Mit gesenktem Kopf saß ich am Esstisch, meine Schwester und Tim zu meiner beiden Seiten und meine Mutter mir gegenüber. Es gab Mittagessen und zur Feier meiner Heimkehr hatte meine Mutter groß aufgefahren. Vor mir irgendwo musste ein Teller Suppe stehen und aus Küche duftete es nach Knödeln, Braten, Sauce, Kartoffeln, zwei Arten von Salat und zum Nachtisch Pudding, Eis und frisch gebackenem Kuchen. Mir war dieser ganze Aufwand mehr als nur unangenehm, somal ich mir fast sicher war, dass ich keinen Bissen davon runter bringen würde. Doch meine Mutter hatte sich nicht davon abbringen lassen und so saß ich nun schon minutenlang vor meinem unberührten Teller und brachte es nicht über mich, etwas davon zu essen.
"Bitte Stegi, iss etwas.", hörte ich leise Tims Stimme beinahe flehend neben mir und bekam sofort ein schlechtes Gewissen.
"Du hast es mir versprochen", erinnerte er mich sanft, was mich aufseufzen ließ. Meinem Freund zu Liebe suchte ich dann aber tatsächlich nach dem Löffel und tauchte ihn vorsichtig in die Flüssigkeit vor mir ein. Mit voller Konzentration versuchte ich, das beinahe unmögliche zu vollbringen und nicht über die Hälfte der Flüssignahrung schon auf dem Weg zu meinem Mund zu verlieren. Als ich es schließlich tatsächlich geschafft hatte und zumindest einen kleinen Teil des Löffelinhaltes an mein Gesicht gebracht hatte, ließ allein der Geruch der Nahrung Übelkeit in mir aufsteigen. Einzig und allein mein Versprechen Tim gegenüber ließ mich schließlich die winzige Portion Suppe tatsächlich in den Mund nehmen und schlucken. Ich hatte bereits jetzt mehr als genug davon und wollte den Löffel gerade wieder zur Seite legen, als Tim mich erneut flehend ansprach:
"Nein, bitte. Gib es nicht schon auf. Du musst etwas essen. Denk an dein Versprechen."
Ich seufzte auf und zu allem Überfluss musste auch meine Mutter sich nun einmischen:
"Er hat recht, Schatz. Iss zumindest noch ein paar Löffel."
In diesem Moment war mir einfach nur nach Heulen zu mute.
"Es geht nicht, okay? Ich kann diese dumme Suppe einfach nicht essen, ich schaff es nicht. Ich will es nicht und ich kann es auch nicht.", brach es aus mir heraus und meine Mutter hielt erschrocken die Luft an.
"Tut mir leid, Schatz", hörte ich die unfassbare Traurigkeit aus ihrer Stimme heraus und hätte am Liebsten sofort wieder geschrien.
"Bitte, Stegi" Tim klang unglaublich klein und verzweifelt. Sofort wurde er von meiner Schwester unterbrochen: "Lass gut sein. Du kannst ihn nicht zwingen.", erkannte sie. Doch Tim schien trotzdem nicht aufgeben zu wollen:
"Nein, ich kann dich wirklich nicht zwingen. Aber ich kann dich bitten. Bitte Stegi, einen Löffel zumindest noch. Tus für mich, bitte"
Schmerzlich wurde mir bewusst, wie viel ich ihm in den letzten Wochen zu verdanken hatte und so kam es, dass ich schließlich tatsächlich noch zwei Löffel Suppe runterzwang.
Eine Stunde später erhob ich mich endlich erleichtert vom Esstisch, Tim zu Liebe hatte ich noch eine kleine Kartoffel mit Sauce und ein paar kleine Gabeln voll Kuchen zu mir genommen. Ich taste mich vor in mein Zimmer, wo ich mich sofort erschöpft auf meine Matratze legte, während meine Familie, inklusive Tim, sich um den Abwasch kümmerten. Fast augenblicklich fielen mir die Augen zu und ich dämmerte in einen Halbschlaf über. Immernoch hatte ich mich nicht an die vollkommene Dunkelheit um mich herum gewöhnt und mein Tag-Nacht-Rhythmus war dadurch vollkommen durcheinander gebracht. Eine knappe halbe Stunde später ließ mich das leise Geräusch einer sich öffnenden Tür wieder vollkommen in die Wirklichkeit zurückkehren und ich erkannte Tims Schritte, auf eine merkwürdige Art schwer und leicht zugleich, die mein Zimmer betraten und sich schließlich wie selbstverständlich auf meiner Matratze niederließen. Ich hatte mich inzwischen aufgesetzt und lehnte mich vorsichtig gegen den Größeren, der sofort einen Arm um mich legte und mich fest an sich zog.
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Blindes Vertrauen ~ #Stexpert
FanficWas ist, wenn dein Leben plötzlich über dir zusammenbricht und nichts mehr wie früher ist? Was ist, wenn du das Wichtigste in deinem Leben verlierst, das worauf all dein Handeln ausgerichtet ist, das was du immer als selbstverständlich erachtet has...