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"Miss, Ihr solltet hier nicht sein", versuchte ein Uniformierter sie davon abzuhalten in die Brigg zu gehen.

"Vielleicht nicht, aber ich möchte hier sein", gab sie zurück und drängte sich regelrecht an dem Mann vorbei. Zu ihrer Überraschung sagte er nichts mehr dagegen, sondern warnte sie bloss, vorsichtig zu sein. Als sie am Ziel ankam, schluckte sie, ehe sie den dünnen Gang zwischen den Zellen hindurchging und jeweils nur kurze Blicke in die Zellen warf, bis sie den Gesuchten schliesslich fand. Zum Glück war die gegenüberliegende Kabine leer. Der Pirat lehnte mit dem Rücken am Gitter und betrachtete wohl irgendetwas in seinen Händen, die Stiefel hatte er ausgezogen. Bisher hatte er sie noch gar nicht bemerkt. Leise flüsterte sie seinen Namen, in der Hoffnung ihn nicht zu erschrecken. Dennoch zuckte er kurz zusammen ehe er sich umdrehte. 

"Kaylin? Was tut Ihr denn hier?", fragte er freudig, als er das Gitter umfasste. Sie unterdrückte den Drang seine Hände anfassen zu wollen und räusperte sich.

"Letztes Mal habt Ihr Euch doch beklagt, dass Ihr nicht besucht würdet. Hunger?", wollte sie wissen, als sie die vorhin abgestellte Schüssel hochhob. Nach dem Essen hatte sie Norrington gefragt, ob sie den Teller mitnehmen dürfe, um es später zu essen, doch sie ging sofort in die Kombüse und suchte nach einem Gefäss, dass besser durch die Gitterstäbe passte. Einen Löffel liess sie auch mitgehen. Beides reichte sie dem Gefangenen, der sie überrascht ansah.

"Da-danke, aber dürft Ihr das denn?"

"Mir doch egal. Es ist besser, als wenn wir es wegwerfen würden" Ein Versäumnis kam ihr in den Sinn, sie hatte vergessen, Fíli etwas zu trinken zu bringen. Im nächsten Moment sah sie auch schon das Fass, wo das Trinkwasser für die Gefangenen aufbewahrt wurde und holte gleich etwas davon. Belustigt sah sie dabei zu, wie der Blonde das Essen runterschlang. "Soll ich Euch noch mehr bringen? Oder später?", fragte sie, als sie die Schüssel zurückgereicht bekam. Doch Fíli schüttelte bloss den Kopf.

"Schon in Ordnung, nicht dass Ihr meinetwegen in Schwierigkeiten geratet. Aber vielen Dank. Wie geht es Euch eigentlich?"

"Die Frage wird eher sein, wie es Euch geht. Aber mir geht es... eigentlich gut. Zumindest jetzt." Es stimmte, auf einmal ging es ihr besser als noch beim Essen, vielleicht weil die Verdauung bereits eingesetzt hatte und sie nun mehr Energie bekam. Dass es an dem Piraten liegen könnte, blendete sie aus. 

"Den Umständen entsprechend"

"Ich werde schauen, was ich für Euch tun kann, vielleicht kann ich Norrington überzeugen, das Strafmass zu mildern"

"Das würdet Ihr wirklich tun?"

"Aber sicher! So viel bin Euch schuldig, ausserdem würde ich mich schuldhaft fühlen, wenn ich es nicht mindestens versucht hätte." 

"Versprecht mir, dass Ihr Euch keine Vorwürfe macht, wenn es Euch nicht gelingt. Vor allem wenn es ist wie ich fürchte und Lord Beckett dafür verantwortlich ist."

"Lord?"

"Ihr wusstet es nicht? Beckett ist zum Lord aufgestiegen. Ich habe es auch gerade erst erfahren. Auf sehr unschöne Weise."

"Ha-hat er Euch etwas getan?", erkundigte sich Kaylin entrüstet.

"Nicht weiter schlimm" 

"Seid Ihr sicher? Braucht Ihr etwas?"

"Ja ich bin sicher. Nein, ich brauche nichts, danke. Ihr macht Euch wohl ziemlich viele Sorgen"

"Nur bei Menschen die mir wichtig sind" Erst zu spät merkte Kaylin, was sie da überhaupt gesagt hatte und hätte schwören können, dass sie errötete. 

Descendants of the SeaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt