O wie Ohnegleichen

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Mit einem Dauerlächeln, dass sich nicht beseitigen ließ, so sehr ich es auch versuchte, tauchte ich aus dem See in die Höhle. Die Zeit war viel zu schnell vergangen. Doch ich würde ja wieder kommen können.


Auch wenn es sich als schwieriger als gedacht herausstellte. Zwei große Punkte bewirkten, dass ich mit Mühe und Not ein Treffen alle zwei Wochen an einem Samstag arrangieren konnte. Erstens, Nelly und Viki. Sie verweigerten mir einen öfteren Zutritt, da dass ihre Meinung nach zu viel Aufmerksamkeit auf uns ziehen würde.

„Und wenn die anderen es bemerken, kannst du ihn nie wieder sehen."

Das hatten sie gesagt.

Dazu kam aber auch noch eine Sache, die an mir lag: Schulstress. Noch nie hatte ich so viel arbeiten und lernen müssen wie heuer. „Freies Wochenende" und „entspannen" waren zu Wörtern gewesen, die für die Fünftklässler nur noch in Wunschfantasien und Träumen existierten. Nicht selten passierte es, dass man durchmachen musste, um alle Hausaufgaben zu bewältigen und alle, die den Ehrgeiz hatten, gute Noten zu bekommen, zu denen ich mich selbst auch zählte, ließen meist das Essen aus.

Zum Glück war Lewis nicht so fleißig wie ich und oft, wenn ich noch Zauber wiederholte und Runen auswendig lernte, brachte er mir ein Menu aus dem Speisesaal mit. Dafür ließ ich ihn meine Notizen aus dem Unterricht lesen und hin und wieder sogar einen Aufsatz abschreiben.

Von meiner regelmäßigen Abwesenheit bekam er allerdings nichts mit, was mir einen kleinen Stich versetzte, auch, wenn es mir zugunsten kam. Ich musste mich einfach damit abfinden, nicht mehr seine einzige Freundin zu sein. Fast täglich saß er vor seinem Briefpapier und schrieb an Maxime.

Doch ich hatte ja dafür Silver. 

Alles in allem war es aber ein Wunder, wie ich es tatsächlich noch schafft, den ganzen Vormittag mit Silver zu verbringen, ohne, dass ich mit den Hausaufgaben weiter hinten war als alle anderen.


Doch diese immer viel zu kurzen Treffen waren immer der Höhepunkt meiner Woche und ich würde sie um keinen Preis aufgeben. Schon bald stellte sich heraus, dass wir fast die gleichen Interessen hatten und unsere Gespräche waren lang und ausschweifend. 


Bevor wir uns zum zweiten Mal bei ihm trafen, hatte ich mit oft gewundert, wie Silver es schafft, trotz seiner Verstoßung aus seiner Familie und ohne eine Chance, jemals Magie bewirken zu können, immer noch so fröhlich sein konnte. Ich stellte es mir schrecklich vor, ein Leben lang mit Zauberei aufzuwachsen, alles über sie zu wissen, aber nie daran teilhaben können. Es war, wie einen riesigen Kuchen zu sehen, der hinter einer unzerbrechlichen Scheibe war und man ihn nie erreichen konnte.

Doch nach dem Treffen wurde mir es mir klar.


Ich tauchte aus dem Wasser auf und Silver erwartete mich schon. Um eine weitere Begegnung mit Gary und John zu vermeiden, machten wir einen Spaziergang am Küstenpfad.

„Wie bist du eigentlich hier her gekommen?", fragte ich und machte eine ungenaue Geste um uns herum.

Silver überlegte lang, bis er langsam zur Antwort ansetzte.

  „Ähm..."

„Du musst es nicht erzählen... wenn du nicht willst!", warf ich schnell ein, auch wenn mir das gar nicht gefallen hätte. Doch Silver winkte schnell ab. 

„Nein, ist schon okay. Naja, es war so. Als meine Eltern am 1. September jegliche Hoffnung auf einen Brief aufgegeben hatte, begannen sie, darüber nachzudenken, was sie tun sollten. Mein... Vater wollte auf gar keinen Fall, dass das an die..., and die Öffentlichkeit kam, er wollte nur, dass ich so schnell wie möglich... weg kam."

Ich starrte Silver an. Ich sah, wie schwer es ihm fiel, dass zu erzählen.

„Aber meine Mutter... ihr habe ich das hier zu verdanken. Sie hat ihn überredet, hier her zu fahren, weit weg von allen Leuten, die uns kannten. Und in Edinburgh haben sie..."

„...dich ausgesetzt?", half ich ungläubig nach. Silver nickte.

„Aber das war schon okay. Ich habe Jake und Marie getroffen. Ihnen ungefähr erzählt, was passiert ist, alle Magische habe ich natürlich ausgelassen, und sie haben mich adoptiert."

Ich konnte es nicht fassen, wie Silver das ganze so runter spielen konnte. Was ihm zugestoßen war, war unglaublich!

„Wer", fragte ich mit vor Zorn bebender Stimme, „ist deine leibliche Familie. Sag es mir, damit ich sie finden und umbringen kann!"

Das mit dem umbringen meinte ich natürlich nicht ganz so... nur ein bisschen verfluchen.

Silver lächelte traurig und schüttelt den Kopf.

„Na gut", sagte ich immer noch wütend. „Dann sag mir etwas anderes. Wie schaffst du es, immer noch so fröhlich zu sein. Nach all dem? Wie schaffst du es, immer noch in allem das Gute zu sehen?"

Silver legte den Kopf schief.

„Das ist eigentlich ganz leicht. Weil es mir gut geht. Im Grunde genommen. Früher, da war immer alles streng und geregelt und ich war ein ziemlicher Kotzbrocken. Wirklich!", fügte er auf meinen ungläubigen Blick grinsend hinzu.

Ich konnte mir diesen Silver einfach nicht vorstellen, wie er jemanden beleidigte oder schlecht gelaunt war. Das passte nicht zusammen.

„Es ist wahr, ich war ziemlich schockiert, als es hieß, dass ich nie Zauberei erlernen könne, aber dann habe ich einfach versucht, mich auf die positiven Sachen zu fixieren. Und davon gibt es genug! Damit habe ich mich verändert."

Ohne es zu wollen, musste ich lächeln. Genau das mochte ich so an ihm. Er fand einfach in allem etwas Gutes.

Wir redeten lang und über die verschiedensten Sachen. Immer, wenn ein Thema erschöpft war, fielen uns zehn mehr ein und drei Stunden vergingen wie im Flug.

„Ich muss los", sagte ich enttäuscht mit einem Blick auf die Uhr. „Nelly und Viki würden mir zwar in einer Stunde wieder das Portal öffnen, aber ich muss bis morgen noch einen Aufsatz über Flugzeuge schreiben."

Silver, der zuerst nicht minder enttäuscht ausgesehen hatte, bekam wieder dieses begeisterte Funkeln in seinen Augen.

„Ich kann dir damit helfen. Ich kenne mich recht gut mit Muggeltechnologie aus!"

„Du verstehst das?", fragte ich erfreut.

„Ja. In meiner Freizeit bastle ich gerne selber an Erfindungen herum. Manche sind wirklich wie Magie. Schon ziemlich erstaunlich, nicht wahr?"

Und er erklärte mir Flugzeuge. Zum ersten Mal verstand ich das mit dem Auftrieb und warum Kondensstreifen entstanden.

Gemeinsam formulierten wir eine spannende Einleitung, die wir so gestalteten, als würden wir tatsächlich gleich abheben. Am Ende war es fast wie eine Abenteuergeschichte.

Wir verabschiedeten uns mit einer herzlichen Umarmung.


„Unglaublicher Aufsatz, Miss Greengrass", sagte Professor Burbage in der nächsten Muggelkunde-Stunde. „Wie genau Sie das alles beschrieben haben... manche Sachen habe ich sogar selbst nachschlagen müssen, weil ich nichts darüber gewusst habe. Machen Sie weiter so!"

Ich strahlte stolz und nahm die Arbeit entgegen, die mit einem geschwungenem „O" versehen war. O wie Ohnegleichen.

A Slytherin's StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt