- S E C H Z I G -

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Ich muss einige Male verschlafen blinzeln, bis ich bemerke, dass der warme Körper neben mir nicht mehr da ist. Schon am Glauben, dass er ohne etwas zu sagen verschwunden ist, drehe ich mich auf die Seite, löse somit meinen Blick von der Decke.

Erst dann dringt Harrys Stimme zu mir durch, sehe ich, wie er immer noch halbnackt auf meiner Bettkante sitzt und sich mit jemandem am Telefon unterhält. Weil er um einen leisen Ton bemüht ist, gehe ich davon aus, dass er noch nicht weiß, dass ich aufgewacht bin, aber wie soll er auch?

Die neugierige Seite in mir, würde jetzt einfach still sein und ihm bei seinem Gespräch zuhören, die aufrichtige aber bringt mich dazu, ihn hauchzart anzutippen und auf mich aufmerksam zu machen.

Als er sich zu mir umdreht ist seine Stirn gerunzelt und seine Lippen fest aufeinandergepresst.

Das Gespräch verläuft anscheinend nicht sonderlich gut.

"Wir haben gerade mal 6", erinnert er seinen Gesprächspartner nun nicht mehr im Flüsterton. Der fast schon als bissig zu bezeichnende Ton bringt mich dazu, mich vorsichtig aufzurichten.

"Ich bin der verdammte Boss, wenn ich fünf Minuten später da bin, dann ist das so." Ich beiße mir auf die Unterlippe. Ich hasse es ihn so sprechen zu hören.

"Ach was. Dann kannst du das ja auch gleich wieder übernehmen, wenn ich es doch sowieso falsch mache", diskutiert er weiter und fährt sich gestresst durch die Haare.

Ich habe keine Ahnung was mich reitet, aber ich beuge mich einmal kurz nach vorne, um ihm einen kleinen Kuss auf die Schulter zu drücken. Wahrscheinlich möchte ich einfach nur den Ansatz eines Lächelns auf seinen Zügen erkennen können. So wie er sie jetzt hat, gefallen sie mir nur noch halb so gut.

Als er meinen kleinen Kuss spürt, dreht er sich sofort wieder zu mir um, sieht mir einfach nur in die Augen. Die Stimme aus seinem Handylautsprecher ist inzwischen so laut, dass ich sie bis hierhin grob hören kann. Ich verstehe nicht genau was sie sagt, lediglich, dass sie aufgebracht ist.

"Das beste für die Firma, ich bitte dich." Er verdreht genervt die Augen, schaut dann aber wieder undefinierbar in meine.

"Kannst du sie ein einziges Mal aus dem Spiel lassen?" Harry spannt seinen Kiefer an und verengt den Griff um sein Telefon. "Es hat nichts damit zu tun und das weißt du." Die Situation wird immer unbehaglicher für mich und ich entscheide, seinen Augen auszuweichen und stattdessen auf meine Hände herab zu schauen. Davor ziehe ich die Decke wieder ein kleines Stück höher.

"Warum hast du die Position abgetreten, wenn du sie jetzt wieder zurück haben möchtest?" Er schüttelt ungläubig den Kopf und ich erkenne aus dem Augenwinkel, wie sein ganzer Rücken sich anspannt.

Eine Weile antwortet er gar nichts, bis er schnippisch aufatmet und meint: "Du machst dich lächerlich." Die Antwort wartet Harry gar nicht mehr ab, denn er legt einfach auf und wirft sein Handy grob auf den Boden neben meinem Bett.

"Alles okay?", frage ich vorsichtig und hoffe, ihn damit nicht zu belästigen oder wütend zu machen.

Zum Glück scheine ich keinen Wunden Punkt zu erwischen, denn er dreht sich lediglich um und lässt sich seufzend wieder auf den Rücken neben mich fallen. "Nein." Er verschränkt seine Arme über seinem Gesicht und der einzige Ton, der von ihm zu hören ist, ist sein unfassbar lautes Atmen.

"Wann musst du zur Arbeit?" Als ich das frage ist mein Ton noch bedachter als eben. Vielleicht gerade nicht die beste Frage, aber sie ist schon relativ wichtig.

"Heute gar nicht", antwortet er und lockert seine Arme minimal, hält sie dennoch weiterhin über seinen Zügen.

Ich überlege einen Moment und kaue unsicher auf meiner Unterlippe herum, bis ich ein Stück näher an Harry heran rücke und seine verschränkten Arme entwirre und stattdessen seine eine Hand mit meiner verhake.

"Mein Vater hat mich wieder freigestellt", sagt er monoton und sieht auf unsere Hände herab. Seine Worte führen dazu, dass ich meinen Kopf vorsichtig auf seine nackte Brust lege.

"Er sagt ich schade der Firma nur noch mit meinem Verhalten."

"Inwiefern?" Jetzt drehe ich mich so, dass ich ihm auf dem Bauch liegend in die Augen sehen kann.

Auf meinem Arm bildet sich eine Gänsehaut von dem Luftzug. Ich schüttle es ab und warte weiterhin auf eine Antwort, als Harry bereits darauf reagiert und die Bettdecke greift, um sie über uns, hauptsächlich aber mich, zu ziehen.

"Ich treffe Entscheidungen, die seiner Meinung nach falsch sind. Dabei meint er nicht nur die auf geschäftlicher Ebene..." Er spricht nicht weiter und ich weiß sofort was beziehungswiese wer damit gemeint ist.

"A-aber er stellt dich nicht nur deswegen frei?", frage ich mit einem dicken Kloß im Hals. Natürlich habe ich mir denken können, dass Harrys Eltern nicht gerade begeistert von mir sind, aber dass sein Vater eine derartige Abneigung mir gegenüber hat, hätte ich nicht erwartet.

"Nimm es nicht persönlich Lou." Harry streicht vorsichtig über meine inzwischen glühende Wange und drückt einen hauchzarten Kuss auf meine Lippen. "Er möchte die Beziehung zu deinen Eltern nicht riskieren."

Ach ja, meine Eltern. Die haben zum Glück seit Susies Unfall nichts mehr von sich hören lassen, genauso wie mein liebevoller Bruder.

Ich bin lediglich froh darüber, wieder ansatzweise ein Verhältnis zu meiner Schwester zu haben.

"Die zu dir ist ihm dann auch egal oder wie?", rutscht es mir heraus. "Entschuldigung", füge ich sofort kleinlaut hinzu.

"Das nicht." Er hebt unsere Hände an und küsst meine, erklärt weiterhin sanft: "Er will nur das beste für die Familie, für ihn bezieht das die Firma mit ein."

"Jeder denkt, dass ich alles zerstören möchte", sage ich fast schon in einem genervten Ton und lasse sogar Harrys Hand los.

"Nein." Ohne nachzufragen, legt er seine nun freien Hände auf die Rückseite meiner nackten Oberschenkel und zieht mich ein gutes Stück an sich hoch, bis ich letztlich komplett auf ihm liege. 

"Eigentlich ja schon", wiederspreche ich ihm, dieses Mal in einem amüsierten Ton. Die Schnute auf seinen Lippen lässt mir nichts anderes übrig.

Gerade verschwindet die kleine Schnute, da lege ich meine Hand einen Moment über seinen Mund, um mich ausformulieren zu können: "Aber ich kann damit leben. Es ist besser positiv von jemandem überrascht zu werden als anders herum."

Um selbst zu Wort kommen zu können, leckt Harry einmal über meine Handfläche, die ich sofort von seinen Lippen entferne.

"Dann willst du sie positiv überraschen?" Er grinst stolz und ignoriert, dass ich meine nasse Hand an seinem Bauch abwische.

"Ich werde sie alle überraschen Harry", stelle ich wahrheitsgemäß klar und mache sogar eine kleine Geste.

Ich werde es sowas von allen beweisen, beschließe ich in diesem Moment für mich selbst. Irgendwann kommt die Wahrheit ans Licht und die Leute wissen endlich, was für verdammt verlogene Arschlöcher sie allesamt sind. Von Schuster bis zu meinen Eltern wird jeder es wissen, ersterer hoffentlich irgendwelche Konsequenzen erleben.

Dabei möchte ich nicht zur Polizei laufen. Es ist schon ein paar Jahre her und mir wird sowieso niemand dort mehr glauben, oder wenn wird man hinterfragen, warum ich jetzt erst damit ankomme.

Nein, das ganze wird anders passieren. Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde es schaffen.

Bis vor wenigen Stunden hatte ich kein Verlangen irgendwem etwas zu beweisen, aber nach der Sache von gestern Abend weiß ich, dass jemand erfahren muss, was dieser skrupellose Mann getan hat.

*Meinungen zu Lous Sinneswandel?*

Inked. (h.s.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt