Der Neuzugang [KAPITEL 1]'

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Sobald ich aus dem schwarzen Nichts, welches ich Schlaf nannte, erwachte, ergriff die Eiseskälte wie jeden Tag und jede Nacht Besitz von meinem Körper. Inzwischen konnte ich wenigstens behaupten, dass ich dabei war mich daran zu gewöhnen. Etwas anderes blieb mir auch nicht übrig. Seufzend öffnete ich meine Augen, drehte mich in meinem Bett, was mehr einem Brett glich, auf den Rücken und starrte an die Decke, welche aufgrund des Lichts grünlich schimmerte, ebenso wie alles andere auch. An nichts Besonderes denkend wartete ich mit gefalteten Händen, die auf meinem Bauch ruhten, auf die Ankunft der Soldaten. Lange konnte es nicht mehr dauern, wenn das Licht in meinem Zimmer bereits brannte.
Diese würden mich wie an jedem anderen Tag auch zum Trainingsraum bringen, in welchen ich manchmal mit einer Aufsichtsperson und öfter alleine trainierte. Nachdem ich einem Soldaten den Arm soweit verdreht hatte, dass dieser brach und der Mann für mehrere Wochen außer Gefecht blieb, wurde beschlossen mich alleine üben zu lassen. Nur noch ab und an wurde jemand auserkoren gegen mich anzutreten, um sicher zu gehen, dass ich auch mein Bestes gab. Ich gab immer mein Bestes.
Mein Körper protestierte lauthals als ich mich aufrichtete. Gestern war einer dieser Überprüfungstage gewesen und ich hatte meinen Gegner etwas unterschätzt. Irgendwie war ich neben der Spur gewesen. Keine zehn Sekunden nach dem Startzeichen bin ich von dem nicht besonders kräftig wirkenden Mann auch schon über seine Schulter auf den Boden geschleudert worden. Dabei hatte ich mir sowohl den Rücken als auch den Kopf verletzt, welcher danach schrecklich brummte. Den ganzen restlichen Kampf über war ich wie benommen gewesen. Vielleicht gab ich doch nicht immer mein Bestes.
Meine Haare aus dem Gesicht streichend, zwang ich mich nicht weiter an diese enttäuschenden Bilder zu denken. Ich hatte froh sein können keinen Stromschlag als Strafe abbekommen zu haben. Doch die strafend abwertenden Blicke hatten sich in mein Gedächtnis gebrannt. Ich war und blieb in ihren Augen eine schwache Frau.

Ich erhob mich von der harten Holzpritsche, schleppte mich zum kleinen Waschbecken und spritzte mir etwas Wasser ins Gesicht, hoffend dadurch etwas wacher zu werden. Es gab keinen Spiegel, doch so war es um einiges besser, denn meine glanzlosen, fast schon tot wirkenden Augen hatten keine aufmunternde Wirkung. So waren sie nur eine Erinnerung. Den Rest des Wassers wischte ich mir mit dem Ärmel des übergroßen Oberteils von meinen Wangen, ehe ich mich zurück zur Pritsche begab. Bevor ich mich allerdings wieder hinsetzten konnte, wurde auch schon die Tür zu meiner kleinen Zelle geöffnet. Die beiden Soldaten, die erneut neue Gesichter für mich waren, sodass ich die Angewohnheiten der Männer nicht herausfinden und zu meinen Zweck ausnutzen konnte, hatten ihre Waffen zwar nicht gezogen, ließen ihre Hände aber deutlich angespannt und griffbereit in deren Nähe. Sie standen auf dem Gang zu je einer Seite der Tür.
„Mitkommen", sprach einer von ihnen kühl und beobachtete mich abschätzend. Einige Sekunden blieb ich einfach nur stumm an Ort und Stelle stehen, blinzelte mehrmals schnell hintereinander, bevor ich langsam auf die Tür zuging. Ihre Augen zu Schlitzen verengt beobachteten die beiden jede meiner Bewegungen. Im Gang wurde ich durch einen ausgestreckten Arm vor mir zum Stoppen gezwungen. Der Mann rechts von mir hatte eine zornige Grimasse aufgesetzt. Fragend zog ich meine Augenbrauen zusammen und öffnete meinen Mund leicht. Ich wollte mich doch nur in Richtung des Trainingsraums stellen, welchen man nur erreichte, wenn man den Gang nach rechts folgte. Der Soldat zu meiner Linken schloss die Tür hinter mir und packte mich danach sofort an meinem Arm. Rücksichtslos drückte er so fest wie er konnte zu, verpasste mir dadurch sehr wahrscheinlich einen blauen Fleck. Der andere tat es ihm gleich. Zusammen zogen sie mich den Flur entlang, nach links, weg vom Trainingsraum. Anscheinend fand das Training heute doch nicht statt. Nachdenklich blickte ich zwischen den beiden Männern hin und her, überlegte, ob ich es wagen sollte das Wort zu erheben. Ich wollte nicht riskieren noch mehr unbegründeten Zorn auf mich zu ziehen, wollte allerdings dennoch erfahren, was mir bevorstand. Wollten sie mich heute wegen des erbärmlichen Kampfes gestern bestrafen? Aber das machte keinen Sinn und wäre zu viel Aufwand, dafür dass sie es ganz einfach am Tag zuvor hätten verrichten können. Wenn aber nicht das, was dann?
Obwohl in meinem Inneren die Sorge versuchte Besitz von meinem Verstand zu ergreifen, setzte ich eine gleichgültige Miene auf. Nur nicht auffallen, nur nicht schwach wirken. Noch konnte ich es mir nicht leisten, ich konnte mir es niemals leisten. Ich musste mein trotziges Ich bleiben und wahren, egal wie schwer es manchmal war. Jedenfalls jetzt, jedenfalls noch.

How to become a Winter SoldierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt