Sonnenuntergang [KAPITEL 24]

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Noch lange saß ich zusammengekauert auf dem harten Holzboden, Gesicht in meinen stark zitternden Händen vergraben, ehe ich diese langsam nach unten fallen ließ. Mit verschwommener Sicht, aufgrund der vielen Tränen, die ich heute vergossen hatte, ließ ich meinen Blick durch den plötzlich so kalt wirkenden Raum wandern. Das erste an was meine Augen hängen blieben war Basels Leichnam, wie er halb hinter dem Esstisch versteckt auf dem Boden lag. Sein Kopf war leicht zur Seite gedreht, sodass seine leblosen Augen auf mich zu starren schienen. Sein Mund, aus welchem ein dünnes Rinnsal Blut geflossen ist, war leicht geöffnet, wodurch es so aussah, als hätte er eine geschockte Miene aufgesetzt. Seine beiden Arme waren weit von seinem Körper gestreckt.

Ich riss mich von Basels Anblick los, wodurch mein Blick nun auf den Leichen zweier anderer Personen lag. Erneut stiegen mir Tränen in die Augen. Maria und Arthur lagen dicht beieinander, beide hatten sie ein Loch in der Stirn, aus welchem etwas Blut über ihre starren Gesichter gelaufen war. Auch ihre Augen waren nun leblos, hatten ihren Glanz verloren, allerdings waren sie starr nach oben gegen die Decke gerichtet. Einer von Marias Armen ruhte auf Arthurs stiller Brust, die sich vor einigen Minuten noch gehoben und gesenkt hatte. Ein Schwall salziger Tränen floss über meine Wangen, als ich langsam auf allen vieren auf die beiden zu kroch, sammelte auf den Weg noch die braune Wolldecke ein, die ich zuvor, zusammen mit Arthurs Jacke, verloren hatte. Bei dem nun toten Ehepaar angekommen blieb ich eine ganze Zeit lang, mit Blick auf ihre emotionslosen Gesichter gerichtet, zusammengekauert sitzen. Die Hände in meinem Schoß rangen mit der Decke, welche ein unangenehmes Gefühl auf meiner Haut verursachte. Lautlos schluchzend streckte ich eine Hand nach Maria aus und strich ihr zittrig eine ihrer braunen Strähnen aus dem, selbst im Tod, so wunderschönem Gesicht, dabei streifte ich ihre erblasste Haut, welche kälter als der Schnee vor der Haustür zu sein schien. Nicht wissend, was ich sonst tun sollte, ließ ich jeweils einen Finger über ihre Augen gleiten und schloss diese dadurch. Das gleiche vollführte ich auch bei Arthur. Ich tat das nicht aus religiösen Gründen, sondern als Zeichen des Respekts, und der Schuld. Vermutlich hatte ich dadurch auch um Vergebung gebeten, doch die würde ich wohl nie erhalten.

Meine erneut aufkommenden Tränen unterdrückend, ergriff ich nun wieder die braune Wolldecke, breitete sie in der Luft aus, ehe ich sie über Arthur und Maria legte. Beine unter mich gezogen, leicht gekrümmten Rücken, sodass mir meine Haare im Gesicht hingen und Händen in meinen Schoß zusammengefaltet saß ich neben den beiden Toten, und wartete. Das einzige, was zu hören war, war mein ruhiger Atem, der nur manchmal durch ein Schluchzen durcheinander gebracht wurde und das leise ticken der Uhr, die vor mir neben den Eingang zum Zimmer an der Wand hing. Diese beiden Geräusche waren für eine gefühlte Ewigkeit die einzigen die ich wahrnahm, jedenfalls bis sich langsam das rauschende Geräusch eines Helikopters näherte. Zuerst war es nur ein weiterer Laut im Hintergrund, doch schon sehr bald wurde es zum dominanteren Eindruck. Vermutlich war das flügellose Flugzeug im Vorhof des großen Backsteinhauses gelandet, wenn man von der nun präsenten Lautstärke ausging. Ich hätte meine Vermutung zwar mit einem kurzen Blick durch das Fenster links neben mir überprüfen können, doch ich konnte aus unerklärlichen Gründen meinen Blick nicht von den mit einem Tuch bedeckten Leichen wenden, weshalb ich einfach abwartend sitzen blieb. Rasch wischte ich mir noch die letzten Tränen aus dem Gesicht, um die letzten sichtbaren Reste meines emotionalen Zusammenbruchs zu vernichten, ehe ich meine Hand wieder in meinen Schoß legte, saß wieder so da wie zuvor, als wäre nie etwas gewesen. Rufe waren wenige Momente später über dem Lärm vor dem Haus zu vernehmen, bevor die vordere Tür aufgetreten wurde. Hastige Schritte waren zu hören, die zielstrebig auf das Zimmer, in welchem ich mich befand, zusteuerten. Doch noch immer ließ ich meinen Blick nicht nach oben wandern. Erst als ich die Schritte vor mir verklangen, hob ich langsam meinen Kopf.

In meinem Blickfeld standen fünf in schwarzen Kampfanzügen gekleidete Männer mit erhobenen Waffen. Auf ihren Schultern prangte das rote Zeichen Hydras. Der Mann, der mir am nächsten war, ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, wobei er etwas länger an Basels Leiche hängen blieb, ehe er mich mit kalten Augen fixierte. Er löste eine Hand von seiner Waffe und drückte stattdessen auf einen Knopf am Funkgerät, welches an seiner rechten Schulter befestigt war.

How to become a Winter SoldierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt