Dementoren und Hippogreife

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Es war eine Gestalt wie aus einem Albtraum. Auf den ersten Blick ähnelte sie einem riesigen Menschen, eingehüllt in einen zerfetzten Umhang. Wäre da nicht die Haut gewesen, die sich grau und brüchig über eine verweste Hand zog. Wäre da nicht die Art gewesen, wie sie sich bewegte, so unmenschlich und absolut geräuschlos. Wäre da nicht das Gefühl gewesen, nie wieder glücklich werden zu können. All meine fröhlichen Gedanken waren fort. Zurück blieb, was ich am liebsten verdrängt hätte: Wie ich einmal in einem Kamin verloren gegangen war und in Südamerika gelandet war, wie mich die Schüler aus den anderen Häusern immer ansahen und... noch etwas. Etwas, dass mir unendliche Angst einjagte, von dem ich allerdings nicht wusste, was es war.

Was ich aber jetzt wusste, war, was da vor mir stand und an meiner Reaktion Schuld hatte. Ein Dementor. Die grauenhaften Wachen von Askaban, die sich von positiven Emotionen ernährten.

Neben mir hörte ich ein Wimmern. Ich sah zu Ria. Nein, sie war es nicht. Sie war zwar blass und zitterte leicht, gab aber keinen Mucks von sich. Lewis schien es noch schlechter zu gehen, er war weiß und seine Augen waren so weit aufgerissen, dass sie schon fast herauszufallen schienen.

Doch das Wimmern kam von Draco. Ihm schienen die Dementoren am meisten zuzusetzen.

„Nein, nein...", wisperte er schwach.

Ich hatte das ungute Gefühl, dass er nicht mit dem Dementor sprach. Viel mehr vermutete ich, dass er sich an etwas erinnerte. An etwas grauenhaftes.

Er tat mir leid.


Dann verschwand der Dementor mit rasselnden Atemzügen. Wir entspannten uns alle, nur Draco nicht. Sobald keine vermummte Gestalt mehr zu sehen war, sprang er auf und floh aus dem Abteil. Ria zögerte und schien ihm nach rennen zu wollen.

„Tue es nicht", meinte ich schlicht.

Er hatte mir nicht so ausgesehen, als wolle er angesprochen werden.


Etwas später kam ein Lehrer namens Professor Lupin durch. Er fragte in allen Abteilen nach, ob jemand einen Dementor begegnet wäre. Als wir bejahten, gab er jedem von uns ein Stück Schokolade.

„Das hilft", so meinte er.

„Was der wohl unterrichten wird?", fragte Ria neugierig geworden.

„Ich schätze Verteidigung gegen die Dunklen Künste", vermutete Lewis. „Professor Lockhart hat ja zum Glück gekündigt."

„Er klingt fähig", sagte ich. „Das wäre einmal eine willkommene Abwechslung."

Lewis grinste und stand auf. Der Zug begann erneut, sein Tempo zu drosseln, aber dieses Mal konnten wir schon den vertrauten Bahnhof sehen. Keine weiteren Dementoren mehr, zumindest nicht heute Abend.

Doch nachdem wir mit den pferdelosen Kutschen hinauf nach Hogwarts gefahren waren, die Große Halle betreten hatten und alle Erstklässler in ihre Häuser zugeteilt worden waren, machte Professor Dumbledore die Ansage, dass Dementoren das Schulgelände bewachen würden.


Draco schien es wieder bestens zu gehen, ja, man könnte sogar meinen, die Begegnung mit den Wachen von Askaban hätte ihm gar nichts ausgemacht, vor allem sein Verhalten ließ darauf schließen.

Statt zuzugeben, wie grauenhaft es für ihn gewesen war, machte er sich lieber über Harry Potter lustig, der, seinem Bericht zufolge, ohnmächtig geworden war. Während er die Geschichte höhnisch vortrug, legte er eine bühnenreife Darbietung eines bewusstlos werdenden Harrys hin. Die meisten lachten darüber, am lautesten Pansy Parkinson, die Draco anbetete.

Ich persönlich fand es nur mäßig lustig. Mum hatte mir einmal erzählt, dass es nichts mit Stärke oder Schwäche zu tun hatte, wie groß die Auswirkung von Dementoren auf einen war. Leute, die schreckliche Erinnerungen hatten, mussten diese bei einer Begegnung mit den Wesen noch einmal durchleben.


Mit dem neuen Schuljahr kamen auch die frisch gewählten Fächer. Mein erstes neues Fach war gleich um neun Uhr am Montag, Muggelkunde.

Unsere Lehrerin, Professor Burbage, begrüßte uns mit leuchtenden Augen.

„Also, wer von euch ist denn bei Muggeln aufgewachsen oder hatte zumindest viel Kontakt mit ihnen?"

Ich sah mich um. Nur eine einzige Hand war erhoben, und zwar die von Hermione Granger.

„Nur eine einzige? Gut. Wir werden mit den Grundlagen anfangen", meinte Professor Burbage. „Muggel sind im Prinzip nicht sehr viel anders als wir. Das einzige, was uns von ihnen unterscheidet, ist unsere Fähigkeit, Magie auszuüben. Ihr habt in Geschichte der Zauberei wahrscheinlich schon von den Hexenverbrennungen gelernt, oder?"

Zustimmendes Nicken von allen Seiten.

„Bis zu diesem Zeitpunkt haben Muggel und Zauberer Haus an Haus zusammen gelebt. Doch danach trennten sich die Wege und wir haben eine unterschiedliche Geschichte. Von der der Zauberer habt ihr ja bereits gelernt, aber um die Muggel besser verstehen zu können, müssen wir uns auch ihrer Vergangenheit zuwenden. Blättert bitte auf Seite drei. Hier seht ihr einen Zeitstreifen..."

Burbage redete immer weiter, doch ich hörte nicht mehr so genau zu. Ein Text auf einer Seite weiter hinten hatte meine Aufmerksamkeit errungen.

Ohne Besen über den Wolken: Das Flugzeug

Schon immer hatten Muggel davon geträumt, über den Wolken zu fliegen. Dank ihrer Unfähigkeit einen Besen zu benutzen mussten sie aber wie in so vielen anderen Bereichen hohe Kreativität und Geschicklichkeit unter Beweis stellen um diesen Traum zu erfüllen.

Fasziniert starrte ich auf die Abbildung eines seltsamen Teiles. Es ähnelte ein wenig einem Fisch, oder auch einem Vogel, hatte aber keine Augen und sah glatt wie polierter Marmor aus. Wie sollte so etwas fliegen können?

„Also, bis zur nächsten Stunde. Da werden wir uns dem Geheimhaltungsgesetz und dazugehörigen Zeitpunkten widmen", unterbrach Burbage meine Gedankengänge.

Ich schüttelte den Kopf und klappte das Buch zu. Das Bild von dem sogenannten "Flugzeug" wollte mir aber nicht aus dem Kopf gehen.


Die nächste Schulstunde war eine Katastrophe. Angefangen damit, dass uns der Lehrer, Professor Hagrid, beißende Bücher gegeben hatte und eigentlich bis jetzt nur als Wildhüter fungiert hatte. Doch das war nicht das Schlimme.

An sich wäre das Thema selbst sehr interessant gewesen, Hippogreife. Das waren riesige, auf ihre Art wunderschöne Wesen, die wie eine Mischung aus Pferd, Adler und Löwe aussahen. Allerdings waren sie viel zu gefährlich für eine erste Schulstunde.

Anfangs ging alles noch gut, Harry Potter machte sogar einen kleinen Rundflug über die Koppel. Doch dann sollten wir in Gruppen an einem Hippogreif arbeiten.

Lewis und ich gesellten uns zu einem Gryffindor namens Neville Longbottom, der uns immer ängstlich anstarrte. Nach einer kurzen, aber notwendigen Zeremonie mit Verbeugungen, ließ das Tier mich an sich ran. Ich war beeindruckt von seinem Charakter. Stolz und erhaben, aber auch klug.

Ich sah mich um, wem das sonst noch so gelungen war und mein Blick fiel auf Draco. Er streichelte den Hippogreif, aber mir wurde sofort klar, dass er etwas falsch machte. Alleine, wie er mit dem Tierwesen umging. Arrogant und verächtlich. Das konnte nicht gut ausgehen.

Und ich sollte Recht behalten. Er sagte etwas. Ich verstand es nicht genau, hörte aber Worte wie „hässlich" und „Scheusal" heraus.

Ich war kurz davor, hinzurennen und ihn wegzuziehen, doch da war es schon zu spät. Der Hippogreif bäumte sich auf und schlug Draco zu Boden. Seine Krallen blitzen auf und ich konnte gerade noch einen Schrei unterdrücken.

Hagrid stürzte herbei und zerrte das Wesen fort, dann hob er Draco mit seinen großen Pranken auf. Ich sah Blut an seiner bleichen Hand heruntertropfen und der schwarze Hogwartsumhang sah dunkler als sonst aus.

Jemand öffnete das Tor und wir sahen stumm zu, wie er zum Schloss hinauf hastete.

„Sie sollten ihn sofort raus werfen!", schluchzte Pansy. Ich verdrehte die Augen über ihr kindisches Gehabe. Draco würde das schon überleben.

A Slytherin's StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt