Und außerdem... außerdem hat es mir ja nicht nur negatives gebracht. Ohne meine Blindheit hätten wir uns wohl noch jahrelang nicht in echt getroffen, uns nur durchs Internet gekannt. Ich meine.. das war eine epische Zeit, keine Frage. Aber ich bin froh, dass alles so ist wie es ist. Wirklich froh. Ich bin froh, dich zu haben. Ohne dich... Keine Ahnung, ich will gar nicht wissen, was ohne dich wäre. Auch, wenn du es nicht zugeben willst, ohne dich ginge es mir wahrscheinlich immer noch ziemlich mies. Aber das tut es nicht. Es geht mir nicht mies. Es geht mir sogar ziemlich gut. So verrückt das objektiv betrachtet auch klingt, ich bin glücklich. Sehr glücklich sogar. Du machst mich glücklich.«

Ich brach ab, holte tief Luft. Das Atmen hatte ich in meinem Redeschwall wohl etwas vernachlässigt

»Ich merke langsam, wie ich mich immer mehr in mein neues Leben einfinde. Ja, ich merke sogar, wie ich langsam das Sehen vergesse. Aber es ist nicht schlimm. Die Träume, in denen ich sehen kann, werden immer seltener. Ich träume inzwischen kaum mehr und wenn, dann meistens in Gefühlen. In Geräuschen, Geschmäckern, Gerüchen. In Gedanken. Träume bestehen nur aus Gedanken, ist dir das einmal aufgefallen? Wenn du von einem Baum träumst, dann siehst du keinen Baum, sondern du denkst bloß, dass da ein Baum ist. Du denkst: ›Oh da ist ein Baum‹. Und in deinem Gehirn entsteht das Bild eines Baumes. Aber nicht nur meine Träume verändern sich. Ich habe schon lange alle Gesichter vergessen, würde ich mir die Gesichter meiner Familie vor Augen rufen wollen, es ginge nicht. Versuch dir mal, das Gesicht irgendeiner Person genau vor Augen zu rufen. Selbst für Sehende ist das schwer. Aber für mich ist das fast unmöglich. Ich würde sagen, inzwischen ist es unmöglich. Aber nicht nur das. Ich vergesse immer mehr, vergesse, wie Dinge aussahen, aber es ist nicht schlimm. Ich weiß zwar vielleicht nicht mehr, wie etwas aussah, aber dafür weiß ich nun, wie es sich anhört, anfühlt oder riecht. Und das reicht mir inzwischen, um glücklich zu sein. Du reichst mir, um glücklich zu sein«, beendete ich glücklich meinen Monolog und kuschelte mich noch enger an Tim.

Ihm schien es die Sprache verschlagen zu haben, doch irgendwann begann er leise zu murmeln:

»Ich bin so unglaublich stolz auf dich, Stegi, so stolz.«

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Hayho, Leute!

Heute fasse ich mich kurz im Nachwort, ich sitze gerade bei der lieben Schneestern37 mit meinem Laptop und lasse sie ein Kommentar auf das Video aus Kapitel 37 schreiben, während ich hier das Kapitel beende. Sie verzweifelt gerade daran und schaut mich mit »bösem« Hundewelpen-Blick an. Deswegen heute kurz von mir, wir starten jetzt unseren Harry-Potter-Marathon... Theoretisch. Praktisch werden wir wohl auf Youtube versinken... Also wie immer.

Ich hoffe, es hat euch gefallen, Feedback immer gerne gesehen.

Liebe Grüße, minnicat3

Blindes Vertrauen ~ #StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt