Gnädig? [KAPITEL 27]

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Meine Schritte halten unangenehm laut durch den verlassenen Gang, als ich dem Blonden zum Trainingsraum folgte. Ich musste gegen den Drang einfach stehen zu bleiben und abzuhauen ankämpfen, redete mir ein, dass es nun bereits zu spät war, dass es keinen Ausweg mehr gab. Mein Leben würde ein jähes Ende finden, sobald ich durch die Tür trat, im metaphorischen Sinne.

Meinen Kopf leicht gesenkt bemerkte ich fast nicht, dass der Soldat vor der geschlossenen Tür zum Trainingsraum stehen blieb. Auf die Seite tretend ließ er mich vorbei. Ich warf ihm einen kurzen Seitenblick zu, bevor ich, vor Anspannung zitternd, nach dem Türgriff fasste. Dessen Kälte verursachte eine Gänsehaut, die über meinen ganzen Körper lief, als ich ihn nach unten drückte. Die Tür schwang auf und ließ mich einen Blick auf den vertrauten Raum mit den anwesenden Personen darin werfen, wobei die zu mehrt noch unbekannte Gesichter waren. Neben Zola standen noch einige, wahrscheinlich etwas höher gestellte Agenten, die sich zu amüsieren schienen und sich lauthals unterhielten. Interessiert auf das, was noch kommen sollte. Außerdem standen im Raum verteilt noch einige normale Soldaten nahe den Wänden, deren Funktion wohl war einzugreifen, falls es eskalieren sollte. Die Frage war dann nur, ab wann es als Eskalation galt.

Mein Blick schweifte durch den Raum, erkannte den am Boden gekennzeichneten Austragungsort, einen Tisch auf dem Nahkampfwaffen lagen, die hauptsächlich aus Messern und Dolchen bestanden, und daneben einen Stuhl. Meine Augenbrauen zusammengezogen ging ich, nachdem ich die Tür wieder geschlossen hatte, auf Zola und die anderen Agenten zu. Eine Frage, die ich nicht gedacht hatte stellen zu müssen, brannte mir auf der Zunge.

"Ah, Ravenna, da sind Sie ja endlich", begrüßte mich Zola mit erwartungsvoll glänzenden Augen. Ich versuchte die Tatsache, dass er mich erneut bei meinem Namen genannt hatte zu ignorieren, doch ich konnte nicht verhindern, dass böse Vorahnungen meine Gedanken kreuzten. Trotz dessen ging ich nicht auf seine Bemerkung ein, sondern kam gleich zur Sache: "Wo ist Barnes?"

In meiner Stimme schwang eine gewisse Schärfe mit, die ich nicht zu unterdrücken gedacht habe. In voller Größe und wiedergewonnenem Rückgrat hatte ich mich vor Zola aufgebaut, starrte in seine kleinen, vor Wut zusammengekniffenen Augen. Wie konnte ich es auch bloß wagen mich so respektlos gegenüber ihm zu verhalten?

Mich nicht einschüchtern lassend, verschränkte ich meine Arme vor dem Oberkörper, meine Augen ebenfalls zusammengekniffen. Eine gefühlte Ewigkeit starrten wir uns gegenseitig an und langsam musste ich wirklich kämpfen um nicht einzuknicken. Mein Körper spannte sich an, während ich das Gefühl hatte, dass sich kleine Schweißperlen auf meiner Stirn bildeten. Meinen Atem anhaltend wartete ich auf Zolas Reaktion, welche allerdings anders ausfiel als erwartet. An Stelle mich hier und jetzt eigenhändig umzubringen änderte sich seine Miene plötzlich von Grund auf. Der wütende Ausdruck in seinen Augen verschwand spurlos, und wich stattdessen einem fröhlich wirkendem Glänzen. Es wirkte gezwungen, fast schon wie eine unpassende Maske, die er sich aufgesetzt hatte. Aus dem Konzept gebracht versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen. Was war denn auf einmal in ihn gefahren? Ich zog scharf die Luft ein, als sich mein ungutes Gefühl wieder zu Wort meldete. Etwas stimmte hier überhaupt nicht.

"Er ist auf dem Weg", antwortete Zola nun auf meine zuvor gestellte Frage, "Sie müssen sich keine Sorgen machen."

Etwas tief in mir drin zog sich bei diesen Worten zusammen und ließ mich fast vor Angst auf keuchen. Der teuflische Ausdruck, der in Zolas Augen für den Bruchteil einer Sekunde aufleuchtete, half mir auch nicht besonders seinen Worten auch nur einem Fünkchen Glauben zu schenken. Ich wusste noch nicht warum, aber ich hatte sicherlich Gründe mir nun Sorgen zu machen. Und es fraß mich innerlich auf. Ich wollte gerade dazu ansetzten ihn zu fragen, was genau er damit meinte, als die Tür hinter mir schwungvoll geöffnet wurde. Ich drehte mich langsam um, alle meine Alarmglocken begannen schrill in meinem Kopf zu läuten, während sich die Haare in meinem Nacken aufgestellt hatten. Was ich sah ließ mich erneut den Atem anhalten. Meine Augen weit aufgerissen starrte ich auf die drei Gestalten, die in der Tür standen. In den Armen zweier Soldaten lag Barnes, den Kopf gesenkt und mit sich schwer hebender und senkender Brust. Seine Haare hingen ihm kraftlos und verschwitzt vor dem Gesicht. Die Beine hatte er leicht angewinkelt, als befürchtete er einzuknicken, falls er sie zu sehr belastete. Sein Körper wirkte wie erschlafft, kraftlos. Wie ein Toter hing er zwischen den beiden Soldaten. Was hatten sie ihm angetan?

Die Soldaten schleiften ihn in den Raum und an mir vorbei. Wie in Zeitlupe sah ich Barnes an mir vorbei gehend. Er sah von Nahem noch schlimmer aus, als aus der Ferne. Er wirkte abgemagerter als noch vor zwei Tagen, wenn das überhaupt möglich war. Er wirkte wie ein geschundener Hund, auf den man mehrere Male eingeschlagen hatte. Und obwohl es nichts gab, was ich hätte für ihn tun können, spürte ich die Schuldgefühle in mir anschwellen. Ich riss meinen Blick von ihm los, ertrug den Anblick nicht länger. Es war in der Tat etwas Schreckliches passiert, doch es war schlimmer als alles, was ich mir hätte vorstellen können.

Der blonde Soldat, der mich hergebracht hatte, trat nun ebenfalls ein und schloss die Tür hinter sich, ehe er sich neben sie positionierte. Doch mein Blick ging an ihm vorbei, starrte eine ganze Weile ins Leere, ehe er wie von selbst zurück zu Barnes wanderte. Inzwischen hatten sie ihn auf den Stuhl neben den mit Waffen beladenen Tisch fallen gelassen. In sich zusammengesunken saß er darauf, den Kopf leicht in den Nacken gelegt, während nur noch flacher Atem ihm über die Lippen kam. Sein Gesicht schien eingefallen und war blass, fast schon so weiß wie der Schnee vor den Türen. Seine Augen waren fahl, hatten keinen Glanz mehr in ihnen und starrten an irgendeinen Punkt an der Decke.
Schrecklich, grausam, nicht zu glauben, waren die einzigen Worte, die mir im Moment durch den Kopf gingen. Er war nicht in der Verfassung zu kämpfen, wie also sollte ich meine Hand gegen ihn erheben?

Keine Gnade.

Keine Gnade hatte Zola zu mir gesagt, doch wie sollte das funktionieren? Wie sollte ich Barnes bekämpfen, ohne Gnade, wenn er sich kaum auf den Beinen halten konnte?

Ich riss mich erneut von Barnes' Anblick los, atmete mehrere Mal tief ein und aus, ehe ich mich an Zola wandte. Dieser stand neben mir, seinen Blick noch immer auf Barnes gerichtet. Stolz leuchtete in seinen kleinen Augen auf. Sie widerten mich an.
"Ich kann nicht kämpfen", die Worte verließen meinen Mund, bevor ich darüber nachdenken hätte können. Sie hallten in meinen Ohren wieder. Hatte ich wirklich gerade etwas gesagt? Es hörte sich so an, als würden die Worte von weiter Ferne kommen. Doch als Zola sich zu mir drehte wusste ich, dass es wirklich ich war, die gesprochen hatte. Hinter seiner Brille konnte ich Zorn gemischt mit Unglauben erkennen. Der Blick schien meine Kehle zu zuschnüren, ließ mich kaum mehr atmen.

"Was?", seine Stimme war scharf, wie die Messer auf dem Tisch. Ich hatte in wenigen Minuten es gewagt mich zweimal respektlos gegenüber ihm zu verhalten, da hatte ich wohl den Bogen etwas überspannt. Ich schluckte schwer, versuchte nicht mehr an mich zu denken, sondern an Barnes, der noch immer nach Luft ringend auf dem Stuhl saß.

"Ich kann nicht kämpfen", wiederholte ich das Gesagte, "Barnes ist nicht in der Verfassung zu kämpfen. Also warum sollte ich überhaupt daran denken dies zu tun? Der Kampf wäre binnen weniger Momente vorbei."
Ich war von dem, was ich sagte überzeugt, dass es Zola umstimmen würde. Was brachte es ihm schon, wenn ich Barnes zu Boden schlug? Was ich konnte wusste er bereits, das musste ich ihm nicht erneut vorführen. In diesem Kampf sollte es um Barnes gehen, um seine Fähigkeiten und seine Kräfte. Ob er eine Löschung überstehen würde. Ob er es wert wäre.
Ich war mir des Sieges so gut wie sicher, als Zolas Gesicht sich zu einer grinsenden Grimasse verzog. Mein Herz blieb für den Bruchteil einer Sekunde stehen. Erneut läuteten die Alarmglocken in mir, schrien mich an die Augen zu öffnen, doch ich erkannte Zolas Plan nicht. Seine Gedanken waren undurchdringlich.

"Keine Sorge, Ravenna", sprach er mit solch einer Ruhe, dass es mir kalt den Rücken hinunter lief. "Sie müssen nicht die Gnädige spielen."

How to become a Winter SoldierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt