Die kommenden Monate fühlte Kaylin sich recht einsam. Zwar war sie es nicht, dennoch fühlte es sich so an. Nur einen Tag nachdem die Piraten weg waren, verliess auch Norrington sie, der den Piraten hinterher segelte um sie wieder hinter Schloss und Riegel zu bringen. Das war eine rechte Zwickmühle für Kaylin, entweder kam Norrington bald zurück, hatte aber die Piraten gefangen oder er bliebe länger fern, dafür war ihr Geliebter frei. Das einzig Gute war, dass etwa drei Tage nach Norringtons Abschied auch Beckett wieder abreisen musste. Kaylin hatte den Verdacht, dass er bloss in die neue Welt gekommen war, um sie zu heiraten und dann mit nach England zu nehmen. Am schlimmsten war es für die junge Frau nach Hause zu kommen und die Räumlichkeiten verlassen vorzufinden. Das war ein Grund, warum sie sich nicht gerne dort aufhielt. Oftmals verbrachte sie einen Grossteil des Tages auf der Mauer von Fort Charles, wo sie Fíli das letzte Mal sah, und starrte in die Ferne. Andere Tage war sie fast vollständig im Haus der Swanns oder unterwegs mit Will. Doch Verlassen tat sie den Ort nicht. Nicht ganz ein halbes Jahr nach ihrem Abenteuer, suchte Gouverneur Swann sie an ihrem Lieblingsort, eben jenem Aussichtspunkt, auf.
"Wir haben gerade Nachricht von Norrington erhalten" Freudig blickte Kaylin auf und erkundigte sich, was für Neuigkeiten es gäbe, in der Hoffnung es mögen gute sein. Beispielsweise, dass er die Suche abbrach und zurückkehrte. "Er hat gekündigt. Tut mir leid" Irgendwie wusste sie nicht, was sie davon halten würde.
"Das heisst also, er kommt wieder und die Suche ist auch zu Ende?"
"Nein. Es tut mir leid, er kommt nicht zurück. Versteh es nicht falsch, er ist nicht tot, er will bloss nicht." Ab da hörte die junge Frau auf, auf ihre Freunde zuzugehen, auch verbrachte sie nicht mehr so viel Zeit bei Elizabeth. Stattdessen schlief sie ungewöhnlich lange und sass für den Rest des Tages praktisch ausnahmslos auf der Mauer und las, oder betrachtete das Meer und hoffte auf eine Rückkehr. Entweder Fíli oder James. Egal wer der beiden es wäre, sie würde ihn begleiten, denn sie hatte gemerkt, dass dies die wichtigsten Leute in ihrem Leben waren. Elizabeth und Will hatten sich seit der Rückkehr ziemlich verändert, fand sie. Zwar war auch Kaylin nicht mehr dieselbe, aber ihrer Meinung nach, hatte es ihre Freunde schlimmer getroffen.
Weitere Monate vergingen, aber Kaylin fühlte sich nur wenig besser, sie hatte allerdings wieder angefangen, mehr mit ihren Freunden zu machen, aber richtig geniessen konnte sie die Aktivitäten nicht immer. Inzwischen war sie praktisch ins Haus der Swanns eingezogen, was Weatherby freute. Doch auch Kaylin war recht dankbar dafür, immerhin erwarteten sie nicht mehr leere Räume und sie hatte immer genug zu Essen. In den vorhergegangenen Monaten hatte sie viele Mahlzeiten ausgelassen, spürte dennoch keinen Hunger. Manchmal fragte sie sich, ob Fíli sie vielleicht vergessen hatte oder bereute es, die Chance nicht ergriffen zu haben und mit ihm mitgegangen zu sein. Etwas mehr als ein Jahr seitdem sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, begann Kaylin sich mit ihrer Situation abzufinden und hatte in fast allen Punkten ihr altes Leben zurück. Mit dem Unterschied, dass sie nun an einem anderen Ort wohnte, damit andere Leute um sich hatte und nebst ihren Eltern zwei andere Leute fürchterlich vermisste. Ausgerechnet das war der Zeitpunkt, als ihr Leben erneut auf den Kopf gestellt wurde.
In einer nebligen Nacht sass Kaylin wie so oft nach einem schlimmen Traum draussen, dass sie plötzlich laute Schritte hörte. Die Neugier siegte und sie wagte es den Geräuschen nachzugehen, um herauszufinden, was los war. Es waren Soldaten. Hunderte von ihnen marschierten durch Port Royal bis sie bei Fort Charles ankamen und sich dort versammelten. Gerade war sie kurz davor, das Geheimnis, wer ihr Anführer war, zu lüften, als sie eine Hausmagd der Swanns hinter sich bemerkte.
"Ihr solltet nicht hier draussen sein. Ausserdem solltet Ihr Euch ausruhen." Seufzend gab sie nach, immerhin wäre morgen ein wirklich wichtiger Tag. Für sie vielleicht nicht, aber für ihre beiden Freunde. Elizabeth und Will würden heiraten. Unerwarteterweise konnte Kaylin bald wieder einschlafen und träumte gar nicht. Am Morgen hatte sie die Soldaten bereits wieder vergessen, lediglich das Wetter trübte ihre Stimmung. Es regnete so fest wie es nur konnte. Wäre der Anlass nicht so wichtig und freudig gewesen, hätte Kaylin sich wohl eine Ausrede gesucht, um der Feier zu entfliehen. Dennoch liess sie sich ein wenig Zeit mit Waschen, anziehen und frisieren. Eine Stunde bevor die Trauung losgehen sollte, war sie fertig und gesellte sich neben ihre Freundin, die im Türrahmen stand und mit leerem nach draussen blickte.

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Descendants of the Sea
أدب الهواةJahrelang hat Kaylin einen Verehrer, interessiert ist sie jedoch nicht im Geringsten. Genau genommen kann sie ihn nicht einmal leiden. Ausgerechnet in dieser Zeit passieren Dinge, die ihr Leben für immer verändern werden. Als wäre das nicht genug...