Glänzende Smaragde [KAPITEL 43]

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Das Meditieren half mir tatsächlich etwas abzuschalten, auch wenn ich nicht so in Entspannung versank wie ich es sonst immer tat, da im regelmäßigen Abstand Bilder von zuvor in meinem Kopf aufblitzen, die ich allerdings immer wieder aufs Neue vertrieb. Aber ich nahm auch weiterhin meine Umwelt wahr, während ich ruhig und schweigsam auf dem Bett saß wie eine Statue auf ihrem Sockel stand. Das Ticken der Uhr und das zyklische Knirschen der Glühbirne, das Tropfen der etwas undichten Dusche und die übrigen Geräusche der Metallwände hatten sich in meinem Ohr die ganze Zeit über festgesetzt. Wenn auch sie leise und sonst unsichtbar für das Gehör waren, hörte ich sie nun mit einer neuen, intensiveren Stärke. Doch sie alle störten mich nicht. Ich war sogar so sehr in das Zusammenspiel der einzelnen Klänge vertieft, dass ich das Klopfen und Öffnen der Tür überhaupt nicht bemerkte. Auch diese Geräusche mischten sich in das Schema der anderen und vervollständigen die ungewohnte Melodie. Erst als eine Person das Wort erhob wurde ich aus meiner inneren Ruhe gerissen. Meine Augen ruckartig aufschlagend sah ich Jon entgegen, der mit einem Tablett in der Hand halb im Türrahmen stand.
"Ravenna?", fragte er erneut, sich wohl nicht sicher, ob ich ihn wahrgenommen habe. Ich entknotete meine Beine, setzte mich zurück an den Rand des Bettes und nickte. Der Blonde trat daraufhin nun komplett ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Er kam auf mich zu und reichte mir das Tablett, welches ich entgegennahm. Aber dennoch kam ich nicht darum herum diese Anspannung in seinen Bewegungen zu bemerken. Mein Blick wanderte vom dampfenden Essen zu seinem Gesicht hoch, welches allerdings keine Regung zeigte. War er zornig? Die wenigen Anzeichen, die ich auf die Schnelle fand sprachen dafür. Doch warum? War er noch immer beleidigt, aufgrund meiner Sticheleien von heute Morgen? Oder ist er aus einem anderen Grund zornig, von dem ich nichts wissen konnte.

Zögernd stellte ich das Tablett neben mir auf dem Bett ab, ließ den Blonden, der mit verschränkten Armen vor mir stand, dabei aber keine Sekunde aus den Augen.
"Bist du noch wütend?", die Frage rutschte mir über die Lippen. Eine Angewohnheit, etwas, was zurzeit viel zu häufig geschah. Jon jedenfalls schien von meiner Vermutung überrascht zu sein. Dies verstärkte meine Annahme allerdings nur noch mehr.
"Wütend?", er hielt kurz inne, "Weshalb?"
Ich schwieg. Sollte ich ihn wirklich darauf ansprechen? Ich habe damit angefangen, dann kann ich es auch genauso gut zu Ende bringen. Mit den Schultern zuckend öffnete ich erneut meinen Mund: "Wegen dem, was ich heute früh gesagt habe."
Nun war es der blonde Soldat, der schwieg. Sein Fuß klopfte auf den Boden, als er sich von mir abwandte. Also war er tatsächlich noch wütend. Wütend auf mich. Meine Hände krallten sich in die dünne Decke unter mir, bevor ich einmal seufzte, sie wieder entspannte und schließlich aufstand. Mit den Armen hinter dem Rücken und gesenktem Kopf, sodass meine Haare mir ins Gesicht hingen, stellte ich mich mit etwas Abstand zu Jon vor ihn hin. Ob er mich ansah konnte ich nicht genau sagen, aber ich hörte Stoff rascheln, also musste er sich auf alle Fälle irgendwie bewegt haben. Zudem hatte er mit dem Klopfen aufgehört.

"Es ...", ich atmete noch einmal hörbar aus und sah schließlich nach oben in sein Gesicht, "Es tut mir Leid. Ich wollte dich mit meinen Worten nicht verletzen." Jonas Miene blieb für einen kurzen Augenblick noch kalt, ehe sich ein zaghaftes Lächeln auf seinen Mund verirrte. Er löste seine verschränkten Arme und schloss mich kurzer Hand in eine Umarmung. Mein Körper reagierte sofort darauf, indem er sich versteifte. Erschrocken riss ich meine Augen auf.
"Schon in Ordnung", ich konnte Jon schon fast schmunzeln hören, als er sprach. Nach einigen endlos erscheinenden Sekunden, in denen ich seine Umarmung nicht erwidert hatte, ließ er mich endlich wieder los. Nicht wissend, was ich nun noch groß sagen oder tun sollte, setzte ich mich zurück auf mein Bett. Mit einer hageren Kopfbewegung signalisierte ich ihm, dass er neben mir Platz nehmen konnte, was er dann auch tat. Schweigend begann ich zu essen. Doch die ganze Zeit über schwirrte eine Frage in meinem Kopf herum. Unsicher, ob ich sie stellen sollte, wartete ich noch ein wenig ab. Als ich zur Hälfte gegessen hatte und das Wasserglas gerade wieder auf das Tablett zurückstellte, wandte ich mich schließlich an Jonas, der während der ganzen Zeit irgendwelche belanglosen Dinge erzählte. Aber nachdem er bemerkt hatte, dass ich ihn nun direkt ansah, verstummte er. Fragend legte er den Kopf schief.

How to become a Winter SoldierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt