Descendants of the Sea

1.

Dass Kaylin sich ausgerechnet nun wieder an dieses Ereignis ihrer Jugendzeit erinnerte, war kein Zufall.  Denn zum ersten Mal seit jenem Tag stand sie wieder einem Piraten gegenüber. Doch sie musste zugeben, dieser war weitaus jünger und hübscher als die anderen damals. Seltsamerweise wusste die junge Frau nicht was zu tun, ihr Kopf sagte, es wäre am besten, zur Seite zu treten, doch ihr Bauchgefühl meinte, sie müsse den Verbrecher aufhalten. So wie ihr Pflegevater es ihr geraten hatte. Lasse nie einen Piraten entkommen, wenn es irgendwie geht. Offenbar schien dem Mann vor ihr aufzufallen, dass sie hin und her gerissen war. 

"Milady", sprach er ruhig. "Bitte tretet zur Seite, ich möchte Euch nichts tun. Nur lasst mich bitte einfach durch" Manieren schien er immerhin zu haben, mehr als sie einem Piraten zugetraut hätte. 

"Tu-tut mir leid" Flehende blaue Augen sahen sie an und wäre ihr Gegenüber nicht ein Pirat gewesen, wäre Kaylin seiner Aufforderung wohl nachgekommen. Der Mann schien mit sich zu ringen, dann zog er entschlossen etwas hervor.

"Eigentlich töte ich niemanden, aber ihr lasst mir keine Wahl, Milady", erklärte er, als er eine Pistole auf Kaylin richtete. "Die Halskette und dann tretet zur Seite" Beharrlich verschränkte die Frau ihre Arme und rührte sich sonst nicht. Das schien den Piraten zu verwirren. "Habt Ihr denn keine Angst?", wollte er erstaunt wissen.

"Nein habe ich nicht", das erste Wort war viel schwerer als die folgenden, "Ihr sagtet nämlich, Ihr würdet eigentlich niemanden töten. Also werdet Ihr auch nicht bei mir eine Ausnahme machen" Entgeistert wurde die Waffe gesenkt und ein sehr unschöner Fluch verliess die Lippen des Mannes. Plötzlich richtete er seinen Blick in die Ferne hinter Kaylin und runzelte die Stirn.

"Was zur Hölle ist denn das?", murmelte er mehr für sich selber. Augenblicklich fuhr die Bewohnerin von Port Royal herum und suchte nach etwas Auffälligem. Erst zu spät bemerkte sie, dass sich der Pirat an ihr vorbeigedrängt hatte und als sie sich an den Hals fasste, fiel ihr auf, dass die Halskette weg war. Sie wurde ausgetrickst. Ohne zu Zögern nahm sie die Verfolgung auf, sie würde sich nicht das Einzige, was ihr von ihrer Familie blieb stehlen lassen. 

Zu ihrer Erleichterung war die Verfolgungsjagd zwei Gassen später zu Ende, der Räuber war der Royal Navy direkt in die Arme gelaufen. Allerdings war der offenbar so verwirrt, dass er sich kaum wehrte, als man ihn in Ketten legte. Einer der Uniformierten bemerkte da Kaylin.

"Miss Farley", kommentierte er ihr Erscheinen lediglich. Dessen ungeachtet schritt die Angesprochene auf den Piraten zu und riss ihm ihr Familienerbstück regelrecht aus den Händen. 

"Ihr hättet mir das besser nicht weggenommen", verklärte sie kalt. Trotz seiner Situation schenkte der Pirat ihr ein Lächeln.

"Euch ist bewusst, dass mir das nur noch mehr Ansporn gibt, sie endgültig in meinen Besitz zu bringen?" 

"Mein Vater ist Commodore der Royal Navy, genauso wie mein Verlobter. Nein der ist sogar Admiral inzwischen. Findet ihr das wirklich klug?" Es war Kaylin egal, dass dies eine Lüge war. Eine Halbwahrheit um genau zu sein. Das Lächeln verbreiterte sich.

"Diese Herausforderung nehme ich gerne an Milady." Ehe die Wachen ihn von ihr wegzerrten reichte er ihr die Hand, besser gesagt beide, aufgrund der Ketten. Kaylin ergriff lächelnd die Rechte und schüttelte sie. Angst hatte sie keine, immerhin würden die Wachen aufpassen und eingesperrt könnte ihr der Freibeuter nichts mehr antun. Selbst als sie den Gefangenen nicht mehr sah, hatte sie das Lächeln immer noch im Gesicht. Als sie sich aber erinnerte, dass sie davon nun ihrem Pflegevater erzählen müsste, verschwand dieses. Es zu verschweigen stand ausser Frage, erfahren würde er es ohnehin. Kaylin fand es besser, ihn am Tag vor seiner Beförderung nicht zu verärgern. Gedankenverloren strich sie über ihren Hals und erschrak als sie die Kette nicht mehr spürte. Dann erinnerte sie sich, sie hielt sie noch immer in der Hand. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie auch dort nicht war. Schlagartig wurde es ihr klar.