Kapitel 2

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Ich traute mich nicht auf zu schauen. Zu groß war die Angst, in das Gesicht meiner Mum zu sehen. Enttäuschung würde mir entgegen blicken. Sie hat ihre Tochter nicht zu einer jungen Frau erzogen, die anderen den Freund aus spannt. Das perfekte Kind gebe ich nicht ab. Was bringen mir gute Noten, wenn ich im Alltag unüberlegt handel und Menschen mit meinem Verhalten verletzte.
Wie Mum nun über mich denkt? Jetzt wo sie alles weiß?
Ganz genau alles habe ich ihr nicht erzählt. Sie weiß, dass wir die Nacht über im Bootshaus waren. Aber ich habe ihr nicht verraten, dass er mich dort entjungfert hat. Das wäre dann zu viel des Guten.
Mum denkt, dass wir dort übernachtet haben, weil wir wegen dem Gewitter nicht weg kamen. Was auch irgendwie stimmt.
Zu mindestens hoffe ich, dass sie dem glaubt.
Wobei Mütter über viele Dinge bescheid wissen, ohne das wir es ihnen anvertraut haben. Ich nenne das mütterliche Intuition. Hin und wieder beängstigend.
Mum durchbrach die Stille. Aber anders als erwartet. Ich hätte gedacht, sie würde mir eine Standpauke halten und über moralisches Verhalten mit mir reden. Stattdessen nahm sie mich in den Arm und zog mich so dicht wie es ging an sie ran. Ich konnte nicht verhindern, dass mir die Tränen kamen. Die ganze Zeit über waren meine Augen trocken und jetzt hörten sie nicht auf. Weinen tat gut. Ich spürte wie sich ein wenig meines Druckes löste und mit den Tränen verschwand.
Wir blieben eine Weile in dieser Position, bis Mum ihre Hände auf meine Schultern legte und mich zwang sie an zu sehen.
"Die Liebe lässt uns lauter Sachen tun, die wir ohne sie nie und nimmer täten."
Erleichtert darüber, dass Mum mich nicht verurteilt, schluchzte ich auf und vegrub mein Gesicht in ihrer Halsbeuge.
Ich wusste nichts darauf zu sagen.
Nachdem ich mich ein wenig beruhigt hatte, wischte Mum mir über mein nasses Gesicht, gab mir einen Kuss auf die Stirn und brachte mich dazu, mich ins Bett zu legen. Sie wickelte eine Decke um meinen Körper und legte sich zu mir. Wie ein kleines Baby lag ich an meine Mum gekuschelt und versuchte meine Atmung wieder einigermaßen auf einen Normalzustand zu bringen.

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Als ich auf wachte, war die andere Seite meines Bettes leer. Mum muss gegangen sein, nachdem ich eingeschlafen bin.
Ich drehte meinen Kopf auf die andere Seite, um nach der Uhrzeit zu sehen. Erschrocken blickte ich auf meinen Wecker. 12:04 Uhr. Ich habe tatsächlich bis zum Mittag geschlafen. Obwohl ich lange geschlafen habe, fühle ich mich alles andere als wach.
Mir geht es nicht mehr ganz so schlecht, aber auch immer noch bescheiden.
Das gestrige Gespräch mit Mum tat gut. Ich konnte endlich mit jemanden drüber reden, es jemanden sagen.
Die Probleme blieben dennoch. Das ist auch der Grund, weshalb ich mich nicht besser fühlte. Die Schuldgefühle scheinen mich von innen heraus aufzufressen.

Erst jetzt sah ich den Zettel der neben meinem Wecker auf meinem Nachtisch lag. Eine Nachricht von Mum.

Ich habe dich heute krank gemeldet.
Ruf mich an, wenn du wach bist!
-Mum

Ich griff gleich nach meinem Handy und wählte die Nummer meiner Mutter. Obwohl sie auf Arbeit ist, ging sie nach dem 2. Tuten ran. Fast so als hatte sie ihr Handy in der Hand gehabt und nur auf meinen Anruf gewartet.

Nachdem Telefonat legte ich mein Handy zurück auf den Tisch. In meinem Schrank suchte ich nach etwas zum anziehen und ging dann mit den neuen Sachen unter dem Arm ins Badezimmer. Dort duschte ich erst einmal ausgiebig.

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Am Abend lag ich noch lange wach und dachte über die Worte meiner Mutter nach. 'Die Liebe lässt uns lauter Dinge tun, die wir ohne sie nie und nimmer täten'
Besser hätte sie es nicht ausdrücken können. Wenn ich keine Gefühle für Anton hätte, wäre es nie soweit gekommen.
Es sprach nichts dagegen den Sommer mit ihm zu verbringen. Das wollte Lizzy immer. Sie hat sich danach gesehnt, dass ihre beiden Besten miteinander auskommen.
Das ist aber so ausgeht war ihr wohl nicht bewusst.
Okey, wenn ich ein paar Wochen zurück denke und jemand mir da gesagt hätte, dass ich mich in Anton verliebe, hätte ich mich vor lachen nicht mehr ein bekommen.
Und jetzt ist es so gekommen.
Lizzy ist meine beste Freundin. Oder war. Egal wie es sich zwischen uns entwickelt hat, ich hätte nichts mit ihrem Freund anfangen dürfen.
Konnte ich über haupt was dafür oder war ich machtlos?
Und die alles entscheidende Frage: Erzählt er es ihr?

Zwischen Herz und VerstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt