„Wo warst du?", fragte Lewis als ich den Gemeinschaftsraum betrat. Ich antwortete nicht, sondern ließ mich auf ein schwarzes Ledersofa fallen.
„Ich habe dich überall gesucht, wirklich. Aber du warst wie vom Erdboden verschluckt. Es tut mir Leid, ich wollte dir wirklich helfen, aber da waren so viele Leute! Ich habe vor der Großen Halle auf dich gewartet, weißt du? Dann bin ich zwar essen gegangen, hab mir jedoch riesige Sorgen gemacht. Sag mal hörst du mir überhaupt zu?"
Ich nickte stumm.
„Was ist denn los?"
Er setzte sich neben mich und sah mich beunruhigt an. Ich holte tief Luft und schüttelte dann den Kopf.
„Es ist nichts. Ich bin nur etwas müde."
Entschlossen stand ich auf und verzog mich nach oben.
Nach einem kurzen Check stellte ich erleichtert fest, dass ich allein war. Ich warf mich auf mein Bett und starrte auf die Decke. Ich war am Ende.
Ich, Lia Greengrass, spionierte für den bösesten Zauberer aller Zeiten. In seinem Dienste würde ich Harry Potter beobachten und Quirrell alles erzählen, was ich wusste. So lautete die Abmachung.
Was ich jetzt brauchte, war jemand, dem ich vertraute, jemand, dem ich alles erzählen konnte. An sich käme dafür nur Lewis in Frage, doch es gab ein Problem.
Ich glaubte nicht, dass Lord Voldemort mir vertraute. Woher wollte er wissen, dass ich nicht im nächsten Augenblick zu Dumbledore laufen würde?
Er wusste es zwar nicht, aber ich hatte Quirrell gehört, wie er hinter meinem Rücken einen Zauberspruch flüsterte. Ich war mir nicht sicher, was er bezweckte, doch meine Theorie war, dass es eine Art „Wanzen-Zauber" war, also ein Zauber, der mich jederzeit belauschte und verfolgte. Es gab einen solchen Zauber, bei meinen Recherchen war ich auf ihn gestoßen. Darum konnte ich auch nicht offen mit meinem Freund reden.
Als mir bewusst wurde, wie allein ich jetzt tatsächlich war, stiegen mir Tränen in die Augen. Hastig versuchte ich sie weg zublinzeln.
„Benutze deinen Verstand! Das hat dich bis jetzt noch immer weiter gebracht als heulen!", schalt ich mich im Stillen. Meine Gedanken konnte schließlich niemand hören, das war vollkommen ausgeschlossen. Was also tun?
Nach außen hin musste ich mich so normal wie möglich geben. Das war leichter gesagt als getan, wie sich schon bald herausstellte. Ich konnte Lewis nicht erzählen, wo ich gewesen war und wir konnten auch nicht mehr Quirrell hinterher spionieren. Allein das war schon eine Herausforderung. Ich musste mir irgendetwas überlegen, damit er keinen Verdacht schöpfte.
Am nächsten Tag war ich vollkommen neben der Spur. Im Unterricht konnte ich mich nicht konzentrieren, ich stellte mich ungeschickt und blöd an. Als am Nachmittag dann auch noch Quirrell kam, um mich nach Informationen auszufragen, hatte ich Angst zusammenzubrechen. Ich teilte ihm alles mit, was ich mitbekommen hatte, was nicht sehr viel war, doch er gab sich zum Glück damit zufrieden, sagte mir allerdings, ich sollte mir mehr Mühe geben.
Doch währenddessen hatte ich einen Plan geschmiedet. Ich würde Lewis einweihen. Und zwar sofort.
Nach der letzten Stunde zog ich ihn am Ärmel zu einem Tisch.
„Komm, lass uns Hausaufgaben machen!"
Lewis stöhnte.
„Jetzt schon? Wir haben alle Zeit der Welt! Wir brauchen sie schließlich erst nächste Woche."
Ich warf ihm einen flehenden Blick zu, woraufhin er nicht mehr protestierte. Er wusste: Wenn Lia Greengrass ihn anflehte, dann war die Lage ernst.
Ich zog mein Buch und eine Rolle Pergament heraus und schrieb unter dem aufmerksamen Blick von Lewis los. Meine Überlegung war nämlich, dass der Dunkle Lord zwar hören konnte, was ich sagte und mich jederzeit orten konnte, allerdings keine Ahnung haben konnte, was ich tat. Zumindest hoffte ich das sehr.
Ich schob Lewis meinen Text zu.
„Hast du das auch?"
Er blickte darauf und las:
Sag kein Wort von dem, was du liest, laut. Es geht um Leben und Tod. Tue einfach weiter so, als ob das nur eine Hausübung wäre. Wir werden belauscht.
„Ich glaube, du hast da einen Fehler, sorry, Lia", machte Lewis mit und kritzelte etwas zu meinen Worten dazu.
Wer?
„Ach, stimmt. Wie konnte ich nur so blöd sein!", ärgerte ich mich und schrieb einen weiteren Satz.
Lord Voldemort.
Lewis sah auf. Zum Glück wusste er, wer das war. Das erkannte ich an seinem entsetzten Blick.
„Moment, ich hab noch was vergessen", sagte ich eilig und zog das Pergament zurück.
Er ist auf Quirrells Hinterkopf. Ich bin ihnen in einem Geheimgang über den Weg gelaufen. Sie wollte mich umbringen, aber ich konnte mich herausreden. Dafür muss ich für Voldemort Harry Potter ausspionieren und wenn ich das nicht tue, merkt er das, er hat mir nämlich einen Aushorch- und Ortungszauber aufgelegt.
Lewis nickte immer wieder bedächtig beim Lesen.
„Ja, jetzt stimmt es. Nur einen kleinen Rechtschreibfehler hast du."
Er spielte wirklich gut. Er schrieb wieder nur sehr wenig hin.
Ach du Scheiße.
„Danke, dass du mir geholfen hast, Lewis."
„Mach ich doch immer gerne. Tun wir uns jetzt immer zusammen?", fragte er und ich verstand, was er meinte. Er wollte mir helfen. Zuneigung für ihn durchflutete mich wie eine Welle und ich musste mich zusammenreißen, ihm nicht um den Hals zu fallen.
„Ja! Gerne. Nochmal danke", antwortete ich und lächelte.
So schrieben wir weiterhin Nachrichten an einander, oder redeten scheinbar bedeutungsloses Zeugs, bis wir einen halbwegs guten Plan hatten.
Nach außen hin taten wir genau, was mir befohlen worden war. Wir beobachteten Harry Potter und seine Freunde und versuchten auch immer wieder, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Der Dunkle Lord war zufrieden mit mir.
Er wusste allerdings nicht, dass ich quasi eine Doppelagentin war. Mit Lewis gemeinsam sammelte ich Informationen über ihn, die uns später noch nützlich sein könnten. So fanden wir zum Beispiel heraus, dass er hier etwas suchte, etwas, was ihn unsterblich machen würde. Außerdem erfuhren wir von einem Zwischenfall im Verbotenen Wald, wo Voldemort den Potter-Jungen angegriffen hatte, dieser jedoch entkommen war.
Doch je mehr wir in Erfahrung brachten, desto offensichtlicher wurde es für uns, dass wir etwas unternehmen mussten. Man musste vor der anstehenden Gefahr gewarnt werden! Es war Anfang Juni und Lord Voldemort bereitete sich auf den Angriff vor.
Ich beschloss, dass ich mit Professor Snape reden musste. Er war der einzige Lehrer, dem ich vertraute. Ich hatte auch schon eine Idee, wie ich ihm unauffällig informieren konnte. Ich musste es irgendwie schaffen, mir Nachsitzen einzuhandeln.
Tatsächlich ging das schwerer als gedacht. Ich hatte geplant, mich so schrecklich wie nur möglich zu benehmen, doch mein erhofftes Ergebnis blieb aus.
Nachdem ich drei Kessel umgestoßen hatte, Draco Malfoy eine Ohrfeige verpasst hatte und meinen eigenen Zaubertrank vollkommen ruiniert hatte, dachte ich schon, Snape würde mich umbringen. Doch er sah über alles hinweg, ja, man konnte sogar denken, er ignorierte mich.
Doch dann kam die schreckliche Neuigkeit. Professor Quirrell kam zu mir und sagte mir, er hätte einen neuen Auftrag, einen, der wichtiger war als alles andere was ich bis jetzt gemacht hatte.
Ich sollte Harry Potter ablenken, da er etwas zu tun hatte.
Für mich hieß das nur eines: Heute Nacht würde Voldemort unsterblich werden, außer, jemand unternahm etwas dagegen.
Ich zögerte keine Sekunde. Ich stürmte die Treppen zum Kerker hinab, in das Klassenzimmer von Zaubertränke und vor zum Lehrertisch. Mir war egal, ob Voldemort es jetzt wusste. Im Moment ging es um etwas wichtigeres! Es ging um alles! Um die Schule, um meine Familie, ja, um die ganze Welt! Was war ich schon dagegen?
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A Slytherin's Story
FanfictionLia Greengrass hat sich ihr Leben lang schon auf den Moment gefreut, wo sie endlich nach Hogwarts kommen und Zauberei lernen würde. Doch als der Sprechende Hut sie in das ihrer Ansicht nach wunderbare Haus Slytherin schickt, muss sie feststellen, da...