28. Familienstreit

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Bewegungslos liege ich auf meinem Bett und starre an die Decke. Beziehungsweise starre ich eigentlich nur wieder die schwarze Leere hinter meinen Augenhöhlen an, ob ich dabei an die Decke, an die Wand oder sonst wo hinstarre, macht für mich keinen Unterschied. Aber ich liege auf dem Rücken und halte den Kopf gerade, also starre ich wohl an die Decke. Wie lange ich schon hier liege und an die Decke starre, weiß ich nicht. Wie lange ich noch hier liegen und nichts machen will außer an die Decke zu starren, weiß ich auch nicht. Aber ich weiß, warum ich nur an die Decke starre. Ich habe nichts anderes zu tun. Ich könnte aufstehen, zu meiner Familie gehen, mich unterhalten. Ich sollte wahrscheinlich sogar. Aber ich will nicht. Ich will nicht aufstehen, nicht aus meinem Zimmer gehen und erst recht nicht das Haus verlassen müssen. Ich will bloß warten, bis es wieder Wochenende wird. Bloß leider ist nicht immer alles so, wie ich es gerne hätte. Besser gesagt eigentlich nie. Ich habe mir nie gewünscht, dass mein Haus und alles was ich besitze abbrennt. Ich habe mir nicht gewünscht, blind zu werden. Und genauso habe ich mir nicht gewünscht, jeden Tag in die Klinik fahren zu müssen, um all dieses Blinden-Zeug zu lernen und ›psychologisch betreut‹ zu werden. Kaum zu glauben, aber das habe ich mir alles tatsächlich nie gewünscht. Aber eine Wahl hatte ich leider auch nie. Nein. So kann es nicht weiter gehen. Es kann nicht sen, dass ich auf nichts in meinem Leben Einfluss habe. Ich werde mein Leben selbst bestimmen. Ab jetzt. Ich werde jetzt anfangen, mein Leben in die Hand zu nehmen, jetzt sofort, damit, dass ich mir nicht sagen lasse, was oder wann ich zu essen habe. Ich werde nicht jetzt essen, nur weile Mutter mich gerade zum dritten Mal ruft. Entschlossen schreie ich durch die geschlossene Zimmertür zurück, dass ich keinen Hunger hätte und nicht kommen würde. Und beides entspricht der Wahrheit. Doch in diesem Moment fliegt besagte geschlossene Zimmertür auf und ist gar nicht mehr so geschlossen. Ich höre meinen Vater in das Zimmer kommen, was nicht sehr schwer zu erkennen ist, da er ununterbrochen auf mich einredet, ich solle jetzt zu Tisch kommen und etwas essen und mich nicht wie ein fünfjähriges Kind verhalten. Dankeschön, du mich auch. Doch natürlich muss er sich einfach nur lächerlich verhalten und gibt keine Ruhe, bis er mir schließlich droht, mein Handy wegzunehmen, wenn ich nicht kommen und etwas essen würde. Ich blitze ihn wütend und entgeistert an, wenn Blicke töten könnten, hätte er froh sein können, dass ich blind bin. Murrend und meinen Unwillen laut kundtuend stehe ich dann doch auf und lasse mich widerwillig ins Wohnzimmer schieben. Würde er mir mein Handy wegnehmen, wäre er so was von tot. Meine Handy bedeutet momentan meine einzige Verbindung zu Tim, der einzige Weg, wie ich es schaffe, mit ihm Kontakt aufzunehmen, ohne fremde Hilfe zu benötigen. Und Tim ist die einzige Person, die es schafft, mich von meiner schlechten Laune und meinen fast schon depressiven Gedanken abzulenken, ja, langsam habe ich das Gefühl, er ist der Einzige, der es überhaupt versucht. Schweigend und mit möglichst grimmigem Gesichtsausdruck setze ich mich zu meiner Familie, sie sollen ruhig merken, dass ich nicht freiwillig hier bin. Sofort regt sich meine Schwester darüber auf:

»Maaan, Stegi, verdammt. Wenn du keinen Bock auf uns hast, dann verzieh dich aber vermies uns nicht allen die Laune.«, murrte sie sofort. In mir drin explodierte etwas. Hallo? Ging es eigentlich noch? Als ob ich freiwillig hier wäre, oder gar mit der Absicht, ihnen ihre ach so tolle Laune und ihr ach so tolles Leben zu vermiesen. Ich wäre auch am liebsten wo anders gewesen.

»Benimm dich und mach nicht so eine schlechte Stimmung«, ermahnte meine Mutter sofort meine Schwester.

»Schön, dass du uns Gesellschaft leistest, Schatz. Du isst viel zu wenig in letzter Zeit.«, redete sie munter weiter, meinen Widerwillen wollte sie nicht sehen, also sah sie ihn nicht. Immer mehr hatte ich das Gefühl, dass sie einfach in mir nur dass sah, was sie sehen wollte und sich so ihr eigenes Bild von mir bastelte, egal wie sehr es der Realität entsprach oder auch nicht? Ich hörte Löffel klappern und reimte mir in diesem Moment zusammen, dass sie mir gerade Unmengen an Essen auf den Teller lud.

Blindes Vertrauen ~ #StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt