"Wie lange brauchst du noch?", ruft Joseph gerade von der anderen Seite der Dusche. Durch das auf mich herabprallende Wasser kann ich ihn im ersten Moment noch nicht richtig verstehen, kann mir letztendlich aber denken, was er mich gefragt hat und schiebe den Durschvorhang ein Stück zur Seite und schaue dahinter hervor, um ihm zu antworten.
"Eine Minute."
Im Badezimmerspiegel kann ich erkennen, wie Jo nickt, dann die restliche Zahnpasta aus seinem Mund spült und ins Waschbecken spuckt.
Ich verschwinde sofort wieder hinter dem Duschvorhang und schalte nach wenigen Sekunden das Wasser aus, greife dann nach dem Handtuch, das ich zuvor über die Duschstange gehängt habe. Da ich meine Haare gestern Abend gewaschen habe, tat ich es heute morgen nicht, konnte mir bis jetzt also schon Zeit sparen.
Als ich umwickelt mit dem Handtuch aus der Dusche trete, ist Jo schon längst aus dem Badezimmer verschwunden, sodass ich mich in Ruhe abtrocknen und letztendlich auch anziehen kann.
Ausnahmsweise habe ich mich heute dazu entschieden ein schlichtes, schwarzes Kleid, das hoch geschlossen und auch nicht zu kurz ist, zu tragen. Mit dem Mantel sieht das ganze bestimmt um etliches schicker aus als mein normaler Kleidungsstil.
Ich putze schnell meine Zähne, um dann das völlig überhitzte Badezimmer zu verlassen und während des Gehens mein Kleid zu schließen.
"Du siehst gut aus", bemerkt Jo mit einem flüchtigen Blick, richtet zeitgleich seine Krawatte mit einem konzentrierten Blick.
Natürlich ist er wieder ganz dem Anlass nach gekleidet und könnte aus irgendeinem Magazin von einem Herrenschneider stammen- tut er aber nicht. Sein schwarzer Anzug sitzt wie sein gesamter restlicher Kleiderschrank wie angegossen. Obwohl ich zugeben muss, dass mein Kleid mir auch ausnahmsweise mal gut passt.
"Können wir?" Jo geht bereits zum Wohnzimmertisch, wo er seine Autoschlüssel immer liegen hat und greift nach genau diesen.
"Ja, ich denke schon." Ich lächle einmal kurz ein aufmunterndes Lächeln, nicht an ihn gerichtet, sondern eher an mich. Mein Versuch scheitert an meiner gerunzelten Stirn, die auch Jo auffallen zu scheint, denn er bleibt nicht länger bei der Haustür stehen, sondern wechselt seinen in Eile wirkenden Blick in einen besorgten. Dann macht er einen Schritt zu mir und nimmt mich zum gefühlten hundertsten Mal diese Woche in den Arm, sagt dabei kein einziges Wort.
Seine Hand streicht währenddessen über meinen Rücken und sein starkes Parfüm, das wahrscheinlich frisch aufgetragen wurde, erweckt fast schon ein kleines Schwindelgefühl in mir, es ist aber noch gerade so erträglich, dass ich an ihn gedrückt bleiben kann.
"Wahrscheinlich sind sie noch nicht einmal da", flüstert er in meine Haare hinein und streicht ein wenig stärker über meinen Rücken.
"Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie da sind." Ich seufze auf.
Wenig später verlassen wir gemeinsam die Wohnung und machen uns auf den Weg zu seinem Auto, das vor der Wohnung am Straßenrand geparkt steht. Meine Hand liegt bereits am Griff der Autotür, als er das Auto per Knopfdruck entsperrt.
Ich ziehe sofort die Tür auf, lasse mich auf den Beifahrersitz des Autos fallen.
Auch wenn sein Auto bereits etwas länger in seinem Besitz ist, bilde ich mir ein, dass es immer noch nach Autohaus riecht; ein Geruch der meiner Meinung nach nicht existieren müsste.
"Little-Hangleton?" Jo schaltet zeitgleich den Wagen an. "Ja", antworte ich nickend und lasse mich ein Stück entspannter in meinem Sitz zurück fallen, beginne mit meinen Händen am Saum des Kleides rumzupuhlen.
"Willst du noch ein bisschen schlafen? Ich könnte dich dann wecken."
"Nein, ich vermute, dass es besser ist nicht zu schlafen." Ich schmunzle leicht und schaue kurz auf den Rücksitz hinter Jo.
Dort steht ein Blumenstrauß, den er gekauft hat. Ich habe genau das total vergessen, weswegen er meinte, dass wir ihn einfach gemeinsam vorne hin bringen.
"Wie du meinst, das Angebot steht." Er grinst mir einmal zu, konzentriert sich dann aber wieder auf die Kreuzung vor ihm, die Ampel schaltet grün.
*+*+*+*
Einige Zeit später stehen wir schon am Straßenrand vor dem Little-Hangleton Friedhof. Da mich vor wenigen Minuten als wir aussteigen wollten, ein wenig die Panik überkam, bot Jo mir an, noch ein wenig im Auto zu warten, immerhin sind wir früh dran.
"Es wird schon Lou", muntert er mich weiterhin auf und schnallt sich ab, um sich ein Stück über die Mittelkonsole zu lehen und mich fest in seine Arme zu schließen. Meine Augen brennen höllisch und ich zwinge mich selbst dazu nicht zu weinen, nicht wenn es nicht der Trauer wegen ist.
"Ich trete deiner Mutter in den Arsch. Genau so wie Susie und Chris."
"Meinem Vater nicht?", murmele ich immer noch mit geschlossenen Augen in seine Schulter.
"Nein, ich glaube dann werd ich von seinem Pitbull totgeschlagen." Er löst sich und schaut mmich aufmunternd an. Er schafft es sogar in sofern, dass ein kleiner Lacher über meine Lippen kommt, sie damit am Beben hindert.
"Dann schlage ich den Pitbull tot", antworte ich schmunzelnd und genieße einfach nur die Nähe meines besten Freundes, der mich immer wieder versucht auf zu muntern.
"Das würde ich zu gerne sehen."
Wir lachen noch ein wenig, bis ich den Mut fasse die Autotür langsam zu öffnen und auszusteigen. Auf meinen Beinen streiche ich sofort meine Kleidung glatt, schaue einen Moment auf meine komplett schwarzen Sneaker, über die ich mir von meiner Schwester Susie wohl noch etwas anhören werden müsse. So lange wie ich sie nicht mehr gesehen habe, bin ich mir ziemlich sicher, dass sie eine kleine Kopie meiner Mutter geworden ist.
Ich schaue über das Autodach zu Jo, der sich gerade bückt, um den Blumenstrauß aus dem Auto zu holen. Einen kleinen Moment verliere ich mich in den wunderschönen Blüten, die meine Großmutter früher auch oft in ihrem Haus stehen hatte.
"Kommst du?" Joseph klingt ziemlich unsicher und schaut sich unbehaglich um. Ich nicke.
Um zum Friedhof zu gelangen, muss ich erst um das Auto herum gehen. Schon als wenige Meter hinter uns liegen, kann ich förmlich das Getuschel der ganzen Leute hören, von denen ich genau weiß, dass ihnen nichts an meiner Nan lag.
Sie mögen vielleicht in ihren teuren Designer-Anzügen gekommen sein, ihre dämlichen Hosenanzüge tragen, doch trotzdem bringt es sie meiner Nan nicht näher.
Sie sind alle Heuchler.
Jo neben mir scheint all die bösen Zungen ebenfalls aus dem restlichen Gerede herauszuhören, legt deswegen seinen Arm um mich, um mir für den Moment einfach nur Unterstützung zu geben.
"Das sie hierher kommt." Ich bleibe stehen und drehe mich zu der giftenden Frauenstimme.
Man könnte vermuten, dass ich jemanden, der so über mich redet, kenne- tue ich aber nicht. Es ist nur eine der etlichen Angestellten, oder reichen Freundinnen- keine Ahnung.
Ich werfe ihr einen grimmigen Blick zu, der durch ihr Verschwinden gewürdigt wird.
"Das ganze geht schnell vorbei Lou", flüstert Jo mir im nächsten Moment ins Ohr.
Dass er zusammen mit mir hier ist, trägt auch zu seinem Leidtragen hinzu, die Leute erlauben es sich sogar, schlecht über ihn zu sprechen. Natürlich nicht so viel wie über mich, aber immerhin vereinzelt.
In was für einer Welt habe ich früher bitte gelebt?
*Das ist ein erträglicher Schnitt denke ich. Ich bin echt extrem baff, innerhalb der letzten zwei Tage habe ich einfach mal fast 20 Votes und 40 Reads bekommen. Das freut mich wirklich von ganzem Herzen, vielen, vielen Dank dafür. :) Vielleicht kommt heute Abend noch ein Kapitel, ich muss nur noch ein paar Sachen für die Schule erledigen. :D*
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Inked. (h.s.)
FanfictionDie Kunststudentin Lou ist der Inbegriff von einem Tollpatsch und bezeichnet sich selbst gerne als einen der seltsamsten Menschen der Welt; Harry ist CEO eines großen Konzerns und entflieht seinem stressigen Arbeitsalltag im Tattoo-Studio. Man könnt...