Mitten in der Nacht drehe ich mich unbehaglich auf der scheinbar kalten Matratze von Harrys Bett um.
Erst als ich mich nach links drehe, wird mir klar, warum ich wach geworden bin. Neben mir ist niemand mehr, ich liege nur noch alleine unter der grauen Decke, die ich mir ohne jemanden neben mir auch genau so gut sparen könnte.
"Harry?", frage ich noch halb schlaftrunken, obwohl vermutlich keine Antwort kommen kann. Aber es wundert mich so sehr, dass er in der Nacht auf Sonntag auf einmal weg ist. Vielleicht ist er ja in der Küche?
Bevor ich aus dem Bett stolpere, schaue ich nach meinem Handy auf dem Nachttisch und gucke wievielt Uhr es ist.
04:55
Mit einem Stöhnen lasse ich es wieder auf den Tisch fallen, stehe aber nichtsdestotrotz auf. Der kalte Boden unter meinen Füßen lässt mich fast gleich wieder zurück ins Bett verschwinden. Ohne Harry darin, fühlt es sich aber nicht richtig an.
Ich öffne die Schlafzimmertür und gehe durch den dunklen Flur Richtung Wohnzimmer. Erst aus der Küche sehe ich schwaches Licht kommen, reden hören, kann ich ihn nicht.
Meine Zähne graben sich in meine Unterlippe, als ich durch die offene Tür gehe und Harry auf dem Stuhl zusammengeschlurft sehen kann.
"Harry?", frage ich den Braunhaarigen, der seinen Kopf in seine Hände gestützt hat und wie abwesend wirkt. Wie fast erwartet antwortet er nicht.
Ich bleibe einen Moment zögerlich stehen, gehe dann aber auf ihn zu, bis ich genau neben ihm stehe. Aber noch immer regt er sich nicht wirklich, ich höre ihn nur schwer atmen, als ich sein Gesicht noch immer nicht sehen kann.
Um ihn irgendwie auf mich aufmerksam zu machen, gehe ich vorsichtig neben dem Stuhl auf die Knie und küsse auf dem Weg dorthin die Seite seines Kopfes.
Für einen Moment lege ich meine Hände in meinen Schoß und sehe ihn einfach nur unbeholfen an.
Meine Anwesenheit scheint vollkommen an ihm vorbeizugehen, deswegen hebe ich meine Hand an und lege sie auf seine andere, mit der er sein Gesicht nicht verdeckt. Mein müder Blick fällt von meinem Ring auf seine und ich hebe kurzerhand seine Hand an, um die freien Stellen zu küssen.
Erst nach etlichen Küssen streicht er langsam seine Haare aus seinem Gesicht und dreht sich zu mir.
Mein Magen dreht sich um als ich seinen fertigen Gesichtsausdruck sehe. "Was ist passiert?", frage ich ihn sofort und drücke seine Hand kurz. Dabei rutsche ich auf meinen Knien noch näher zu ihm.
Im nächsten Moment rutscht Harry vor mich auf den Boden, schiebt den Stuhl dabei weit hinter sich. Immer noch meine Hand haltend sieht schaut er genauso wie eben ich auf den Ring an meiner Hand, bevor er langsam weiter nach oben wandert. Seine Stirn ist von einem tiefen Runzeln gezeichnet, sein Blick ratlos.
"Ich habe es versaut", gesteht er wage und ich beiße mir auf die Zunge, um nichts Unüberlegtes zu sagen. Bevor ich es kann, erklärt er aber schon weiter: "Schuster hat die Parnterschaft gekündigt und andere Partner dazu gebracht, auch abzuspringen."
"Was? Wann?" Ich reiße meine Augen auf. "Warum jetzt? D-das mit seiner Nase ist doch schon her?"
Er sieht mich ertappt an. "Ich habe ihm die Meinung gesagt und mein Vater anscheinend auch. Wir sind verloren Lou, alleine können wir das nicht aufrecht erhalten."
Ich lege meine Hände auf seine Wangen und bringe ihn dazu mich anzusehen. "Ihr habt andere Partner, meinen Vater zum Beispiel", versuche ich ihn zu beruhigen, doch er schüttelt nur vehement den Kopf.
"Lou das kann niemals reichen", haspelt er undeutlich und schließt seine Augen einen Moment, als versuche er seine Tränen zurück zu halten.
"Wir sind komplett am Arsch, Schuster hat uns in der Hand, weil er den Leuten wichtiger als wir ist."
"Das müsst ihr ändern", denke ich laut und streiche mit meinem Daumen beruhigend über seinen Wangenknochen. Mit einem Seufzen sehe ich dabei zu, wie Harry sich vor meinen Augen beinahe den Kopf zerbricht.
Das Bild setzt mir so zu, dass ich nicht anders kann, als meine Arme um ihn zu legen und ihn trotz seiner Größe zu mir herunterzuziehen. Schon automatisch tut er es mir gleich. Statt wie sonst aber meinen Kopf in seine Brust zu ziehen, vergräbt er seinen in meiner.
Sofort rutscht meine Hand weiter nach oben, um vorsichtig seine inzwischen schon ganz gelockten Haare zu streicheln. Mein Kinn lege ich dabei sanft auf seinem Kopf ab.
"Alle hatten die ganze Zeit Recht, ich bin der Sache nicht gewachsen", murmelt er erschöpft gegen mein T-Shirt und ich küsse während er spricht seinen Kopf einige Male. "Ich denke nicht, dass es daran liegt", gebe ich dann von einer einzelnen, braunen Locke abgelenkt zu bedenken.
"Woran sonst?" Ich schlucke. "Dieser Mann ist zu so viel fähig, dass ich gar nicht weiter darüber nachdenken möchte", sage ich gefasst und nehme meinen Kopf bei Seite, als ich spüre wie Harry seinen anhebt.
"So habe ich das nicht gemeint", meint er direkt und sieht mich sanftmütig an, bevor er sich nach vorne lehnt, um seine Lippen auf meine zu legen. In Anbetracht der Uhrzeit, bewegt er sie aber kein Stück, sondern lässt sie nur ruhig auf ihnen liegen - nicht, dass es mich stört.
"Ich weiß wie du es gemeint hast", versichere ich ihm und schaue ihm dabei in die Augen, damit er mir auch glaubt, immerhin ist es nichts anderes als die Wahrheit.
Als Harry darauf nichts antwortet, frage ich: "Können wir vielleicht wieder ins Bett gehen, dann können wir morgen besser überlegen, was wir machen sollen." Dass ich von uns als einer Einheit spreche, bemerke ich schon gar nicht mehr. Ich sehe uns einfach schon so, also mache ich keine Anstalten, mich anders zu formulieren.
"Das klingt gut." Er beißt sich auf die Unterlippe und küsst kurz meine Stirn, bevor er mühselig aufsteht, mir seine Hände entgegen hält.
Mit einem Schmunzeln greife ich nach ihnen, um dann sofort auf beide Beine gezogen zu werden. Auf der Etage ist aber noch nicht stop, denn ehe ich mich versehe, hat er mich schon hochgehoben und bewegt sich gemeinsam mit mir aus der Küche.
"Als Entschädigung", erklärt er flüsternd und schaltet das Licht aus, während ich schon meinen Kopf gemütlich in seinen Hals drücke und ausnahmsweise mal kommentiere, was vor sich geht.
Auch in der kompletten Dunkelheit seines Schlafzimmers lässt mich das Schließen der Tür noch nicht meinen Kopf anheben. Es führt eher dazu, dass ich mich noch mehr an ihm fest halte.
Man kann einfach nicht beschreiben, wie es ist, wenn man in einer Person scheinbar alle Ruhe der Welt findet.
Ich höre Harry gedämpft lachen, als er schon einige Momente steht, mich vermutlich aufs Bett legen möchte.
Zu meiner Erleichterung aber schafft er es, sich mit mir sofort hinzulegen und die Decke über uns beide zu ziehen.
"Schlaf gut Lou, ich liebe dich", brummt er gegen meine Wange und küsst meinen Mundwinkel, woraufhin ich im Dunkeln einmal kurz sein Grübchen piekse. "Ich liebe dich", erwidere ich müde und lege meine Hand auf seine Brust um meinen Kopf daneben zu platzieren.
Auch wenn ich schon halb schlafe, habe ich eine Ahnung, was wir tun müssen, um die Partner zum Abspringen zu bringen.
Nur reißt es all den Schutz ein, den ich in den Jahren mühevoll aufgebaut habe.
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Inked. (h.s.)
Fiksi PenggemarDie Kunststudentin Lou ist der Inbegriff von einem Tollpatsch und bezeichnet sich selbst gerne als einen der seltsamsten Menschen der Welt; Harry ist CEO eines großen Konzerns und entflieht seinem stressigen Arbeitsalltag im Tattoo-Studio. Man könnt...