„Wir sehen uns, kleiner Engel."

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Während mein Bruder den Mann hinter mir nicht aus den Augen lässt und mich dabei nicht beachtet, schaut mich mein Cousin fragend und besorgt an. Ich zucke hilflos mit meinem Schultern und wende meinen Blick wieder zu meinem Bruder.

„Lass sie los, Aslanoglu.", fordere mein Bruder den Mann auf. Aslanoglu? Ist er einer der zwei Brüder? Ich merke wie mein Körper unter seiner Hand erstarrt. Ich würde vielleicht nicht so geschockt reagieren, wenn ich von Anfang an gewusst hätte, dass es einer der Brüder ist. Meine mangelnde Interesse an Nachrichten wird mir jetzt zum Verhängnis. Kein Wunder, dass mein Bruder mich finster angeschaut hat.

„Warum sollte ich?", ertönt eine tiefe, rauchige Stimme hinter mir, die mir wieder eine Gänsehaut beschert. Seine Stimme ist tief und hart, trotzdem kann man einen Hauch von Spott raushören.

„Tunc!", ermahnt ihn eine Stimme hinter uns. Ich drehe meinen Kopf so weit nach hinten, wie ich kann und sehe noch einen Mann ungefähr Mitte Zwanzig, der dem Mann hinter mir sehr ähnlich sieht. Sein Name ist also Tunc Aslanoglu.

Die Ermahnung seines Bruders lässt ihn den Arm zurück ziehen, doch er lässt kurz seinen Arm auf meiner Hüfte, als ich auf einmal zwei Lippen auf meiner Wange spüre, die sofort rosa werden. Erschrocken drehe ich meinen Kopf zu ihm und blicke in zwei grüne Augen, die mich belustigt anschauen, ehe er seine Hände ganz von mir nimmt.

„Wir sehen uns, kleiner Engel."

Er drehe sich um und verschwindet mit dem Mann zu zwei schwarzen Autos. Während ich ihnen hinterher schaue, werde ich auf einmal an der Hand gepackt und irgendwohin gezogen. Serkan abi zieht mich zu seinem blauen BMW und setzt mich auf dem Beifahrersitz ab.

„Serkan abi, Emre wartet vor dem Einkaufszentrum auf mich."

„Wir haben ihn nachhause geschickt.", beruhigt er mich, worauf ich mich entspanne und mich zurück lehne. Serkan abi startet den Motor und fährt los. Während ich aus dem Fenster schaut, denke ich an die Situation von eben. Ich bin Tunç Aslanoglu zum ersten Mal begegnet. Überhaupt habe ich einen von ihnen zum ersten Mal gesehen. Seine grünen Augen gehen mir nicht aus dem Kopf. Sie haben sich in meinem Kopf festgesetzt. Noch immer hängt sein Geruch in meiner Nase. Frisches Gras und süße Himbeeren. Kleiner Engel, hat er mich genannt. Ich merke, wie meine Wangen wieder wärmer werden. Trotz meiner 17 Jahre habe ich noch nie einen engen Kontakt zu Jungs gehabt, außer zu Emre und meinen Cousins. Ich bin einfach zu schüchtern, auch meine Cousins tragen einen Beitrag dazu.

Kurze Zeit später parkt Serkan abi vor unserem großen Haus. Ich verabschiede mich und steige aus, um das Haus zu betreten. Mein Bruder ist schon vor uns da gewesen. Leise ziehe ich meine Schuhe aus und wollte schnell die Treppen, hochsteigen, als ich aufgehalten werde.

„Komm sofort hier hin!", fordert mein Bruder mich vom Sofa auf. Vorsichtig gehe ich auf ihn zu und bleibe vor ihm stehen. Das riecht nach Ärger. Er legt sein Handy zur Seite und steht langsam auf, um sich mir gegenüber zu stellen. Seine Augenbrauen sind zusammengezogen, sein Körper ist angespannt. Finster schaut er auf mich runter.

„Hast du es genossen in den Armen unseres Feindes zu liegen?", ironisch grinst er mich an, „Fandest du es toll, dass er dich festgehalten hat?"

„Ich habe nicht...", versuche ich mich zu rechtfertigen, doch er lässt mich nicht ausreden.

„Denkst du meine Augen funktionieren nicht?", sein Tonfall verändert sich und wurde dunkler, „Mach das noch einmal und du wirst es bereuen, hast du mich verstanden?!"

Geknickt nickt ich und laufe schnell die Treppen hoch. Bevor ich in mein Zimmer konnte, laufe ich an Yaren yenge vorbei, meiner Schwägerin. Sie schaut mir verwirrt hinter, doch ich schließe schnell meine Zimmertür und werfe mich auf mein Bett.

Auch wenn ich es mir nicht anmerken lassen möchte, verletzt es mich, dass mein eigener Bruder mir droht, nur weil mich heute sein Feind davon abgehalten hat, auf den Boden zu fallen.

Jemand klopft an meine Tür, worauf ich die Person herein bitte. Diese Person könnte eigentlich nur Yaren yenge sein. Sie ist die Ehefrau meines Bruders. Seit zwei Jahren lebt sie schon bei uns und ist seitdem eine sehr große Stütze für mich, wenn mein Bruder mich wieder schlecht behandelt.

Wie erwartet steckt Yaren yenge ihren Kopf durch die Tür und schaut mich besorgt an. Man könnte glatt neidisch auf sie sein. Sie ist wirklich wunderhübsch, mit ihrem blonden langen Haaren und ihren blauen Augen. Im Gegensatz zu ihr habe ich normale braune Haare und hellbraune Augen, die im Sommer, wie flüssiger Karamell aussieht.

„Geht es dir gut, Ada?", fragt sie mich, betritt das Zimmer und setzt sich zu mir auf das Bett. Ich nicke nur mit dem Kopf, doch Yaren yenge kennt mich so gut, dass sie mich durchschaut. Sie legt ihren Arm um mich und zieht mich an sich.

„Was ist passiert? Cenk sieht heute noch angespannter aus, als sonst."

„Meine Schule dachte, dass ich heute schwänzen wollte und rief sofort meinen Bruder, doch eigentlich habe ich nur gewartet bis meine Freundin abgeholt wird. Danach war ich mit Emre in der Stadt, wo ich Tunc Aslanoglu begegnet bin. Cenk hat gesehen, wie er mich aufgefangen hat, als ich fast auf den Boden gefallen wäre.", erzähle ich die Ereignisse von Heute Mittag. Sie schaut mich daraufhin überrascht an.

„Du hast heute Tunc Aslanoglu kennengelernt?", fragt sie mich und sieht mir aufgeregt in die Augen. Jetzt schaue ich sie überrascht an. Mir ist klar, dass sie ihn kennt. Mein Bruder redet bestimmt immer mit ihr über seine Geschäfte, aber warum ist sie jetzt so aufgeregt?

„Ja, habe ich. Es war Zufall, dass ich in ihn reingelaufen bin."

„Wie sah er aus? Sieht er genauso hübsch aus, wie im Fernsehen?", hat sie mich das gerade wirklich gefragt? Mit roten Wangen schaue ich sie an, worauf sie anfängt zu kichern. Meine Reaktion gibt ihr die Bestätigung.

„Lass das nicht meinen Bruder hören, Yenge.", warne ich sie, doch sie winkt nur ab.

„Ach mach dir keine Sorgen. Hat er dich deswegen wieder angeschrien?", fragt sie mich besorgt, weshalb ich nicke. Sie legt wieder ihren Arm um mich und zieht mich an sich, ehe sie mir einen Kuss auf die Stirn drückt. Yaren yenge weiß wie sehr es mich belastet, dass er mich schlecht behandelt. Deshalb streiten sich die beiden, was mir immer ein schlechtes Gewissen macht. Sie versichert mir zwar immer wieder, dass es nicht meine Schuld ist, aber ich weiß es besser.

Yaren yenge ist wie mein Tagebuch. Ich sage ihr immer wie es mir geht und was passiert ist. Sie weiß auch, dass mein Bruder seit meiner Kindheit mein Held war, aber sie musste mir versprechen es niemandem weiter zu sagen. Ich habe das Gefühl, dass es dadurch nur noch schlimmer werden würde.

Ich respektiere meinen Bruder wie keinen anderen, deshalb gebe ich auch keine Widerworte. Deshalb lasse ich auch alles über mich ergehen.

„Schlaf jetzt, Ada. Du hast morgen Schule.", meint sie.

Ich nicke, ehe sie das Zimmer verlässt. Seufzend stehe ich auf und gehe ins Bad, um mich kurz unter die Dusche zu stellen und schnell meinen Körper und meine Haare zu waschen. Dann steige ich aus der Dusche und wickele ein Handtuch um meinen Körper und meine Haare. In meinem Zimmer ziehe ich mir einen neuen Pyjama an, kämme und föhne meine Haare und lege mich dann ins Bett.

Während ich unter meiner Decke liege, wandern meine Gedanken zu grünen Augen, die in meinem Kopf schwirren. Er hat mich kleiner Engel genannt. Das bringt mich unweigerlich zum kichern, ehe ich mich beschämt unter meine Decke verkrieche. Ich sollte nicht daran denken. Mein Bruder würde mich umbringen. Er ist schon schlecht auf mich zu sprechen.

Seufzend schließe ich meine Augen und versuche zu schlafen. Dabei möchte ich einfach nur alles vergessen.

Gefährliche LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt