Mit seinem Handy am Ohr rauft er seine Haare, schüttelt ohne etwas zu sagen seinen Kopf für sich selbst. Wie ein Kind strecke ich meine Arme nach ihm aus, damit er wieder zurück kommt.
Ein kleines Grinsen schleicht sich auf seine Züge und er legt seinen Kopf vorsichtig auf meiner Brust ab. Dabei hält er das Telefon so, dass ich auch hören kann, was die Person am Telefon sagt. "Ähm.. Geht es Louisa wieder besser?", höre ich meinen Vater sich erkundigen, woraufhin Harry müde antwortet: "Ja, ihr geht es gut." Dabei sieht er mich kurz mit einem vielsagenden, schiefen Grinsen von unten herauf an.
Warum hat er eben so ein Gesicht gezogen, als er ans Telefon gegangen ist? Als ich weiter darüber nachdenke, beendet Harry das Gespräch mit meinem Vater schon wieder. Im ersten Moment sehe ich ihn irritiert an.
"Wolltest du noch mit ihm reden?", fragt er und hält das Handy noch in seiner Hand, damit ich notfalls meinen Vater zurückrufen könnte. "Nein, eher nicht", antworte ich ehrlich und streiche verspielt eine Locke au seinem Gesicht. Er kneift demonstrativ ein Auge leicht zu, lacht dann aber leise mit mir.
"Hast du Hunger?", erkundigt er sich und küsst knapp meinen Mundwinkel, legt dabei sanft seine Hand auf meine Taille. "Ein bisschen", gestehe ich und beiße mir auf die Unterlippe. "Mach das nicht so oft", bittet er mich rau und schließt kurzerhand die Entfernung zwischen uns, um seinen Mund fest gegen meinen zu drücken.
Dabei rutscht die Decke komplett zur Seite, sodass ein kleiner Luftzug mich automatisch dazu bringt, mich näher an Harry zu schmiegen. Der grinst verschmitzt in den Kuss hinein und nutzt die Gelegenheit sich wieder vorsichtig zwischen meinen Beinen zu platzieren.
"Warum?", frage ich eine ganze Weile verzögert und atme scharf ein bei dieser warmen Nähe zwischen uns. "Das macht mich verrückt." Er beißt sich auf die Unterlippe, um das selbe auch angedeutet bei mir zu tun.
"Ich glaube jetzt kann man dich gar nicht mehr zügeln", spreche ich grinsend meine Bedenken aus und streiche vorsichtig über seinen muskulösen Rücken. Unter meiner Berührung sinkt er ein Stück auf mich herab und atmet flach gegen meine Lippen, die sofort wieder kribbeln.
"Ich liebe dich", stelle ich klar und sehe ihn ehrlich an. "Ich liebe dich auch Lou", flüstert er zufrieden und legt seine Hände auf meine Wangen. Unter der warmen Berührung schließe ich entspannt meine Augen.
~
"Wie war die Kunstausstellung?", ist das erste wonach Liam sich am Montag erkundigt, als er mich sieht.
"Perfekt", antworte ich wage und denke dabei eher an das, was nach der Ausstellung passiert ist. Aber das kann er ja nicht wissen.
"Also wird man dich öfter bei sowas antreffen?", hakt er grinsend nach und geht inzwischen schon längst nebenmir Richtung Vorlesungssaal.
"Zu hundert Prozent nicht." Ich grinse leicht, als mir die verschiedenen Menschen da wieder in Erinnerung kommen. Wie sie alle so kultiviert da gestanden haben und einen Sektchen nach dem anderen runtergekippt haben.
Definitiv nicht meine Welt.
Als Liam nicht nachlässt, gebe ich ihm eine kleine Zusammenfassung vom Abend, erwähne beiläufig sogar den kleinen Streit, gehe aber nicht genauer darauf ein.
Während der Vorlesung habe ich absolut keine Motivation und beschäftige hauptsächlich damit, aus meinem Stift und einem Lineal eine kleine Wippe zu bauen. Liam neben mir grinst das ein oder andere mal darüber, sagt aber nichts weiter.
"Welche Dinge haben berühmte Künstler ihrer Leidenschaft beraubt?", lautet eine der letzten Fragen, die Mr. Jones stellt.
Nach und nach gehen immer mehr Hände im Saal nach oben.
"Ja." Er nickt zu einer Studentin, die so weit vorne sitzt, dass ich nur ihren Hinterkopf erahnen kann.
"Pestilenzen?", klingt ihre unsichere Stimme als eine von vielen, die sich an einer Antwort versuchen. Doch keiner antwortet das, was Jones hören möchte, sodass er selbst auflöst.
Uns allen hat er die Nase derart lang gemacht, dass niemand mehr spricht und ein neugieriges Schweigen sich ausbreitet.
"Liebe." Nicht nur ich runzle die Stirn. "Viele haben sich im Laufe der Zeit mehr ihrer Muse als der eigentlichen Kunst zugewendet. Sie haben den Funken Leidenschaft, der sie zu einem wahrhaftigen Künstler gemacht hat, statt einer Leinwand ihrer Liebe gewidmet."
"Daran ist dich nichts verwerflich", wirft jemand ein und erfährt die Bestätigung vieler.
"Natürlich nicht, aber wir sprechen hier über Kunst und nicht Liebe. Und darüber, dass es manche von ihnen wahnsinnig gemacht hat, weil sie keinen Ausgleich finden konnten."
Jones spricht noch weiter mit einigen Schülern, doch ich bin nur halb dabei und lasse es gut sein, nachdem ich mich einmal zum Thema geäußert habe.
Mr. Jones fängt mich zu allem Übel auch noch nach der Vorlesung ab. Obwohl ich hinten gesessen habe und versuche schnellstmöglich den Saal zu verlassen, ruft er mich nach vorne zu sich.
Wüsste ich es nicht besser, würde ich davon ausgehen, dass man mir nachsagen könnte, ein Verhältnis mit ihm zu haben. So verdammt oft, wie er mich unter vier Augen sprechen möchte.
"Ja?", frage ich zögerlich als ich vorne stehe, ignoriere dabei, dass nach wie vor nur Kommilitonen ihre Sachen zusammenpacken. "Die Ausstellung ist wirklich gelungen Louisa", beginnt er, driftet aber sofort ab. "Ich wollte mich nur erkundigen, ob es Ihnen gut geht?", spricht er indiskret mein Verschwinden an.
"Ja", antworte ich sicher und versuche zu vermeiden, irgendwie irritiert zu klingen. Er ist mein Professor und ich sollte mich ihm gegenüber bestmöglich geben.
"Wussten Sie, dass Mr. Schuster einer der Ehrengäste war?", fragt er darauf etwas, das mich die Stirn runzeln lässt.
"Anscheinend nicht", antwortet er sich selbst und erklärt sofort weiter: "Er konnte wegen seiner Nasenfraktur nicht kommen."
Als er das sagt, muss ich mich beherrschen, um meinen Mund geschlossen zu lassen. So wie er es sagt, weiß ich nämlich, dass es wegen Harry ist.
"Das tut mir leid", würge ich schwerfällig hervor und mein Professor sieht mich nur grübelnd an.
"Jemand mit einer so enormen Wut schlägt nicht nur einmal", gibt er mir zu bedenken. Zuerst sehe ich es als eine Art Witz, eine Anspielung an. Dann wird mir aber klar, dass er davon redet, dass Harry mich ja schlagen könnte.
"Nein, das würde er nicht", kommt es wie geschossen von mir und ich mache mir nicht einmal die Mühe, mich irgendwie zu rechtfertigen. Diese Sache ist so glasklar, dass das überflüssig ist.
"Verschwenden Sie bitte nur nicht Ihr Talent mit Liebe." Als er das sagt, sind alle längst verschwunden, stehen nur noch wir beide hier vorne.
"Wie sollte ich?" Ich runzle die Stirn und schaue auf meine schmutzigen Schuhe herunter. Vor diesem Gespräch ist mir nie bewusst gewesen, was für ein sensibles Thema Harry eigentlich ist. Zumindest ab dem Zeitpunkt, wo man ihn hinterfragt.
"Vielleicht ist es das letzten Endes nicht wert, denken sie an Van Gogh." Er vergleicht mich mit Van Gogh? Mit jemandem, der sich sein Ohr abgeschnitten hat?
"Ich glaube es liegt an mir das herauszufinden, nicht?", gebe ich vorsichtig zu bedenken, woraufhin mein Professor sich auf die Zunge beißt.
"Vielleicht habe ich mich in dem Thema verloren..", sagt er auf einmal und würgt das ganze verwunderlicherweise komplett ab. Doch in seinen Augen sehe ich, dass er weit davon entfernt ist, so zu denken.
"Vielleicht haben sie das", stimme ich ihm zu und entschuldige mich kurz darauf. Immerhin treffe ich mich heute nochmal mit Jo und werde dabei mehr oder weniger zwangsläufig erwähnen müssen, dass 'es' passiert ist. Nach all der Zeit hat Jo immer darauf bestanden, auf dem neuesten Stsnd zu sein, das schulde ich ihm.
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Inked. (h.s.)
Hayran KurguDie Kunststudentin Lou ist der Inbegriff von einem Tollpatsch und bezeichnet sich selbst gerne als einen der seltsamsten Menschen der Welt; Harry ist CEO eines großen Konzerns und entflieht seinem stressigen Arbeitsalltag im Tattoo-Studio. Man könnt...