Man weiß ja nie

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Die erste Stunde von Verteidigung gegen die Dunklen Künste war zweifellos die beste, die ich je gehabt hatte. Draco und die anderen mochten sich über seine geflickten und heruntergekommen Klamotten lustig machen, doch Professor Lupin wusste, wovon er sprach.

In der ersten Stunde brachte er uns einen Irrwicht mit. Der Irrwicht war ein Wesen, das immer die Gestalt davon einnahm, was einem am meisten Angst einjagte.

Doch die Stunde klingelte schon bevor ich oder Lewis an die Reihe gekommen waren. Einerseits war ich darüber enttäuscht, weil ich so vielleicht nie wissen würde, welche Gestalt er annehmen würde, aber insgeheim war ich auch froh darüber. Es hätte unangenehm werden können, allen anderen seine größte Angst zu zeigen.


Draco wurde auch wieder gesund, genau wie ich es gesagt hatte. Während er aber im Gemeinschaftsraum seinen Arm völlig uneingeschränkt bewegen konnte, tat er oft im Unterricht so, als ob er ihn kaum noch benutzen könne. Ich sagte nichts dazu, aber meine missbilligenden Blicke waren kaum zu übersehen.


Ende September brauchte ich nach Zaubertränke noch etwas länger um alles aufzuräumen und blieb gemeinsam mit Lewis als letzte im Klassenzimmer.

Als Professor Snape uns bemerkte, drückte er Lewis eilig einen dampfenden Becher in die Hand.

„Könnten Sie den zu Professor Lupin bringen? Ich bin leider etwas in Eile..."

„Sicher", sagte mein Freund verwirrt.

„Ich kann mich auf Sie verlassen? Der Trank ist sehr... wichtig für ihn. Sagt ihm, er soll in sofort einnehmen und auf keinen Fall Zucker hinzufügen."

In seinen Augen blitzte kurz etwas auf, doch es verschwand so schnell wieder, dass ich nicht mehr interpretieren konnte, was es heißen sollte.

Wir nickten nur und unser Lehrer machte sich auf den Weg.

Ich wechselte einen Blick mit Lewis. Der zuckte mit den Achseln und wir machten uns auf den Weg.

„Was glaubst du, was da drin ist?", fragte ich auf dem Weg nach oben.

„Keine Ahnung. Und herausfinden können wir es ja auch nicht."

Ich schnupperte an dem Gebräu. Nichts. Kurz war ich versucht davon zu kosten, konnte mich dann aber doch nicht dazu überwinden. Wer weiß, was das war. Eine Medizin, die Gesunde vergiften konnte? Ich wollte kein Risiko eingehen.

Doch es widersprach meinen Grundsätzen, es nicht zumindest zu versuchen, das Geheimnis zu lüften. Also zog ich als ich mir sicher war, das niemand außer Lewis zusah, ein kleines Röhrchen hervor und schüttete ein paar Milliliter von dem Trank hinein. Dann verstöpselte ich es sorgsam und ließ es in der Tasche verschwinden.

Lewis musterte mich mit einer hochgezogenen Augenbraue. Ich lächelte geheimnisvoll und sagte: „Man weiß ja nie."


Eigentlich hatte ich vorgehabt, in den darauf folgenden Wochen in der Bücherei über diesen Trank Recherchen zu betreiben, aber irgendwie kam mir immer etwas dazwischen.

Zuerst war da das erste Quidditch-Spiel der Saison, Hufflepuff gegen Gryffindor.

Alles hatte wunderbar angefangen, doch dann, als die beiden Sucher gerade dem Goldenen Schnatz, einem winzigen, unglaublich schnellen und sehr beweglichen Ball, hinterher jagten, legte sich eine furchtbare Kälte über das Stadium.

Mit einer dunklen Vorahnung hob ich den Kopf und schnappte entsetzt nach Luft. Dementoren. Überall! Es waren hunderte und sie hielten alle auf uns zu.

Ich sah, wie einer der Spieler vom Besen herunterfiel, fast alle Schüler sprangen auf und ich hörte, wie Dumbledore einen schnellen Zauber rief, der ihn gerade noch auffing. 

Zwar war niemandem etwa passiert, aber der Schreck saß allen noch in den Knochen.


Die zweite Sache allerdings um einiges erfreulicher. Am 31. Oktober durften alle ab der dritten Klasse nach Hogsmeade gehen. Hogsmeade, das war ein Dorf in der Nähe des Schulgeländes. Man sagte, es sei der einzige Ort Großbritanniens, an dem nur Zauberer lebten.

Nach einer lästigen Kontrolle von Dementoren wurde Hogsmeade von Hogwarts-Schülern gestürmt.

Ich zerrte Lewis überall hin und konnte gar nicht genug sehen. Zuerst besuchten wir Den Honigtopf, ein Süßigkeiten-Geschäft, das seinesgleichen suchte. Es gab gekannte Sachen wie Bertie Botts Bohnen jeder Geschmacks-Richtung, Schokofröschen und Kaugummis, aber auch ausgefallene wie Zahnweiß-Pfefferminzlakritze, getrocknete Kakerlaken und Zischende Wissbees.

Vollgeladen verließen wir den Laden und ich wurde von Lewis sofort zum Scherzartikel-Laden „Zonko's" geschleift, wo er sich mit Stinkbomben und allerlei anderen Sachen eindeckte. Auf meinen kritischen Blick hin grinste er nur und sagte: „Man weiß ja nie."

Später gingen wir noch zu den Drei Besen und tranken ein Butterbier und zum Schluss machten wir noch einen Spaziergang. Alles in allem ein wunderbarer Tag.

Wäre der Abend nicht gewesen.


Nach einem füllenden Abendessen gingen wir Slytherins hinunter in unseren Gemeinschaftsraum. Doch bevor irgendwer einschlafen konnte, wurde unsere Tür heftig aufgemacht.

„Alle raus. In die Große Halle", sagte Professor Snape kurz angebunden.

„Was ist passiert?", fragte ich ihn.

„Das werden Sie noch früh genug erfahren."

Ich hob die Augenbrauen. Na gut. Dann eben nicht.

Die anderen Häuser trafen fast zeitgleich mit uns ein. Es gab verwirrtes Getuschel. Ich entdeckte Luna verträumt in der Halle stehen und eilte zu ihr.

„Was ist hier los? Weißt du es?"

Luna sah mich an und lächelte.

„Ja. Dieser eine Mann da wollte in den Gryffindor-Gemeinschaftsraum einbrechen, so viel ich weiß."

„Welcher Mann?", hakte ich ungeduldig nach.

„Der, der aus dem Gefängnis ausgebrochen ist. Wie hieß er noch gleich?"

„Sirius Black?", fragte ich entsetzt.

„Ja, genau, der", meinte Luna strahlend und schwebte zu den anderen Ravenclaws davon.

Ich sah zu Lewis. Er starrte mich ungläubig an.

„Wie kann das möglich sein?", sagte er. „Wie ist er ins Schloss gekommen?"

Mir blieb vorerst eine Antwort erspart, weil Dumbledore herein kam. Er erklärte uns, dass wir die Nacht hier verbringen mussten und mit einem Schwung seines Zauberstabes tauchten hunderte Schlafsäcke auf dem Boden auf.

„Schlaft schön", sagte er noch und verschwand mit den anderen Lehrern.

Das tat aber niemand. Überall wurde getuschelt und Theorien wurden aufgestellt, eine verrückter und unsinniger als die andere.

„Was denkst du?", fragte Lewis.

„Er kann nicht apperiert haben oder geflogen sein, das hat Mum mir einmal erzählt. An den Dementoren kommt man auch nicht vorbei. Vielleicht ein Geheimgang?"

„Ja, das könnte sein...", sagte Lewis, klang aber nicht sehr davon überzeugt.

Nach und nach ging allen der Gesprächsstoff aus und schliefen ein, ich eingeschlossen. Doch zuvor lang ich noch stumm am Boden und hing meinen Gedanken nach. Wie hatte er es geschafft? Und noch wichtiger, würde es ihm noch einmal gelingen? Es konnte auch nicht Zufall sein, dass er in den Gryffindor-Turm wollte, wo doch Harry Potter dort war, oder?

A Slytherin's StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt