Slytherin

283 22 2
                                    


Ich entspannte mich sofort und nahm breit strahlend den Hut vom Kopf. Der zweite Tisch von links klatschte wie wild, ein älterer Schüler winkte mich freudig zu sich. Doch als mein Blick zu den anderen Tischen wanderte, wurde mir ganz anders. Wer mir vorhin noch aufmunternd zugelächelt hatte, sah mich jetzt misstrauisch oder sogar feindselig an. Ich schluckte. Lass sie doch denken was sie wollen! Was kümmert es dich? Ich machte mich noch ein wenig größer, als ich sowieso schon war und spazierte mit einem breiten Lächeln zum Slytherintisch. Ich würde es denen schon noch zeigen.

Am Tisch wurde ich von allerhand Schülern begrüßt, die mich beglückwünschten, im besten Haus vom Hogwarts gelandet zu sein. Sofort fühlte ich mich wieder besser.

Aufmerksam wandte ich mich der Einteilung zu. Der nächste Slytherin war ein Junge mit hellblonden Haaren namens Draco Malfoy. Er setzte sich gegenüber von mir und nickte mir zu. Ich nickte zurück und lächelte. Doch dann hörte ich den nächsten Namen und erstarrte.

„Harry Potter!"

Harry Potter? Der Harry Potter? Ich hatte nicht gewusst, dass er so alt war wie ich. Auch viele andere anscheinend nicht, denn um mich herum brach ein aufgeregtes Flüstern aus. Natürlich hatte ich schon von ihm gehört. Jedes Kind aus einer Zaubererfamilie kannte seinen Namen. Schließlich hatte er Lord Voldemort, den größten Schwarzmagier aller Zeiten besiegt – und damals war er nur ein Jahr alt.

„GRYFFINDOR!", rief der Hut über das Gemurmel hinweg. Der Gryffindortisch explodierte vor Freude. Kopfschüttelnd wandte ich mich von ihm ab.

Nachdem alle Schüler in ihr Haus zugeteilt worden waren, gab es endlich etwas zu Essen. Und wie! Ich hatte schon Angst, der Tisch könne unter den Essensmassen zusammenbrechen. Doch erstaunlicher Weise bog er sich noch nicht einmal unter der Last. Es gab Hähnchen und Kartoffeln, Wurst und Käse, Pasteten und die verschiedensten Kuchen. Ich sah Pfefferminzbonbons und Vanillepudding und dann waren da noch um die tausend andere Sachen. Ich hatte das Gefühl, mit diesem Essen könne man ein ganzes Land versorgen.

Als mein ärgster Hunger gestillt war, musterte ich meinen Nachbarn. Es war ein etwas muskulöserer Junge mit dunkelbraunen, fast schwarzen Haaren und hellbraunen Augen. Er bemerkte, dass ich ihn ansah und lächelte.

„Hey, ich bin Lewis. Lewis Caverly. Und du bist... Aurelia, stimmt das?"

Er war nicht schüchtern, so viel konnte ich jetzt schon sagen. Pluspunkt für ihn.

„Genau."

Draco, der Junge gegenüber von mir, mischte sich ein.

„Greengrass? Du bist ein Reinblut, oder?"

„Ja. Du auch? Malfoy..."

Er nickte. Dann wandte er sich Lewis zu.

„Und du?"

„Halbblut", antwortete dieser prompt. „Meine Mutter ist ein Muggel."

Draco lehnte sich zurück.

„Wie gut, dass wir hier in Slytherin sind, nicht wahr? Hier gibt es keine grauenhaften Schlammblüter."

Ich sog scharf Luft an. Schlammblüter. Solch eine Ausdrucksweise war mir bekannt. Sie stammte aus Familien, die der Ansicht waren, Muggel wären dumm und Zauberer sollten sie beherrschen. Und diese Ansicht gefiel mir absolut nicht.

„Es kann dir doch egal sein, wer die Eltern von jemandem sind."

Draco schien überrascht.

„Ich meinte nur, dass..."

Er brach ab und wandte sich unnatürlich aufmerksam seinem Hähnchen zu. Er tat mir irgendwie leid. Wahrscheinlich war er einfach mit diesem Wissen aufgewachsen. Und dafür kann man nun wirklich nichts.

Lewis grinste mich schief an.

„Ich weiß nicht, ob ich so gut über Menschen urteilen kann, aber irgendetwas sagt mir, dass du das seltene Talent hast, Leute dazu bringen, dich einfach nicht zu mögen."

Ich musste unwillkürlich grinsen.

„Da hast du wohl recht. Und dir scheint das zu gefallen."

Er lächelte und ich hatte das Gefühl, dass ich mich mit Lewis Caverly gut verstehen würde.

Nach einer Weile stand Professor Dumbledore, der Schulleiter, auf und alle verstummten. Er sagte uns allen einige grundlegende Regeln, wie zum Beispiel, dass man nicht in den Verbotenen Wald gehen durfte. Aber er sagte auch, dass der dritte Korridor für alle tabu war. Darüber wunderte ich mich, akzeptierte es jedoch. Wenn sie meinten, bitte schön!

Unsere Vertrauensschüler führten uns jetzt aus der Großen Halle. Während die anderen alle die Treppe nach oben nahmen, wurden wir nach unten gewiesen. Wir stiegen hinab in die Kerker und in mir kam die mulmige Vorahnung auf, unsere Schlafsäle könnten in irgendeinem schleimigen Loch liegen.

Doch meine Befürchtungen blieben unbegründet. Der Gemeinschaftsraum war wunderschön. Grüne Lampen tauchten einen runden Raum in ein angenehmes Licht. Überall standen bequeme Sofas und Armsessel herum, gegenüber vom Eingang prasselte in einem großen Kamin ein Feuer. Als ich aus dem Fenster blickte, sah ich das dunkle Wasser des Sees, den wir vorhin überquert hatten, und für einen Moment glaubte ich, einen Blick auf eine Schwanzflosse erhascht zu haben.

Alles in allem fühlte ich mich äußerst wohl. Der Raum war zusätzlich auch noch mit Teppichen bedeckt, was den kalten Stein gleich viel wärmer machte. Schon fühlte ich mich zuhause.

„Der Schlafsaal der Mädchen liegt auf der linken Seite!", rief die Vertrauensschülerin uns zu. Ich wandte mich ein letztes Mal Lewis zu, der mich angrinste.

„Man sieht sich!"

„Ja, man sieht sich."

Ich folgte den anderen Mädchen eine enge Wendeltreppe hoch, die vor einer Eichenholztür endete. Wir traten ein und sofort wurden die Betten in Beschlag genommen. Zuerst wollten alle bei dem riesigen, runden Fenster schlafen, als jedoch von außen ein toter Fisch dagegen geschleudert wurde, überlegten sie es sich noch einmal anders und so bekam ich das Bett.

Es war groß und hatte eine weiche Matratze. Man konnte smaragdgrüne Vorhänge über sein Bett ziehen, wenn man Ruhe haben wollte und im Bett lagen gefühlte 100 Polster.

Ich zog mich so schnell ich konnte um, wobei ich auch meine Schuluniform für morgen entdeckte. Sie sah toll aus. Der schwarze Umhang hatte das Slytherinwappen aufgenäht, eine Schlange auf grün-silbernem Hintergrund, und wir hatten auch noch eine Krawatte in den gleichen Farben. Ich mochte grün. Und silber war schon immer meine Lieblingsfarbe gewesen. Es hatte so etwas Feines und Edles an sich und war nicht so protzig wie gold.

Lächelnd ließ ich mich in den weichen Kissenberg fallen. Es war einfach alles perfekt. Ich war in Hogwarts. Ich hatte ein wunderbares Haus und ein tolles Bett. Was wollte man mehr? Und mit diesem Gedanken in Kopf und dem beruhigenden Rauschen des Sees im Ohr schlief ich schließlich ein. 

A Slytherin's StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt