Nicht nur hatte Kaylin tagelang beinah ununterbrochen Angst, zu allem Übel war ihr auch sonst gar nicht wohl. Bereits mehrere Male musste sie sich in den vergangenen Tagen übergeben, was unter anderem daran lag, dass sie meistens nicht Wasser, sondern Rum zu trinken bekamen, Sinn machte das für sie nicht. Das Einzige, das sie halbwegs tröstete war, dass sie nicht alleine war. Immerhin war Fíli bei ihr und ermahnte sie mehrmals täglich, sie dürfe die Hoffnung nicht aufgeben. Wenn Kaylin schlief, wusste sie, dass er noch lange wach war und aufpasste. Auf der anderen Seite hatte sie Angst, er könne die Situation irgendwie ausnutzen. Geredet hatten sie nicht viel, genaugenommen, hatte Kaylin seit ihrer Entführung kein Wort gesagt. Sie machte sich Sorgen um ihre Freunde in Port Royal, sie wusste nicht, ob überhaupt noch jemand von ihnen lebte. Daneben war sie wütend auf sich selber, sie hätte auf James hören und im Haus bleiben müssen. Was er wohl von ihr denken würde? Vielleicht war er so wütend, dass er sie gar nicht suchen würde. Das wiederum machte ihr Angst, nie lebend von hier wegzukommen. Oder was wenn die Piraten herausfanden, dass Norrington gar nicht wirklich ihr Vater war und Beckett wahrscheinlich nicht einen Finger für sie rühren würde?
Es war für Fíli eine grosse Überraschung, als Kaylin plötzlich wieder sprach: Kurz nachdem sie einen Albtraum hatte und beruhigt wurde.
"Danke", wimmerte sie so leise, dass ihr Gegenüber es fast nicht gehört hätte.
"Keine Ursache." Bestimmt schüttelte die junge Frau den Kopf.
"Nein, danke dafür, dass Ihr mich nicht getötet habt. Das wäre für Euch viel einfacher gewesen"
"Es war das einzig Richtige. Viel lieber werde ich als Feigling bezeichnet, als ein Mörder zu sein. Ausserdem er-... nein, vergesst es. Darf ich fragen, wie es Euch geht?"
"Keine Ahnung. Nicht gut, glaube ich. Und Euch?"
"Den Umständen entsprechend. Als hätte eine Horde von Piraten auf mich eingeprügelt" Als er das erwähnte, fühlte Kaylin sich gleich wieder schuldig.
"Das war alles meine Schuld"
"Ganz sicher nicht, wie kommt Ihr auf so etwas?"
"Wenn Ihr mich getötet hättet, dann hätten sie Euch in Ruhe gelassen"
"Es war allein meine Entscheidung und ich habe in dem Moment eher damit gerechnet, dass sie mich töten würden, also bin ich recht glimpflich davongekommen. Und wisst Ihr was? Ich würde es wieder tun."
"Was ist eigentlich passiert? Dass sie Euch so hassen?"
"Eine recht lange Geschichte... um es kurz zu machen, ich habe sie bestohlen"
"Wenn Ihr schon von langer Geschichte sprecht, sagt Ihr mir jetzt auch, woher Ihr Jack Sparrow kennt?"
"Wenn Ihr wollt. Hm, wo fange ich denn da an? Ach ja. Vor etwa vierzehn Jahren, als ich elf Jahre alt war, war ich mit meiner Familie in Afrika. In Calabar, wir waren auf einer diplomatischen Mission oder so, ich weiss es nicht mehr. Jedenfalls, unsere Familie wurde gefangen genommen und als Sklaven angeboten. Schlussendlich kam es so, dass Sparrow, der damals noch kein Pirat war, gebeten wurde, mich und 200 andere Sklaven nach Amerika zu bringen. Jack wollte dies aber nicht und liess alle frei. Ich jedoch entschloss mich, bei ihm zu bleiben, da ich hoffte, den Rest meiner Familie in Afrika wiederzusehen. Doch unser Schiff wurde von der Navy angegriffen, man sperrte Jack und mich ein, Tage später brachte man uns zu Sparrows Auftraggeber, Beckett. Dieser war natürlich nicht erfreut, brandmarkte Jack als Pirat und liess dessen Schiff, die Wicked Wench zerstören und versenken. Dagegen wollte er sich natürlich wehren, es war immerhin sein Schiff. Beckett wusste wahrscheinlich nicht, dass ich einer der Sklaven war und hielt mich für einen Verwandten Jacks oder so. Als Jack sich also frei gerissen hatte, zog Beckett einen Entersäbel hervor und verpasste mir dies", er öffnete sein Hemd und Kaylin erkannte eine helle Narbe die sich vom rechten Schlüsselbein bis zum Herzen zog, "und stiess mich ins Wasser. Sparrow zögerte keine Sekunde und sprang mir hinter her, zog mich wieder hoch und versuchte sein Schiff zu retten, leider war es bereits zu spät. Irgendwie sind wir entkommen, Beckett aber glaubte wir wären ertrunken."
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Descendants of the Sea
FanfictionJahrelang hat Kaylin einen Verehrer, interessiert ist sie jedoch nicht im Geringsten. Genau genommen kann sie ihn nicht einmal leiden. Ausgerechnet in dieser Zeit passieren Dinge, die ihr Leben für immer verändern werden. Als wäre das nicht genug...