Prolog

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Der Sommer ist nun vorbei.
Ich kann es immer noch nicht glauben, dass 6 Wochen Ferien zu Ende sind.
In einer halben Stunde kommt Lizzy aus dem Urlaub und wir sehen uns wieder.
Dass sie den Sommer nicht mit mir verbringen konnte, ist schade. Wir hatten uns so sehr darauf gefreut und Pläne geschmiedet.
Wer weiß, wie die Wochen geworden wären, wenn sie da gewesen wäre.
Wäre dann alles anders gekommen oder sollte es so geschehen?
Hätte, wäre, wenn...

Mit einem flauen Magen liege ich auf dem Dach eines verlassenen Hauses, welches unser Treffpunkt ist. Vor ein paar Jahren haben wir diesen Platz gefunden. Ein kleines Häuschen, mutterseelenalleine auf einer Wiese, versteckt in einem Wäldchen am See.
Bisher sind wir hier noch nie auf andere gestoßen. Es scheint, als kennen niemand sonst diesen Ort.
Das Häuschen, welches ein altes Bootshaus ist, steht ebenfalls leer. Ein Beweis dafür, dass der Ort verlassen ist.

Ich höre Lizzy schon von Weitem. Leise sein ist nicht gerade eine ihrer Stärken. Das Gras ist über den Sommer hinweg gewachsen.
"Hey Süße!", sagt sie und benutzt die kleine Leiter, die am Haus gelehnt steht, um zu mir auf das Dach zu gelangen.
"Hey ", gebe ich zurück. Wirklich glücklich darüber sie zu sehen, höre ich mich nicht an.
"Hab dich vermisst.", sagt sie und zieht mich in eine Umarmung, welche ich mehr gezwungen als freiwillig erwiderte. Das scheint sie aber nicht zu bemerken. Warum ich mich nicht freue? Vor 6 Wochen konnte ich es kaum erwarten sie wiederzusehen, konnte mir nicht einmal vorstellen, wie es sein wird ohne sie und jetzt, jetzt ist alles anders. Meine Freude ist wie weggeblasen. Insgeheim hoffe ich noch immer, dass sie morgen wieder fährt. Ohne sie, wäre alles viel leichter, besser. 
Ich habe mich verändert. Besser gesagt, der Sommer hat mich verändert. Nie gedacht, dass das geschehen wird. Aber so ist es nun mal.

"Erzähl, wie war es in Italien?", fordere ich sie auf.
"Oh mein Gott, es war unglaublich..", beginnt sie zu erzählen. Während sie von ihrem Urlaub berichtet, höre ich mit halben Ohr hin. Unfreundlich? Respektlos? Tut mir leid, aber ich habe ihr die Frage aus reiner Höflichkeit gestellt. In Wahrheit interessiert es mich nicht. Ich kann mir schließlich genau vorstellen, wie ihr Urlaub war. Wörter wie Shoppen, Party und Jungs fielen. Was habe ich gesagt. Ich kenne sie eben. Oder zumindestens ein Teil von ihr. Ich dachte, ich weiß alles über sie. Doch dieser Sommer hat mir das genaue Gegenteil bewiesen. Er hat mir gezeigt, dass man nie alles von einer Person kennt. Die Menschen zeigen einem nur so viel, wie sie von sich preisgegeben wollen. Sie bestimmen, was du sehen darfst. Alles andere behalten sie für sich. Aber eines Tages, kommt jedes noch so kleine Detail ans Licht.

"Victoria?!", es scheint als rufe sie nicht zum ersten mal meinen Namen, denn sonst nennt sie mich Tori. Tori, ihre kleine Freundin, die alles für sie tun würde. Die nichts dagegen hatte, in ihrem Schatten zustehen. 
"Ehm ja?", fragte ich.
"Hörst du mir eigentlich zu?", fragt sie vorwurfsvoll und zieht ihre Stirn in Falten.
"Ja klar .", antworte ich mit der halben Wahrheit.
"Ach ja? und was habe ich zuletzt gesagt?", spöttisch hebt sie eine Augenbraue und schaut mich an.
Wie ich diesen Gesichtsausdruck hasse..schlimmer noch als die in Falten gelegte Stirn. Denn es sprießt nur so vor Ignoranz.
"Du sagtest, das Essen, welches ihr Abends im Restaurant zu euch genommen habt, war ausgezeichnet.", erkläre ich.
„Oh ok..Naja und..." An ihrem Gesichtsausdruck sehe ich, dass sie nicht damit gerechnet hat. Sie fasst sie relativ schnell und redet weiter, doch ich blende sie aus.
Ein Glück, dass ich mit einem halben Ohr noch so viel mitbekommen habe. Ansonsten wäre ich jetzt ein Kopf kürzer. Wenn es eins gibt, was Lizzy nicht erträgt, ist es, nicht die volle Aufmerksamkeit zu bekommen und somit auch nicht im Mittelpunkt zu stehen.

"und was hast du die Wochen über so gemacht?", wendet sie sich nun an mich, nach ihrem Vortag.
"Ich habe gearbeitet.", sage ich kurz und knapp.
"Den ganzen Sommer lang? Das war doch bestimmt langweilig!"
"Ich brauchte das Geld. Außerdem war es gar nicht so langweilig. Denn weist du..", will ich gerade anfangen zu erzählen, werde aber von Lizzy unterbrochen. "Wo genau hattest du nochmal gearbeitet?"
"Im Café 'Schleckermäulchen'. sage ich. Wie nett von ihr, das sie das noch weiß. Ironie lässt grüßen.
"Ist das nicht das Café, indem Anton auch arbeitet?", fragt sie mich nun schon mit mehr Interesse in der Stimme. 
"Ja genau. Ihm verdank ich den Job auch.", sage ich.
Anton ist ihr Freund. Die beiden sind mittlerweile fast ein Jahr zusammen. Genauer gesagt: Nächstes Wochenende 12 Monate. Woher ich das so genau weiß? Lizzy hat es oft genug erwähnt. Jedes mal, wenn irgendwo sein Name fällt, ist sie ganz Ohr.
"Hat er mit anderen Mädchen geflirtet oder sonst was?" Plötzlich liegt ihre ganze Aufmerksamkeit auf mir.
"Nicht das ich wüsste. ", sage ich und versuche meine Schuldgefühle nach Hinten zu verbannen. 
"Sicher?" harkt sie nach.
"Sicher."
"Sehr gut.", doch so ganz erfreut hört sie sich nicht an. Vielleicht habe ich den Unterton auch falsch verstanden. Denn war es nicht genau das, was sie hören wollte?!
"Falls dir doch noch was einfällt, sagst du es mir doch oder?", fragt sie.
"Ja.", bestätigte ich und muss schwer schlucken. 
"Anton und ich hatten wenig Kontakt. Er meint er müsse arbeiten und hat keine Zeit. Außerdem hatte ich nach einer Zeit kein Handy mehr. Ich weiß auch nicht, aber ich brauchte es dort nicht." Von wegen, dachte ich mir. Denn sie hat oft genug was ins Netz gestellt.
"Und er hat wirklich keine andere kennengelernt? Denn ich hab das Gefühl, dass da was war..", forschend blickt sie mich an.
"Nein hat er nicht.", während ich das sage, wird mir schlecht. Ich schaffte es nicht mal, den Blickkontakt stand zu halten. Lizzy belässt es dennoch mich weiter auszufragen.

Wie mein Sommer sonst so war, fragt sie nicht weiter nach.
Stattdessen prallt sie von ihrem Urlaub und grübelt, was Anton ihr wohl zum Einjährigen schenkt. Als gäbe es nichts wichtigeres auf der Welt. Da sehe ich mal wieder, wo ihre Prioritäten liegen. Auf der einen Seite bin ich froh, dass sie nicht weiter fragt, wie ich meine Wochen sonst noch so verbracht habe. Ich kann schließlich nicht 24/7 arbeiten. Irgendwie aber auch traurig, dass ich ihr so wenig bedeute, dass sie sich nicht für meine Wochen interessiert.
Aber hey, ist ja nichts Neues.

Lange lagen wir nicht mehr am See.
Nach einer Stunde ist Lizzy zu Anton gegangen und ich bin ebenfalls los. Ich habe meiner kleinen Schwester versprochen, etwas mit ihr zu unternehmen.
Lizzy hat hingegen vor Anton zu überraschen. Eigentlich sollte sie ursprünglich erst morgen kommen. Aber sie ist ja bekannt für einen großen Auftritt.

Zwischen Herz und VerstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt