Durchnässt, frierend und müde schlich ich die Schlossstiegen hinauf. Was hatte Nelly damit gemeint, Lia von Lethe. Was war Lethe? Ich glaubte, mich erinnern zu können, davon schon einmal gehört zu haben.
„Lethe, Lethe, Lethe", murmelte ich vor mich hin. Ich würde Recherchen betreiben.
Es war schon dunkel und niemand durfte mehr auf den Gängen sein. Kurz hatte ich mit dem Gedanken gespielt, zu einem der Lehrer zu gehen und ihm zu erzählen, was passiert war, hatte mich dann aber dagegen entschieden. Es war zu unwahrscheinlich, dass sie mir glauben würden.
Bevor ich die Treppen hinunter in die Kerker nehmen konnte, hörte ich, wie sich mir von unten einer der Sicherheitstrolle näherte.
Ich lief also nach oben, um nicht erwischt zu werden. Immer wieder musste ich Deckung suchen und ich verfluchte diesen Gryffindor-Jungen.
Einmal hätte man mich fast erwischt, ich war im siebten Stock und von beiden Seiten kamen Schritte.
Doch dann fiel mein Blick auf eine Rumpelkammer, die mir vorhin gar nicht aufgefallen war und ich versteckte mich darin.
Als ich es dann endlich in den Gemeinschaftsraum schaffte, spürte ich bereits eine Erkältung aufkommen und war so erschöpft, dass ich sofort einschlief.
Am nächsten Morgen wurde ich sofort von Lewis und Ria ungestüm begrüßt.
„Wo warst du?"
„Geht es dir gut?"
„Warum bist du verkühlt?"
„Was ist passiert?"
Ich erzählte ihnen in gedämpften Tonfall von meinen Erlebnissen; Nelly und Viki ließ ich allerdings vor Ria aus.
Nur eine Viertelstunde später kam Draco auf mich zu.
„Stimmt es, was Ria erzählt hat?"
Ich schnaubte, nickte dann aber.
„Kannst du dich noch erinnern, wer es war?"
Ich sah hinüber auf den Gryffindor-Tisch.
„Der da."
Ich zeigte auf den Jungen. Draco kniff die Augen zusammen.
„Dieses Arschloch!"
Ich lachte leise. Auch Lewis war in höchsten Maßen empört gewesen. Es berührte mich, wie sehr sie sich darüber aufregten.
Nur eine Woche später wurde der Junge (ich wusste noch nicht einmal seinen Namen) in den Krankenflügel eingeliefert, weil ihm Algen aus allen Körperöffnungen quollen. Ich wusste, dass ich das eigentlich nicht gut heißen sollte, aber immerhin hätte ich sterben können, wäre ich nicht im letzten Moment entdeckt worden. Und das war allein seine Schuld gewesen.
Doch dann rächte sich sein Haus an einem von uns und die Sache nahm ganz andere Züge an.
Es ging eine regelrecht Schlacht zwischen Gryffindor und Slytherin los. Schüler von beiden Häusern wurden auf offenen Gängen attackiert, dann kamen auch noch die zusätzlichen Spannungen wegen dem anstehenden Quidditch-Finale dazu.
Ich hätte diese Kämpfe zu gerne gestoppt, immer nur Rache auszuüben brachte doch nichts, doch wenn der Stein erst einmal ins Rollen gebracht worden ist, ist es schwer, ihn wieder zu bremsen.
Beim Spiel Anfang Sommer wurden dann die ganzen angestauten Gefühle frei, beide Teams begangen so viele Fouls wie noch nie.
Doch im Endeffekt gewann Gryffindor den Quidditch-Pokal. Sogar ich, die nie ein Fan von dem Spiel gewesen war, ärgerte mich zutiefst darüber, vor allem wegen der vielen höhnischen Blicke, die uns nachher trafen.
Doch bald darauf gab es für uns andere Sachen, wegen denen wir uns Sorgen machen mussten: Die anstehenden Prüfungen. Wir mussten bis spät in die Nacht lernen und nicht wenige bekamen einen Nervenzusammenbruch.
Ich war froh, als es dann endlich anfing, weil das ewige Warten hatte mich ganz verrückt gemacht.
Bei den meisten hatte ich ein gutes Gefühl, besonders gut war es mir in Muggelkunde und Astronomie gegangen.
Zwischen den Prüfungen begab ich mich in die Bücherei und recherchierte über Lethe. Die Antwort auf meine Frage bekam ich aber vollkommen unerwartet von meiner Muggelkunde-Lehrerin.
„Lethe? Du willst wissen, was Lethe ist?", fragte sie und sah mich mit leuchtenden Augen.
„Ja", sagte ich und sah erstaunt auf. „Wissen Sie es, Professor?"
„Lethe ist ein Fluss aus den alten griechischen Muggel-Sagen. Es hieß, er fließe in der Unterwelt und wenn man nur einem Tropfen davon trinkt, vergisst man alle möglichen Sachen. Lethe ist der Fluss des Vergessens."
Ich starrte noch lange ins Leere und versuchte mir auf diese kryptische Neuigkeit einen Reim zu machen. Doch der einzige Schluss, den ich fassen konnte, war mir schon bekannt und nicht zufriedenstellend: Das ich vergessen hatte. Was mir aber nicht sehr viel brachte, solange ich nicht wusste, was!
Eine unserer letzten Prüfungen war Verteidigung gegen die Dunklen Künste. Professor Lupin hatte einen Hindernislauf mit Grindelohs, Hinkepanks und anderen Geschöpfen erstellt.
Ganz zum Schluss kam ein Irrwicht. Davor hatte ich am meisten Angst gehabt. Welche Form würde er einnehmen?
Ich absolvierte alles tadellos und stieg dann sichtbar nervös in den Besenschrank, in welchem ein Irrwicht lauerte.
Ich wusste, dass ich Höhenangst hatte, aber wie sollte das Wesen das ausnützen? Würde es den Boden anders aussehen lassen? Eine optische Täuschung veranlassen?
Doch nichts dergleichen geschah. Es war, als gäbe es gar keinen Irrwicht. Wie ich so im Dunkeln saß, tauchte keiner meiner Albträume auf. Das einzige, was ich bekam, waren höllische Kopfschmerzen, die ich aber der Hitze zuschrieb.
Doch wie konnte das sein? Alle anderen hatten sich hier ihren Ängsten gestellt, nur ich nicht?
Ich schüttelte den Kopf und kletterte heraus.
Professor Lupin musterte mich verwirrt.
„Wollen Sie es denn nicht einmal versuchen, Miss Greengrass?"
Ich sah dem Mann, von dem ich wusste, dass er ein Werwolf war, in die Augen und erwiderte gelassen: „Da war kein Irrwicht. Zumindest habe ich keinen gesehen."
Lupin sah mich nachdenklich an.
„Na, dann."
Er nickte mir zu und ich machte das ich wegkam.
Doch da war noch ein Irrwicht gewesen, und er war auch noch vollkommen bei Kräften, wie er bei dem nächsten Schüler unter Beweis stellte.
Draco Malfoy kam nach einer Minute aus dem Kasten mit dem Irrwicht heraus gestolpert, das Gesicht leichenblass und die Augen aufgerissen. Lupin versuchte, ihn anzusprechen, doch er riss sich energisch los.
Ich zögerte, doch als sich niemand um ihn kümmern zu schien, eilte ich Draco nach.
Ich fand ihn hinter dem Schloss, die Hände ins Gesicht vergraben und unregelmäßig atmend.
Unsicher, was ich tun sollte, ließ ich mich neben ihm auf dem Boden nieder. Eine Weile lang saßen wir einfach nur nebeneinander, während Draco sich langsam wieder beruhigte. Die ganze Zeit sagte ich kein Wort, sondern legte ihm nur meine Hand auf die Schulter. Ich fragte nicht, was ihn so verstört hatte, wahrscheinlich würde ich es auch nie erfahren. Im Moment wusste ich nur, dass er eigentlich gar nicht so schlimm war, wie er sich immer gab.
Ich sah in die Ferne. Da war ich nun also. Lia von Lethe, das Mädchen ohne Angst, und tröstete Draco Malfoy. Die Welt stand Kopf.
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A Slytherin's Story
FanfictionLia Greengrass hat sich ihr Leben lang schon auf den Moment gefreut, wo sie endlich nach Hogwarts kommen und Zauberei lernen würde. Doch als der Sprechende Hut sie in das ihrer Ansicht nach wunderbare Haus Slytherin schickt, muss sie feststellen, da...