57. Nie wieder

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Nein! Das konnte doch nicht wahr sein! Das kann einfach nicht wahr sein. Das geht doch nicht. Auch nach einiger Zeit wusste ich nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Mir und auch Alex und Erik war noch immer der Schock ins Gesicht geschrieben. Alex hatte angefangen zu weinen und hatte ihren Kopf in Eriks Pullover vergraben. Und ich? Ich stand einfach so im Flur mit den weißen Wänden und war unfähig, mich zu regen. Das war unglaublich. Nora konnte nicht gestorben sein. Sie konnte nicht einfach nicht mehr da sein. Meine Beine wurden immer wackliger, bis irgendwann meine Knie nachgaben und ich auf den Boden sank. Nun liefen auch mir die Tränen aus den Augen. Wie Sturzbäche liefen sie meine Wangen herunter und bildeten an meinem Kinn einen Tropfen, nur um dann in unregelmäßigen Abständen auf meine Hände zu tropfen. Nora war weg. Ich hatte mich noch nicht einmal von ihr verabschieden können. Warum? Warum sie? Warum nicht ich? Aus dem verschwommenen Augenwinkel bemerkte ich, wie sich Erik und Alex auf mich zu bewegten. Auch bei ihnen waren die Tränen noch nicht versiegt. Sie knieten sich zu mir auf den kalten Fußboden und zogen mich in eine Umarmung. Ich war ihnen so dankbar. Für alles, was sie bisher für mich getan hatten. Und dass sie mich selbst in so einer Situation unterstützten und mich nicht einfach so hängen ließen. Da saßen wir. Zu dritt auf dem kalten Fußboden des Krankenhauses und weinten uns die halbe Seele aus dem Leib. Später, ich hatte mein Gefühl für die Zeit total verloren, standen wir uns gegenüber und Erik fragte mich, ob ich bei ihm und Alex mitfahren wollte. Er war der Meinung, dass ich in so einem Zustand definitiv nicht fahren sollte. "Nein", sagte ich. Zwar leise, aber bestimmend. "Ich fahre nach Hause. Ich kann das. Es ist ja nicht so weit. Ich möchte einfach erstmal alleine sein." Ich musste schlucken. Nora, der verwirrte Arzt. All das war noch in meinem Kopf. Erik nickte verständnisvoll. "Okay", stimmte er zu, "Wenn irgendetwas ist, dann rufst du an. Wenn du irgendetwas brauchst, dann rufst du an. Wenn einer von uns vorbei kommen soll, dann rufst du auch an. Wir sind für dich da. Gerade jetzt." Ich nickte. Ich wollte jetzt nichts sagen, aus Angst, dass meine Stimme brach.
Einige Zeit später war ich wieder bei mir zu Hause angekommen. Ich hatte zwar keine Erinnerung mehr daran, wie ich hierher gekommen war, aber das spielte hier jetzt keine Rolle mehr. Ich setzte mich in meinem Schlafzimmer auf mein Bett. Schon als ich nur ansatzweise an sie dachte, flossen wieder Tränen. Ich konnte mir nicht vorstellen, ohne sie weiterzuleben. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass sie nicht mehr da war. Sie würde mich morgens nie wieder angrummeln, wenn ich sie zu früh geweckt hatte. Sie würde mich nie wieder fragen, ob sie ihre Hände in meine Jackentaschen stecken könnte, weil ihre einfach immer frierten. Sie würde mir nie wieder mit ihrem Finger über den Unterarm fahren, weil es sie amüsierte, dass ich Gänsehaut bekam. Nie wieder.
Und warum? Weil ich daran schuld war. Nur weil ich in diesem dummen Interview gesagt hatte, dass ich sie nicht kenne. Weil ich vorgeschlagen hatte, dass wir uns in Bielefeld treffen sollten.
Weil ich sie verärgert hatte. Sie war wegen mir gestorben.
Nur wegen mir.

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