33. Möbelhaus

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Vorsichtig bahnte ich mir weiter meinen Weg zwischen den ganzen Möbeln hindurch, TIms Schritte stetig an meiner Seite. Nach langer Diskussion hatte ich mich überreden lassen, heute den Blindenstock mitzunehmen, als wir außer Haus gegangen waren. Ich biss die Zähne zusammen und verfluchte innerlich dieses Ding, es war auch immer ohne gegangen und ich hatte mich soweit daran gewöhnt gehabt, nur durch Tims Hand geleitet mich fortzubewegen. Aber nein. Jetzt kamen auf einmal alle wieder mit diesem doofen Stock daher. Wenn ich ihn benutzte und suchend vor mir über den Boden gleiten ließ, fühlte ich mich erst recht behindert und hatte mehr Angst, etwas damit zu beschädigen als wenn ich mich nur auf meine Sinne und Tim verließ. Als meine Eltern darauf bestanden hatten, dass ich weiterhin zur Therapie gehen müsse, und den Umgang mit dem Langstock sowie die Brailleschrift lernen müsse, hatte ich eigentlich auf Tims Unterstützung gehofft, jedoch war der miese Verräter mir komplett in den Rücken gefallen und hatte sich auf die Seite meiner Eltern gestellt. Also würde ich ab nächste Woche hier in der neuen Stadt wieder zu einem neuen Therapeuten gehen müssen und das so wie es aussah noch eine ganze Weile.

»Stegi? Bleib Mal kurz stehen«, forderte Tim mich auf und ich gehorchte ohne zu widersprechen.

»Hier gibts so Regalbretter in verschiedenen Größen, in weiß und schwarz, die man so an der Wand befestigen kann, dass man die Halterung nicht sieht. Was hältst du davon?«

Ich zuckte mit den Schultern, eigentlich war es mir egal.

»Ich vertrau da voll und ganz dir«, erklärte ich, woraufhin Tim meinte, dass er drei von diesen Brettern, der größeren Variante, aufschreiben würde, um sie Später aus dem Lager mitzunehmen. Weiter suchten wir uns unseren Weg durch das schwedische Möbelhaus, Tim schrieb hier und da Warennummern von Möbeln auf seinen Zetteln, die er später mitnehmen wollen würde, nie ohne mir vorher das Aussehen zu beschreiben und mich um meine Meinung zu fragen. Was das Finanzielle betraf, brauchten wir uns keine Sorgen machen, durch meine Blindheit bezog ich monatlich staatliches Blindengeld und meine Eltern hatten versprochen, auch etwas für den Umzug beizusteuern. Als wir am Restaurant vorbeikamen, das im Möbelhaus lag, wollte Tim mich überreden, etwas zu essen, die seiner Meinung nach Welt beste schwedische Mandeltorte zu probieren, die es nur hier so gut gab, doch ich lehnte ab. Nach kurzem Jammern packte Tim schließlich kurzerhand drei dieser tiefgefrorenen Tortenpackungen in unsere überdimensional große Tüte, die schon zur Hälfte mit irgendwelchem Kram gefüllt war, den man nie vorgehabt hatte zu kaufen. Seiner Aussage nach schmeckten diese Mandeltorten hier zwar besser, aber auch selbstaufgetaut waren sie durchaus nicht zu verachten. Ich wurde immer gespannter auf diese, wenn man Tim glauben schenken wollte, Köstlichkeit, jedoch wollte ich hier nichts essen, da das immer noch so ein Problemthema für mich war. Blind zu essen barg einige Schwierigkeiten in sich und ich hatte keine Lust, mich hier vor allen Leuten zum Affen zu machen. Also gingen wir ohne Zwischenstopp die Treppen hinunter ins Lager, durch das man nun gehen und unterwegs seine Möbel mitnehmen musste, um zu den Kassen zu kommen. Tim Schnappte sich einen der Transportwägen, kein klassischer Einkaufswagen, viel mehr einfach ein Metallgitter auf Rollen mit zwei Griffen auf Armhöhe an der einen Seite. Ehe ich mich versah, spürte ich die kräftigen Hände meines besten Freundes an meiner Hüfte und unterdrückte einen erschrockenen Aufschrei, während er mich hochhob und auf dem Transportwagen vorsichtig wieder abstellte. Seine Hände griffen nach meinen und legten sie bestimmt auf die Griffe rechts und links von mir, hielte sich selbst weiter unten an den Griffen fest. Ich musste augenblicklich grinsen, als mir klar wurde, was Tims Plan war und klammerte mich nur etwas fester an die Plastikgriffe, als der Wagen mit mir darauf sich auf Tims Ankündigung hin in Bewegung setzte. Als er irgendwann begann, immer schneller zu laufen, konnte ich nicht anders als laut rauszulachen. Irgendwann hielten wir an und ich wollte absteigen, doch Tim wies mich an, nur einen kleinen Schritt zur Seite an den Rand des Wagens zu gehen und legte ein flaches Paket neben mir ab. Das erste Möbelstück. So fuhren wir weiter und nach und nach kamen immer mehr so flache Pakete hinzu, bis ich irgendwann gemütlich auf einem ganzen Stapel thronte und mich von Tim glücklich lächelnd kutschieren ließ. Erst als wir schließlich an der Kasse ankamen, musste ich tatsächlich wieder absteigen, damit die Kassiererin die Barcodes der großen Pakete einlesen konnte und den Kleinkram, den wir auf das Fließband geräumt hatten, über die Kasse ziehen konnte. Als es ans bezahlen ging, hielt ich ihr mit einem etwas mulmigen Gefühl meine Karte hin. Ich besaß zwar seit fast drei Jahren ein eigenes Konto und es war auch nicht das erste Mal, dass ich mit Karte zahlte, jedoch das erste Mal, seitdem ich blind war. Tim half mir, das Kartenlesegerät zu finden und ich suchte vorsichtig die richtigen Zahlen heraus. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich dankbar dafür, dass fast jedes Tastenfeld dieser Welt gleich angeordnet war, immer drei Zahlen in einer Reihe, die 0 unten mittig. So hatte ich es tatsächlich schaffen können auch ohne meine Augen mit Karte zahlen zu können. Bei dem Gedanken daran konnte ich nicht verhindern, dass ein gutes Gefühl in mir aufstieg und ich etwas stolz auf mich selbst wurde. Was heißt hier ›etwas‹? Sogar ziemlich stolz. Mit unserem Wagen voller Einkäufen gingen wir Richtung Auto, noch bevor wir das große Gebäude verließen, hielt Tim erneut an, um kurz darauf mit zwei Hot-Dogs wieder zu kommen. Genüsslich aß ich diesen, was dadurch, dass ich ihn mit der Hand essen konnte und keine Angst haben musste, irgendetwas umzustoßen, erstaunlich gut ging, während ich mich wieder von meinem besten Freund in aller Gemütlichkeit auf dem Wagen zum Auto kutschieren ließ. Gerade beschwerte Tim sich, dass er kaum etwas sehe, da ich genau vor ihm sitzen würde.

»Tja, mein Lieber. Sei doch froh. Ich bin viel schöner anzusehen als so eine olle Straße«, belehrte ich ihn frech, rutschte jedoch im selben Moment etwas zur Seite, damit er an mir vorbei sehen konnte.

Als wir schließlich bei dem Auto angekommen waren, dass er sich erneut von seinen Eltern ausgeliehen hatte, konnte ich nicht viel mehr machen, als hilflos daneben stehen und seinen Hot-Dog zu halten, während Tim versuchte, unsere Einkäufe in das Auto einzuladen und sich dabei lauthals zu beschweren, dass das nie im Leben gehen würde. Schließlich schaffte er es natürlich doch und wir machten uns wieder auf den Weg zu seiner Wohnung. Unserer Wohnung.

Auf den Weg nach Haue.

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Hayho meine Lieben!

Na, welches schwedische Möbelhaus habe ich da wohl beschrieben? *hust*

Kennt ihr die Mandeltorte, von der ich gesprochen habe? Göttlich...

Diese Szene mit dem Wagen und Stegi kam mir vor ein paar Tagen einfach so in den Kopf und ich MUSSTE sie einfach schreiben... Ich hoffe, sie gefällt euch.

Ansonsten freue ich mich wie immer über jeden Kommentar!

Liebe Grüße, minnicat3

Blindes Vertrauen ~ #StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt