Ein Mann, ein Arm [KAPITEL 2]'

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Genau drei Tage blieb es komplett still in unserem gemeinsamen Zimmer. Woher ich wusste, dass es drei Tage sein mussten und nicht mehr oder weniger, war ganz einfach nachzuvollziehen. Barnes und ich bekamen jeden Tag zweimal etwas zu Essen. Und bis jetzt haben Soldaten sechs Mal ein kleines Tablett mit Essen gebracht. Normalerweise hätte ich es auch anhand meines Trainings bestimmen können, doch seitdem ich in diese Zelle verlegt worden war, bin ich nicht mehr dorthin gebracht worden. Irgendetwas stimmte nicht. Und am vierten Tag schien es mir schließlich aufzufallen. Zola hatte erwähnt, dass Barnes mein Nachbar werden sollte, getrennt waren wir nur durch ein Gitter. Schlussfolgernd wollte Zola wahrscheinlich, dass der Braunhaarige und ich miteinander sprachen, eine Bindung aufbauten. Warum sonst sollten wir in einer solchen Doppelzelle sitzen? Denn wenn das nicht der Fall sein sollte, hätte sich Zola seinen Atem sparen können und ich hätte nicht verlegt werden müssen. Wie ich darauf kam, dass ich mit Barnes in Konnex kommen soll, erschloss sich mir darauß, dass Informationenbeschaffung Hydra auch ohne meine Hilfe und diesen ganzen Aufwand schaffte. Dafür würden sie mich nicht verschwenden.
Trotzdem war ich nicht besonders begeistert darüber eine Bindung zu jemanden von oder in Hydra aufbauen zu müssen. Ich fürchtete mich davor. Hatte Angst davor mich darin zu verlieren, Gefühle zuentwickeln. Es ist lange her, dass ich für irgendeinen anderen Menschen Gefühle empfand. Liebe, Freundschaft, oder irgendetwas anderes. Hier gab es nur Kälte und Hass. Bei Hydra konnte man niemanden mit Gefühlschaos gebrauchen, sie ließen einen nur schwach wirken. Und schwach wollte man hier auf keinen Fall sein. Aber ich fürchtete mich auch sehr vor Verrat. Es gab kein Vertrauen bei Hydra. Jeder könnte irgendwann hängen gelassen werden, dabei waren die Gründe meist irrelevant.

Jedenfalls war dies der Grund, warum ich am vierten Tag den unterschwelligen Pakt der Stille zwischen Barnes und mir brach. Ich musste einfach wieder hier rauß. Brauchte mehr Platz, mehr Training, mehr Abstand zum braunhaarigen Mann, der auf der anderen Gitterseite auf seiner Pritsche saß. Und wenn ich dies nur erreichte, indem ich versuchte ein Band zwischen uns beiden zu knüpfen, musste ich ihm das wohl vorheucheln.
Meine Arme streckend bis sie einmal kurz knacksten, stand ich von dem Brett auf, dass an der Wand befestigt war. Ich wollte nicht sofort auf den Braunhaarigen zu marschieren, denn so wie er sich in den letzten drei Tagen verhalten hat -still, und in eine Ecke verkrochen- konnte er ihm Moment wohl nicht mit direkter Konfrontation umgehen. Er ähnelte einen wilden Tier, welches nun zum ersten Mal in Gefangenschaft lebte. Und da ich Barnes nicht sofort verschrecken wollte, falls ich dies nach meinem ersten Auftreten nicht schon getan habe, begab ich mich zuerst zu dem kaputten Wasserhahn, der unaufhörlich tropfte. Meine Hände mit dem kühlen Nass volllaufen lassen trank ich einige Schlücke, bevor ich mir etwas davon ins Gesicht spritzte, um diesen etwas mehr Leben zu verleihen. Alles, damit ich den Braunhaarigen nicht noch mehr verschreckte. Da auch in diesem Raum kein Spiegel an der Wand hing, musste ich einfach hoffen, dass ein falsches Lächeln meinen Augen genug Schimmer verlieh, um nicht aufzufliegen. Das überschüssige Wasser wischte ich mir, wie so oft, mit dem Ärmel des viel zu großen Oberteils von meinen Wangen. Dann drehte ich mich langsam, aber bestimmt um. Suchte mit meinen Augen unauffällig nach der Gestalt des Braunhaarigen, der sich noch immer nicht bewegt hatte. Er schien sich sogar noch mehr in die Ecke, in welcher er saß, zurückgezogen zu haben. Aus diesem Grund setzte ich mich in die Mitte des Raumes auf den Boden und nicht direkt vor die Gitterstäbe, denn dadurch erlaubte ich ihm etwas mehr Macht über den Abstand zwischen uns zu entscheiden.
Nicht sicher wie ich das Gespräch anfangen sollte, blieb ich erst einmal ruhig. Dadurch konnte sich Barnes auch an meine Anwesenheit und andere Position etwas gewöhnen, bevor ich ihn direkt konfrontieren würde. Seinen Kopf hatte er auf die Tür gerichtet, die sich auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers befand, aber seine Augen waren auf mich gerichtet. Seine Haltung war insgesamt sehr abweisend, aber nach einiger Zeit bemerkte ich, wie seine Muskeln sich wieder entspannten, wenngleich er seine Beine immer noch an sich gedrückt hielt.
„Hey.“
Ich versuchte das Wort sanft erklingen zu lassen, was mir aufgrund des Wassers, was ich zuvor getrunken hatte, auch gelang. Allerdings spannte sich der Mann sofort wieder an, sobald das Wort meinen Mund verlassen hatte, weshalb ich erneut etwas wartete, bevor ich weiter sprach.
„Du musst keine Angst vor mir haben.“
Seine Haltung blieb unverändert. Abweisend, steif und misstrauisch. Mit einer langsamen, bedachten Bewegung strich ich mir eine Strähne meiner Haare aus dem Gesicht, wollte ihm dadurch signalisieren, dass ich friedlich und nicht feindlich gestimmt war.
Wir saßen weiterhin in Schweigen getaucht da, die Anspannung schien ihn nicht mehr loslassen zu wollen. Bevor ich ein weiteres Mal das Wort ergreifen hätte können, öffneten sich laut quietschend beide Türen zu unseren Zimmerhälften. Erschrocken zuckte nicht nur der Braunhaarige, sondern auch ich zusammen. Zwei Soldaten kamen mit einem kleinen Tablett herein und stellten sie ab. Barnes' mittig im Raum, meines nahe der Tür. Mein Magen knurrte leise, als ich statt alltäglichem Brei den Geruch einer Suppe wahrnahm. Eine Abwechslung, die man fast schon als Luxus bezeichnen konnte. Ich griff nach dem Teller, setzte mich wieder in die Mitte und begann zu Essen. Dabei sagte ich zwar nichts mehr zu meinem Nachbarn, behielt ihn aber, so wie er mich auch, im Auge. Er bewegte sich keinen Zentimeter auf das Essen zu, sondern schielte nur ab und an in dessen Richtung, wenn er es wagte mich für zwei Sekunde aus den Augen zu lassen. Ich aß sehr langsam, nicht weil die Suppe besonders heiß war, sondern weil ich hoffte, dass Barnes sich zu mir gesellen würde, um ebenfalls zu Essen. Doch lange Zeit geschah überhaupt nichts. Irgendwann war die kleine Schüssel nur noch bis zur Hälfte mit Suppe gefüllt, die ebenso eiskalt war, wie der Boden, auf dem ich seit einer Ewigkeit saß. Inzwischen hatte ich es aufgegeben den Braunhaarigen im Blick zu behalten, als ich plötzlich eine Bewegung in meinem Augenwinkel bemerkte. Ich versuchte gegen den Drang nach oben zu blicken anzukämpfen, lugte nur leicht zwischen meinen Haaren nach oben, während ich weiter die kalte Suppe löffelte. Der Braunhaarige war von der Pritsche aufgestanden und tappste mit unsicheren Schritten auf das Essen zu. Es schien ihn zu verwirren, dass es Suppe und kein Brei war. Schließlich nahm er die Schüssel in die Hand, aber anstatt sich zurück in seine Ecke zu verkriechen, setzte er sich auf den Boden vor das Tablett und begann zu essen. Wir saßen und aßen schweigend. Ich wartete bis mein Gegenüber seine Schüssel zuerst zurückgestellt hatte, dann tat ich es ihm nach. Er blieb hocken, sah sogar zu mir auf. Ich lächelte ihn kurz an, hoffte, dass meine Augen diese Freundlichkeit kurz widerspiegeln würden.
„Hey“, sprach ich erneut, ebenso sanft wie zuvor. Er erwiderte den Gruß nach kurzer Zeit des Zögerns mit rauer Stimme.
„Wie geht es dir?“, fragte ich und deutete dabei mit meinem Kopf auf seine linke Seite. Der Braunhaarige sah an sich herunter, betrachtete seinen in Lumpen gewickelten linken Arm, oder besser das, was davon noch übrig war.
„Gut. Den Umständen entsprechend“, er sah nicht wieder auf, als er dies offenbarte. Seine Gedanken schienen ihn vollkommen eingenommen zu haben. Dachte er womöglich an den Vorfall, der für den Verlust seines linken Armes verantwortlich war? Hatte er gegen Hydra gekämpft? Denn ein Hydraagent war er gewiss nicht. Aber warum sollten sie ihn dann mit zur Basis nehmen und nicht einfach umbringen? Was für einen Wert hatte dieser einarmige Mann für Hydra?

How to become a Winter SoldierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt